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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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und das Leben stellen selbst schon bestimmte Formen immer pse_374.002
wiederkehrender Art bereit, die dann durch einen geistigen pse_374.003
Akt herausgehoben und geprägt werden. So bilden sich der pse_374.004
Schwank, der Witz. Die Prägnanz des Ereignisses führt oft pse_374.005
zu festen sprachlichen Formen: "Hier steh ich, ich kann nicht pse_374.006
anders." Die zweite bilden die Darbietungsformen. Die Lage pse_374.007
des Sprechers zum Hörer prägt die Form in der mannigfaltigsten pse_374.008
Weise aus; es kommt hier rein auf die Art an, wie pse_374.009
etwas dargeboten wird. Dadurch unterscheiden sich der Witz, pse_374.010
die Anekdote, die Verkündigung, die Streitrede. Der dritte pse_374.011
Typus sind die ornamentalen Formen, in denen deutlich ein pse_374.012
abstrakter Formsinn waltet; z. B. Reihenbildungen, Kettenformen. pse_374.013
Also ist die pragmatische Erzählweise der ornamentalen pse_374.014
durchaus feindlich. Der vierte Typus ist der mit gewordenen pse_374.015
Formen. Hier handelt es sich um Gebilde, die zunächst pse_374.016
hochentwickelte Kunstformen darstellen und dann mit der pse_374.017
Zeit zu einfachen Formen werden; denn ihre Züge prägen pse_374.018
sich in immer klarerer Form und eindeutiger Weise aus. pse_374.019
Dahin kann man das Märchen und die Novelle mit einiger pse_374.020
Vorsicht rechnen.

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Wichtig bleibt es, zu erkennen, in welchem Bezug diese pse_374.022
einfachen Formen zu höheren dichterischen Gebilden stehen. pse_374.023
Auf der einen Seite ist ihre Bedeutung hervorzuheben. Auch pse_374.024
die hochentwickeltsten Dichtungsformen ziehen aus den einfachen pse_374.025
Formen immer wieder Lebenskräfte. Die einfachen pse_374.026
Formen verwirklichen sich in höheren Gattungen als eine Art pse_374.027
Topos, so der Schwank, der Witz, die Fabel usw. Man pse_374.028
beachte, daß im "König Ödipus" des Sophokles in bestimmter pse_374.029
Weise die Form des Rätsels durchwirkt. Vor allem spüren pse_374.030
wir die ornamentalen Formen auch in den höchsten Kunstgattungen, pse_374.031
etwa im Rhythmus, in den mannigfaltigen Reihenbildungen. pse_374.032
Im Roman können in den pragmatischen Ablauf pse_374.033
Glieder eingefügt sein, die sich als Ausprägung einer einfachen pse_374.034
Form ausweisen; sie können damit tiefern Sinn fürs pse_374.035
Ganze, gerade im Gegengewicht zum Vorgangsablauf erhalten. pse_374.036
Im barocken, aber auch im modernen Roman finden pse_374.037
sich solche Strukturteile. Anderseits aber ist zu bedenken: pse_374.038
Nie wird es gelingen, die ganze Kunst und Tiefe des "Ödipus"

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und das Leben stellen selbst schon bestimmte Formen immer pse_374.002
wiederkehrender Art bereit, die dann durch einen geistigen pse_374.003
Akt herausgehoben und geprägt werden. So bilden sich der pse_374.004
Schwank, der Witz. Die Prägnanz des Ereignisses führt oft pse_374.005
zu festen sprachlichen Formen: »Hier steh ich, ich kann nicht pse_374.006
anders.« Die zweite bilden die Darbietungsformen. Die Lage pse_374.007
des Sprechers zum Hörer prägt die Form in der mannigfaltigsten pse_374.008
Weise aus; es kommt hier rein auf die Art an, wie pse_374.009
etwas dargeboten wird. Dadurch unterscheiden sich der Witz, pse_374.010
die Anekdote, die Verkündigung, die Streitrede. Der dritte pse_374.011
Typus sind die ornamentalen Formen, in denen deutlich ein pse_374.012
abstrakter Formsinn waltet; z. B. Reihenbildungen, Kettenformen. pse_374.013
Also ist die pragmatische Erzählweise der ornamentalen pse_374.014
durchaus feindlich. Der vierte Typus ist der mit gewordenen pse_374.015
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hochentwickelte Kunstformen darstellen und dann mit der pse_374.017
Zeit zu einfachen Formen werden; denn ihre Züge prägen pse_374.018
sich in immer klarerer Form und eindeutiger Weise aus. pse_374.019
Dahin kann man das Märchen und die Novelle mit einiger pse_374.020
Vorsicht rechnen.

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Wichtig bleibt es, zu erkennen, in welchem Bezug diese pse_374.022
einfachen Formen zu höheren dichterischen Gebilden stehen. pse_374.023
Auf der einen Seite ist ihre Bedeutung hervorzuheben. Auch pse_374.024
die hochentwickeltsten Dichtungsformen ziehen aus den einfachen pse_374.025
Formen immer wieder Lebenskräfte. Die einfachen pse_374.026
Formen verwirklichen sich in höheren Gattungen als eine Art pse_374.027
Topos, so der Schwank, der Witz, die Fabel usw. Man pse_374.028
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wir die ornamentalen Formen auch in den höchsten Kunstgattungen, pse_374.031
etwa im Rhythmus, in den mannigfaltigen Reihenbildungen. pse_374.032
Im Roman können in den pragmatischen Ablauf pse_374.033
Glieder eingefügt sein, die sich als Ausprägung einer einfachen pse_374.034
Form ausweisen; sie können damit tiefern Sinn fürs pse_374.035
Ganze, gerade im Gegengewicht zum Vorgangsablauf erhalten. pse_374.036
Im barocken, aber auch im modernen Roman finden pse_374.037
sich solche Strukturteile. Anderseits aber ist zu bedenken: pse_374.038
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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/390>, abgerufen am 22.11.2024.