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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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Das ist noch ziemlich unbestimmt und ließe sich auch pse_339.002
mit der Forderung des Zusammenstimmens in eins bringen. pse_339.003
Echt ist wohl genauer alles im Gedicht, was aus einem tiefen pse_339.004
Gefühl herauswächst, was aus ihm gestaltet ist und nicht bloß pse_339.005
geredet.

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Knapp unter der Stadt, in der die Paläste stehn, pse_339.007
Die Türme der Dome in Wolken greifen, pse_339.008
Wo blühende Zweige in Gärten wehn pse_339.009
Und alle die müßigen Schritte schweifen -- pse_339.010
Knapp unter der Stadt, in der die Autos jagen, pse_339.011
Die Frauen Seide und Glitzern tragen, pse_339.012
Wo in den Nächten durch goldene Säle pse_339.013
Auf Wogen von gepudertem Fleisch pse_339.014
Das Sinne verwirrende Gekreisch pse_339.015
Von heiseren Geigen niederprasselt -- pse_339.016
Knapp unter der Stadt, da sind die Kanäle!
(Wildgans)
pse_339.017
O, der Wahnsinn der großen Stadt, da am Abend pse_339.018
An schwarzer Mauer verkrüppelte Bäume starren, pse_339.019
Aus silberner Maske der Geist des Bösen schaut; pse_339.020
Licht mit magnetischer Geißel die steinerne Nacht verdrängt. pse_339.021
O, das versunkene Läuten der Abendglocken
(Trakl).

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In der ersten Strophe des ersten Gedichts kann man die blendenden pse_339.023
Bilder beachten, die klar angeordnet sind, sich steigern pse_339.024
und sich aus möglichst wirksamen Wortgruppen zusammenfügen. pse_339.025
Der letzte Vers überrascht, das Wort "Kanäle" trifft pse_339.026
hart auf das Rauschende der ersten Verse. Diese Kanäle werden pse_339.027
in den folgenden, hier nicht angeführten Versen in der gleichen pse_339.028
Wortfülle weiter dargestellt. Ganz anders wirkt das pse_339.029
Gedicht von Trakl. Auch hier sehr wirkungsvolle Bilder aus pse_339.030
nicht minder wirkungsvollen Worten gefügt. Aber auch der pse_339.031
unmittelbare Gefühlsausdruck bricht im zweimaligen "o" pse_339.032
durch, der einfachere Satzbau setzt einfach die furchtbaren pse_339.033
Bilder hin und baut sie nicht zu einem großen, kunstvoll geordneten pse_339.034
und gesteigerten Spannungsgefüge auf wie das erste pse_339.035
Gedicht. Man fühlt: Hier bricht ein echtes Gefühl unmittelbar pse_339.036
in der Sprachgestalt durch, dort wird es von Bildern ausgeformt, pse_339.037
die teilweise schon in langer Tradition bereitstehen, es pse_339.038
wird beredet. Man könnte das unecht nennen. Aber erst wenn pse_339.039
man das geradezu virtuosenhafte Spiel mit den weiteren Bildern

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Das ist noch ziemlich unbestimmt und ließe sich auch pse_339.002
mit der Forderung des Zusammenstimmens in eins bringen. pse_339.003
Echt ist wohl genauer alles im Gedicht, was aus einem tiefen pse_339.004
Gefühl herauswächst, was aus ihm gestaltet ist und nicht bloß pse_339.005
geredet.

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Knapp unter der Stadt, in der die Paläste stehn, pse_339.007
Die Türme der Dome in Wolken greifen, pse_339.008
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Und alle die müßigen Schritte schweifen — pse_339.010
Knapp unter der Stadt, in der die Autos jagen, pse_339.011
Die Frauen Seide und Glitzern tragen, pse_339.012
Wo in den Nächten durch goldene Säle pse_339.013
Auf Wogen von gepudertem Fleisch pse_339.014
Das Sinne verwirrende Gekreisch pse_339.015
Von heiseren Geigen niederprasselt — pse_339.016
Knapp unter der Stadt, da sind die Kanäle!
(Wildgans)
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An schwarzer Mauer verkrüppelte Bäume starren, pse_339.019
Aus silberner Maske der Geist des Bösen schaut; pse_339.020
Licht mit magnetischer Geißel die steinerne Nacht verdrängt. pse_339.021
O, das versunkene Läuten der Abendglocken
(Trakl).

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In der ersten Strophe des ersten Gedichts kann man die blendenden pse_339.023
Bilder beachten, die klar angeordnet sind, sich steigern pse_339.024
und sich aus möglichst wirksamen Wortgruppen zusammenfügen. pse_339.025
Der letzte Vers überrascht, das Wort »Kanäle« trifft pse_339.026
hart auf das Rauschende der ersten Verse. Diese Kanäle werden pse_339.027
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Gedicht von Trakl. Auch hier sehr wirkungsvolle Bilder aus pse_339.030
nicht minder wirkungsvollen Worten gefügt. Aber auch der pse_339.031
unmittelbare Gefühlsausdruck bricht im zweimaligen »o« pse_339.032
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Bilder hin und baut sie nicht zu einem großen, kunstvoll geordneten pse_339.034
und gesteigerten Spannungsgefüge auf wie das erste pse_339.035
Gedicht. Man fühlt: Hier bricht ein echtes Gefühl unmittelbar pse_339.036
in der Sprachgestalt durch, dort wird es von Bildern ausgeformt, pse_339.037
die teilweise schon in langer Tradition bereitstehen, es pse_339.038
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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/355>, abgerufen am 22.11.2024.