pse_373.001 Vetter." "Lügen haben kurze Beine." Neuere Entwicklungsformen pse_373.002 sind das Sprichwort, die Sentenz, das geflügelte Wort, pse_373.003 die sich aber alle in bestimmter Weise vom reinen Spruch pse_373.004 abheben. 6. Der Kasus. Die Welt erscheint da in einem Gefüge pse_373.005 von Normen, an denen Handlungen gewertet werden, pse_373.006 die Normen wieder werden an anderen gewertet. Man pse_373.007 könnte sagen, es handelt sich um die Fraglichkeit von Rechtsfällen. pse_373.008 Es wird also eine Frage gestellt in bezug auf einen pse_373.009 Rechtsfall, es soll in diesem Zusammenhang gewertet werden. pse_373.010 Eine Lösung aber bringt der Kasus nicht. Sie würde schon pse_373.011 in die Nähe der einfachsten Novellenform führen. 7. Das pse_373.012 Memorabile. Irgendein Ereignis wird nicht in einem nüchtern pse_373.013 logischen Bericht gegeben, der von Anfang zum Ende lückenlos pse_373.014 durchführt, sondern in einer bestimmten Gestaltung, wie pse_373.015 wir sie etwa in Zeitungsberichten vom Selbstmord eines angesehenen pse_373.016 Menschen antreffen können. Solche Darstellung pse_373.017 bemüht sich, aus einem Geschehen etwas als Einmaliges herauszuheben pse_373.018 und von hier aus dann das Ganze zu beleuchten. pse_373.019 Die weiteren Einzelheiten fügen sich dem Dienst an der Deutung pse_373.020 ein. Hier zeigen sich deutliche Beziehungen zur erzählkünstlerischen pse_373.021 Gestaltung, insbesondere zur Anekdote. pse_373.022 8. Das Märchen. Ähnlich wie bei der Sage liegen hier die pse_373.023 Dinge nicht so einfach, wie sie Jolles sieht. Grundlegend ist pse_373.024 für ihn die Erwartung, wie es in der Welt eigentlich zugehen pse_373.025 sollte. So ergibt sich häufig eine Zweiteilung: zuerst die Darstellung, pse_373.026 wie es nicht sein sollte, dann die Wendung zum pse_373.027 Gewünschten. Aber das Märchen erscheint doch schon mehr pse_373.028 als eine sehr künstlerische Erzählform. Wir werden später pse_373.029 auch darauf zurückkommen. 9. Der Witz. In ihm wird etwas pse_373.030 Gebundenes gelöst: ein unzulängliches Gefüge wird in Ordnung pse_373.031 gebracht und dabei eine Spannung wohltuend aufgehoben. pse_373.032 Von hier aus kommen wir in den Bereich jener pse_373.033 dichterischen Weltauffassung, die sich in mannigfaltiger pse_373.034 Weise aus der Freiheit der geistigen Überlegenheit ergibt.
pse_373.035 Man kann die einfachen Formen auch zu bestimmten typischen pse_373.036 Formen verbinden, wie das Mohr, über Jolles hinausgehend, pse_373.037 versucht hat. Da können sich vier Gruppen ergeben. pse_373.038 Die erste sind die gegenstandsbezogenen Formen. Die Welt
pse_373.001 Vetter.« »Lügen haben kurze Beine.« Neuere Entwicklungsformen pse_373.002 sind das Sprichwort, die Sentenz, das geflügelte Wort, pse_373.003 die sich aber alle in bestimmter Weise vom reinen Spruch pse_373.004 abheben. 6. Der Kasus. Die Welt erscheint da in einem Gefüge pse_373.005 von Normen, an denen Handlungen gewertet werden, pse_373.006 die Normen wieder werden an anderen gewertet. Man pse_373.007 könnte sagen, es handelt sich um die Fraglichkeit von Rechtsfällen. pse_373.008 Es wird also eine Frage gestellt in bezug auf einen pse_373.009 Rechtsfall, es soll in diesem Zusammenhang gewertet werden. pse_373.010 Eine Lösung aber bringt der Kasus nicht. Sie würde schon pse_373.011 in die Nähe der einfachsten Novellenform führen. 7. Das pse_373.012 Memorabile. Irgendein Ereignis wird nicht in einem nüchtern pse_373.013 logischen Bericht gegeben, der von Anfang zum Ende lückenlos pse_373.014 durchführt, sondern in einer bestimmten Gestaltung, wie pse_373.015 wir sie etwa in Zeitungsberichten vom Selbstmord eines angesehenen pse_373.016 Menschen antreffen können. Solche Darstellung pse_373.017 bemüht sich, aus einem Geschehen etwas als Einmaliges herauszuheben pse_373.018 und von hier aus dann das Ganze zu beleuchten. pse_373.019 Die weiteren Einzelheiten fügen sich dem Dienst an der Deutung pse_373.020 ein. Hier zeigen sich deutliche Beziehungen zur erzählkünstlerischen pse_373.021 Gestaltung, insbesondere zur Anekdote. pse_373.022 8. Das Märchen. Ähnlich wie bei der Sage liegen hier die pse_373.023 Dinge nicht so einfach, wie sie Jolles sieht. Grundlegend ist pse_373.024 für ihn die Erwartung, wie es in der Welt eigentlich zugehen pse_373.025 sollte. So ergibt sich häufig eine Zweiteilung: zuerst die Darstellung, pse_373.026 wie es nicht sein sollte, dann die Wendung zum pse_373.027 Gewünschten. Aber das Märchen erscheint doch schon mehr pse_373.028 als eine sehr künstlerische Erzählform. Wir werden später pse_373.029 auch darauf zurückkommen. 9. Der Witz. In ihm wird etwas pse_373.030 Gebundenes gelöst: ein unzulängliches Gefüge wird in Ordnung pse_373.031 gebracht und dabei eine Spannung wohltuend aufgehoben. pse_373.032 Von hier aus kommen wir in den Bereich jener pse_373.033 dichterischen Weltauffassung, die sich in mannigfaltiger pse_373.034 Weise aus der Freiheit der geistigen Überlegenheit ergibt.
pse_373.035 Man kann die einfachen Formen auch zu bestimmten typischen pse_373.036 Formen verbinden, wie das Mohr, über Jolles hinausgehend, pse_373.037 versucht hat. Da können sich vier Gruppen ergeben. pse_373.038 Die erste sind die gegenstandsbezogenen Formen. Die Welt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0389"n="373"/><lbn="pse_373.001"/>
Vetter.« »Lügen haben kurze Beine.« Neuere Entwicklungsformen <lbn="pse_373.002"/>
sind das Sprichwort, die Sentenz, das geflügelte Wort, <lbn="pse_373.003"/>
die sich aber alle in bestimmter Weise vom reinen Spruch <lbn="pse_373.004"/>
abheben. 6. Der Kasus. Die Welt erscheint da in einem Gefüge <lbn="pse_373.005"/>
von Normen, an denen Handlungen gewertet werden, <lbn="pse_373.006"/>
die Normen wieder werden an anderen gewertet. Man <lbn="pse_373.007"/>
könnte sagen, es handelt sich um die Fraglichkeit von Rechtsfällen. <lbn="pse_373.008"/>
Es wird also eine Frage gestellt in bezug auf einen <lbn="pse_373.009"/>
Rechtsfall, es soll in diesem Zusammenhang gewertet werden. <lbn="pse_373.010"/>
Eine Lösung aber bringt der Kasus nicht. Sie würde schon <lbn="pse_373.011"/>
in die Nähe der einfachsten Novellenform führen. 7. Das <lbn="pse_373.012"/>
Memorabile. Irgendein Ereignis wird nicht in einem nüchtern <lbn="pse_373.013"/>
logischen Bericht gegeben, der von Anfang zum Ende lückenlos <lbn="pse_373.014"/>
durchführt, sondern in einer bestimmten Gestaltung, wie <lbn="pse_373.015"/>
wir sie etwa in Zeitungsberichten vom Selbstmord eines angesehenen <lbn="pse_373.016"/>
Menschen antreffen können. Solche Darstellung <lbn="pse_373.017"/>
bemüht sich, aus einem Geschehen etwas als Einmaliges herauszuheben <lbn="pse_373.018"/>
und von hier aus dann das Ganze zu beleuchten. <lbn="pse_373.019"/>
Die weiteren Einzelheiten fügen sich dem Dienst an der Deutung <lbn="pse_373.020"/>
ein. Hier zeigen sich deutliche Beziehungen zur erzählkünstlerischen <lbn="pse_373.021"/>
Gestaltung, insbesondere zur Anekdote. <lbn="pse_373.022"/>
8. Das Märchen. Ähnlich wie bei der Sage liegen hier die <lbn="pse_373.023"/>
Dinge nicht so einfach, wie sie Jolles sieht. Grundlegend ist <lbn="pse_373.024"/>
für ihn die Erwartung, wie es in der Welt eigentlich zugehen <lbn="pse_373.025"/>
sollte. So ergibt sich häufig eine Zweiteilung: zuerst die Darstellung, <lbn="pse_373.026"/>
wie es nicht sein sollte, dann die Wendung zum <lbn="pse_373.027"/>
Gewünschten. Aber das Märchen erscheint doch schon mehr <lbn="pse_373.028"/>
als eine sehr künstlerische Erzählform. Wir werden später <lbn="pse_373.029"/>
auch darauf zurückkommen. 9. Der Witz. In ihm wird etwas <lbn="pse_373.030"/>
Gebundenes gelöst: ein unzulängliches Gefüge wird in Ordnung <lbn="pse_373.031"/>
gebracht und dabei eine Spannung wohltuend aufgehoben. <lbn="pse_373.032"/>
Von hier aus kommen wir in den Bereich jener <lbn="pse_373.033"/>
dichterischen Weltauffassung, die sich in mannigfaltiger <lbn="pse_373.034"/>
Weise aus der Freiheit der geistigen Überlegenheit ergibt.</p><p><lbn="pse_373.035"/>
Man kann die einfachen Formen auch zu bestimmten typischen <lbn="pse_373.036"/>
Formen verbinden, wie das Mohr, über Jolles hinausgehend, <lbn="pse_373.037"/>
versucht hat. Da können sich vier Gruppen ergeben. <lbn="pse_373.038"/>
Die erste sind die gegenstandsbezogenen Formen. Die Welt
</p></div></div></div></body></text></TEI>
[373/0389]
pse_373.001
Vetter.« »Lügen haben kurze Beine.« Neuere Entwicklungsformen pse_373.002
sind das Sprichwort, die Sentenz, das geflügelte Wort, pse_373.003
die sich aber alle in bestimmter Weise vom reinen Spruch pse_373.004
abheben. 6. Der Kasus. Die Welt erscheint da in einem Gefüge pse_373.005
von Normen, an denen Handlungen gewertet werden, pse_373.006
die Normen wieder werden an anderen gewertet. Man pse_373.007
könnte sagen, es handelt sich um die Fraglichkeit von Rechtsfällen. pse_373.008
Es wird also eine Frage gestellt in bezug auf einen pse_373.009
Rechtsfall, es soll in diesem Zusammenhang gewertet werden. pse_373.010
Eine Lösung aber bringt der Kasus nicht. Sie würde schon pse_373.011
in die Nähe der einfachsten Novellenform führen. 7. Das pse_373.012
Memorabile. Irgendein Ereignis wird nicht in einem nüchtern pse_373.013
logischen Bericht gegeben, der von Anfang zum Ende lückenlos pse_373.014
durchführt, sondern in einer bestimmten Gestaltung, wie pse_373.015
wir sie etwa in Zeitungsberichten vom Selbstmord eines angesehenen pse_373.016
Menschen antreffen können. Solche Darstellung pse_373.017
bemüht sich, aus einem Geschehen etwas als Einmaliges herauszuheben pse_373.018
und von hier aus dann das Ganze zu beleuchten. pse_373.019
Die weiteren Einzelheiten fügen sich dem Dienst an der Deutung pse_373.020
ein. Hier zeigen sich deutliche Beziehungen zur erzählkünstlerischen pse_373.021
Gestaltung, insbesondere zur Anekdote. pse_373.022
8. Das Märchen. Ähnlich wie bei der Sage liegen hier die pse_373.023
Dinge nicht so einfach, wie sie Jolles sieht. Grundlegend ist pse_373.024
für ihn die Erwartung, wie es in der Welt eigentlich zugehen pse_373.025
sollte. So ergibt sich häufig eine Zweiteilung: zuerst die Darstellung, pse_373.026
wie es nicht sein sollte, dann die Wendung zum pse_373.027
Gewünschten. Aber das Märchen erscheint doch schon mehr pse_373.028
als eine sehr künstlerische Erzählform. Wir werden später pse_373.029
auch darauf zurückkommen. 9. Der Witz. In ihm wird etwas pse_373.030
Gebundenes gelöst: ein unzulängliches Gefüge wird in Ordnung pse_373.031
gebracht und dabei eine Spannung wohltuend aufgehoben. pse_373.032
Von hier aus kommen wir in den Bereich jener pse_373.033
dichterischen Weltauffassung, die sich in mannigfaltiger pse_373.034
Weise aus der Freiheit der geistigen Überlegenheit ergibt.
pse_373.035
Man kann die einfachen Formen auch zu bestimmten typischen pse_373.036
Formen verbinden, wie das Mohr, über Jolles hinausgehend, pse_373.037
versucht hat. Da können sich vier Gruppen ergeben. pse_373.038
Die erste sind die gegenstandsbezogenen Formen. Die Welt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/389>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.