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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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Soziale und geschichtliche Bindungen des Stils

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Auch sprachkünstlerisch kann Dichtung nicht voll erfaßt pse_241.003
werden, wenn man außer acht läßt, daß die Sprache eine bedeutende pse_241.004
Kraft in der menschlichen Gemeinschaft ist, daß die pse_241.005
mannigfachsten Beziehungen zwischen beiden bestehen und pse_241.006
daß sie daher auch in die Geschichte dieser Gemeinschaften pse_241.007
hineingezogen ist. Dasselbe gilt für die Sprachkunst, die ja pse_241.008
nur eine besondere Ausformung der Sprache überhaupt ist.

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Die Sprache ist überindividuell, daher etwas Geistiges, sie pse_241.010
arbeitet mit an der Bildung von Gemeinschaften. Denn sie pse_241.011
gestaltet die geistige Welt, d. h. wählt aus den möglichen pse_241.012
Erfahrungen die für eine Gemeinschaft lebenswichtigen aus pse_241.013
und prägt sie dauerhaft und jederzeit wiederholbar. Am eindringlichsten pse_241.014
ist das in der Sprachkunst, da sie ja aus den pse_241.015
Tiefen des Inneren schöpft und auf diese wieder wirkt. In der pse_241.016
Gemütsbeziehung zur Welt steckt eine starke Kraft der Gemeinschaftsbildung. pse_241.017
Diese Gemütsbezüge sind geprägt im pse_241.018
Stil. Die Bezüge zwischen Stil und Gemeinschaft sind zweierlei pse_241.019
Art: 1. Die Gemeinschaft hat eine stilbestimmende Kraft. pse_241.020
Denn sie ist gemeinsame Welterfahrung: welche Welt und pse_241.021
welche Art des Erlebens in einer Gemeinschaft entscheidend pse_241.022
sind, ergibt sich aus dem Dasein und Wesen der Gemeinschaft. pse_241.023
In der sprachlichen Gestaltung findet es seinen Niederschlag. pse_241.024
Stil wird so Ausprägung einer Gemeinschaftshaltung. 2. Der pse_241.025
Stil hat eine gemeinschaftsbildende Kraft. Durch die Stilwerte pse_241.026
eines Sprachkunstwerks werden im Erlebenden gerade die pse_241.027
Gefühlsbereiche angesprochen und geführt, die die Gefühlsprägung pse_241.028
der Gruppe ausmachen. Sie wird durch den Stil in pse_241.029
uns lebendig. Aber selbstverständlich können ursprünglich pse_241.030
stilhafte Formen zu Formeln verflacht werden, wie etwa die pse_241.031
Grußformen.

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Wir unterscheiden am besten zwei Arten von Gemeinschaften pse_241.033
für unsere Betrachtung der dichterischen Sprache. pse_241.034
Solche zunächst, die mit den tiefsten und unmittelbarsten pse_241.035
Lebensvorgängen zusammenhängen: Ehe, Familie, Sippe, pse_241.036
Stamm, Volk. Im fortgeschrittenen Kulturleben sind sie vielfach

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Soziale und geschichtliche Bindungen des Stils

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Auch sprachkünstlerisch kann Dichtung nicht voll erfaßt pse_241.003
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Kraft in der menschlichen Gemeinschaft ist, daß die pse_241.005
mannigfachsten Beziehungen zwischen beiden bestehen und pse_241.006
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hineingezogen ist. Dasselbe gilt für die Sprachkunst, die ja pse_241.008
nur eine besondere Ausformung der Sprache überhaupt ist.

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Die Sprache ist überindividuell, daher etwas Geistiges, sie pse_241.010
arbeitet mit an der Bildung von Gemeinschaften. Denn sie pse_241.011
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Tiefen des Inneren schöpft und auf diese wieder wirkt. In der pse_241.016
Gemütsbeziehung zur Welt steckt eine starke Kraft der Gemeinschaftsbildung. pse_241.017
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Stil wird so Ausprägung einer Gemeinschaftshaltung. 2. Der pse_241.025
Stil hat eine gemeinschaftsbildende Kraft. Durch die Stilwerte pse_241.026
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Gefühlsbereiche angesprochen und geführt, die die Gefühlsprägung pse_241.028
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uns lebendig. Aber selbstverständlich können ursprünglich pse_241.030
stilhafte Formen zu Formeln verflacht werden, wie etwa die pse_241.031
Grußformen.

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für unsere Betrachtung der dichterischen Sprache. pse_241.034
Solche zunächst, die mit den tiefsten und unmittelbarsten pse_241.035
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[241/0257] pse_241.001 Soziale und geschichtliche Bindungen des Stils pse_241.002 Auch sprachkünstlerisch kann Dichtung nicht voll erfaßt pse_241.003 werden, wenn man außer acht läßt, daß die Sprache eine bedeutende pse_241.004 Kraft in der menschlichen Gemeinschaft ist, daß die pse_241.005 mannigfachsten Beziehungen zwischen beiden bestehen und pse_241.006 daß sie daher auch in die Geschichte dieser Gemeinschaften pse_241.007 hineingezogen ist. Dasselbe gilt für die Sprachkunst, die ja pse_241.008 nur eine besondere Ausformung der Sprache überhaupt ist. pse_241.009 Die Sprache ist überindividuell, daher etwas Geistiges, sie pse_241.010 arbeitet mit an der Bildung von Gemeinschaften. Denn sie pse_241.011 gestaltet die geistige Welt, d. h. wählt aus den möglichen pse_241.012 Erfahrungen die für eine Gemeinschaft lebenswichtigen aus pse_241.013 und prägt sie dauerhaft und jederzeit wiederholbar. Am eindringlichsten pse_241.014 ist das in der Sprachkunst, da sie ja aus den pse_241.015 Tiefen des Inneren schöpft und auf diese wieder wirkt. In der pse_241.016 Gemütsbeziehung zur Welt steckt eine starke Kraft der Gemeinschaftsbildung. pse_241.017 Diese Gemütsbezüge sind geprägt im pse_241.018 Stil. Die Bezüge zwischen Stil und Gemeinschaft sind zweierlei pse_241.019 Art: 1. Die Gemeinschaft hat eine stilbestimmende Kraft. pse_241.020 Denn sie ist gemeinsame Welterfahrung: welche Welt und pse_241.021 welche Art des Erlebens in einer Gemeinschaft entscheidend pse_241.022 sind, ergibt sich aus dem Dasein und Wesen der Gemeinschaft. pse_241.023 In der sprachlichen Gestaltung findet es seinen Niederschlag. pse_241.024 Stil wird so Ausprägung einer Gemeinschaftshaltung. 2. Der pse_241.025 Stil hat eine gemeinschaftsbildende Kraft. Durch die Stilwerte pse_241.026 eines Sprachkunstwerks werden im Erlebenden gerade die pse_241.027 Gefühlsbereiche angesprochen und geführt, die die Gefühlsprägung pse_241.028 der Gruppe ausmachen. Sie wird durch den Stil in pse_241.029 uns lebendig. Aber selbstverständlich können ursprünglich pse_241.030 stilhafte Formen zu Formeln verflacht werden, wie etwa die pse_241.031 Grußformen. pse_241.032 Wir unterscheiden am besten zwei Arten von Gemeinschaften pse_241.033 für unsere Betrachtung der dichterischen Sprache. pse_241.034 Solche zunächst, die mit den tiefsten und unmittelbarsten pse_241.035 Lebensvorgängen zusammenhängen: Ehe, Familie, Sippe, pse_241.036 Stamm, Volk. Im fortgeschrittenen Kulturleben sind sie vielfach

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/257>, abgerufen am 25.11.2024.