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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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pse_288.001

Kleine Blumen, kleine Blätter pse_288.002
Streuen mir mit leichter Hand pse_288.003
Gute junge Frühlingsgötter pse_288.004
Tändelnd auf ein luftig Band.
pse_288.005
Zephir, nimm's auf deine Flügel, pse_288.006
Schling's um meiner Liebsten Kleid! pse_288.007
Und so tritt sie vor den Spiegel pse_288.008
All in ihrer Munterkeit.
pse_288.009
Sieht mit Rosen sich umgeben, pse_288.010
Selbst wie eine Rose jung: pse_288.011
Einen Blick geliebtes Leben! pse_288.012
Und ich bin gelohnt genung.
pse_288.013
Fühle, was dies Herz empfindet, pse_288.014
Reiche frei mir deine Hand, pse_288.015
Und das Band, das uns verbindet, pse_288.016
Sei kein schwaches Rosenband.
pse_288.017
   (Goethe, Mit einem gemalten Band).

pse_288.018

Die Gegenstandswörter der ersten Strophe umfassen nur pse_288.019
einen bestimmten Bereich der Nähe, und auch "Frühlingsgötter" pse_288.020
gehört hierher, weil der Gehalt des Wortes "Götter" pse_288.021
durch "Frühling" sofort ins Heitere umgeformt wird. Besonders pse_288.022
bezeichnend ist hier die Fülle der Eindruckswörter und pse_288.023
ihr volles Zusammenstimmen in einem einheitlichen Gefühlsbereich. pse_288.024
Ein anderes Gedicht Goethes gehört an die Grenze, pse_288.025
weil es schon deutlich in seiner Form auf Tieferes weist; aber pse_288.026
die sprachlichen Bilder, der Rhythmus, die Schlichtheit des pse_288.027
Metrums weisen es auf diese Ebene, und das darin Aufleuchtende, pse_288.028
im Symbol vom verpflanzten Blümchen Lebendige pse_288.029
ist -- eben durch die künstlerische Form -- selber das Anmutige:

pse_288.030

[Beginn Spaltensatz]

Ich ging im Walde pse_288.031
So für mich hin, pse_288.032
Und nichts zu suchen, pse_288.033
Das war mein Sinn.
pse_288.034
Im Schatten sah ich pse_288.035
Ein Blümchen stehn, pse_288.036
Wie Sterne leuchtend, pse_288.037
Wie Äuglein schön.
[Spaltenumbruch] pse_288.101
Ich wollt' es brechen, pse_288.102
Da sagt' es fein: pse_288.103
Soll ich zum Welken pse_288.104
Gebrochen sein?
pse_288.105
Ich grub's mit allen pse_288.106
Den Würzlein aus, pse_288.107
Zum Garten trug ich's pse_288.108
Am hübschen Haus.
[Ende Spaltensatz] pse_288.109
Und pflanzt' es wieder pse_288.110
Am stillen Ort; pse_288.111
Nun zweigt es immer pse_288.112
Und blüht so fort.
(Goethe, Gefunden)

pse_288.001

Kleine Blumen, kleine Blätter pse_288.002
Streuen mir mit leichter Hand pse_288.003
Gute junge Frühlingsgötter pse_288.004
Tändelnd auf ein luftig Band.
pse_288.005
Zephir, nimm's auf deine Flügel, pse_288.006
Schling's um meiner Liebsten Kleid! pse_288.007
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All in ihrer Munterkeit.
pse_288.009
Sieht mit Rosen sich umgeben, pse_288.010
Selbst wie eine Rose jung: pse_288.011
Einen Blick geliebtes Leben! pse_288.012
Und ich bin gelohnt genung.
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Fühle, was dies Herz empfindet, pse_288.014
Reiche frei mir deine Hand, pse_288.015
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Sei kein schwaches Rosenband.
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   (Goethe, Mit einem gemalten Band).

pse_288.018

Die Gegenstandswörter der ersten Strophe umfassen nur pse_288.019
einen bestimmten Bereich der Nähe, und auch »Frühlingsgötter« pse_288.020
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ihr volles Zusammenstimmen in einem einheitlichen Gefühlsbereich. pse_288.024
Ein anderes Gedicht Goethes gehört an die Grenze, pse_288.025
weil es schon deutlich in seiner Form auf Tieferes weist; aber pse_288.026
die sprachlichen Bilder, der Rhythmus, die Schlichtheit des pse_288.027
Metrums weisen es auf diese Ebene, und das darin Aufleuchtende, pse_288.028
im Symbol vom verpflanzten Blümchen Lebendige pse_288.029
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[Beginn Spaltensatz]

Ich ging im Walde pse_288.031
So für mich hin, pse_288.032
Und nichts zu suchen, pse_288.033
Das war mein Sinn.
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Im Schatten sah ich pse_288.035
Ein Blümchen stehn, pse_288.036
Wie Sterne leuchtend, pse_288.037
Wie Äuglein schön.
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Ich wollt' es brechen, pse_288.102
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Ich grub's mit allen pse_288.106
Den Würzlein aus, pse_288.107
Zum Garten trug ich's pse_288.108
Am hübschen Haus.
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Und pflanzt' es wieder pse_288.110
Am stillen Ort; pse_288.111
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(Goethe, Gefunden)

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/304>, abgerufen am 22.11.2024.