pse_178.001 der Gefügesatz in ihm seine Krone hat. Geht diese Architektur pse_178.002 durch ein ganzes Werk, so erhält es den Charakter der pse_178.003 Geschlossenheit, Ausgewogenheit, Harmonie. Vielleicht sind pse_178.004 wir bei einem solchen Satzbau auch dem nahe, was man pse_178.005 klassisch nennt. Ganz anders, wenn nach einer Reihe von pse_178.006 Nebensätzen, die bis in Inneres reich ausgeformt sind, ein pse_178.007 knapper Hauptsatz überraschend abschließt. Hier entsteht pse_178.008 eine gewisse Unruhe, Unausgeglichenheit, Erregtheit: ein pse_178.009 eindringliches Beispiel ist der Satz im ersten Teil des "Werther" pse_178.010 vom 18. August, der beginnt: "Wenn ich sonst vom Felsen". pse_178.011 Man darf allerdings nicht bloß die äußere Länge, sondern muß pse_178.012 auch die sinnmäßige und in den Wortgehalten gestaltete Gewichtigkeit pse_178.013 des Hauptsatzes beachten: ein kurzer Hauptsatz pse_178.014 kann unter Umständen wie ein wuchtiger Schlag abschließen. pse_178.015 Aber die Kuppel wird er dann nicht mehr sein. Die Gliedsätze pse_178.016 selbst haben im Ganzen des Satzes den Wert, daß in ihnen die pse_178.017 Bewegung des Satzvorgangs weiterläuft, ja sogar angereichert pse_178.018 wird: "Da erfuhr ich seinen Tod" -- "da erfuhr ich, daß er pse_178.019 gestorben war." Aber auch ihre Form kann künstlerisch belangvoll pse_178.020 sein. Gliedsätze, die nur im Zusammenhang als pse_178.021 Glieder erkennbar, die nicht durch das Einleitewort gekennzeichnet pse_178.022 sind, erwirken eine Art Schwebezustand, in dem erst pse_178.023 durch Zusammenklingen des ganzen Sinnes ihre Einordnung pse_178.024 deutlich wird: "Ist ihm etwas zugestoßen, so werden wir es pse_178.025 bald erfahren." Hier behält der Gliedsatz noch etwas vom pse_178.026 Wert des Fragens, der Dichter kann solche Möglichkeiten pse_178.027 noch stärker heraustreiben. Der eingeleitete Gliedsatz stellt pse_178.028 ein deutliches Spannungsgefüge, vor allem in der deutschen pse_178.029 Sprache dar: das Einleitewort gibt eine klare Richtung an, pse_178.030 die erst im abschließenden Vorgangswort ihre Lösung findet. pse_178.031 Eine Spannung entsteht, so daß auch hier von einem gewissen pse_178.032 dramatischen Zug gesprochen werden könnte, und dadurch, pse_178.033 daß das Vorgangswort am Ende steht, wird nun das Vorganghafte pse_178.034 nochmals stark herausgehoben. Gerade da aber zeigen pse_178.035 sich deutliche Unterschiede der Gliedsätze. Die Einleiteworte pse_178.036 geben Klarheit und eindeutige Richtung: wenn, obgleich, pse_178.037 dergestalt daß; überhaupt wirkt da schon die lautliche Schärfe pse_178.038 etwa des "daß" herein. Im Anschluß an B. Brecht können wir
pse_178.001 der Gefügesatz in ihm seine Krone hat. Geht diese Architektur pse_178.002 durch ein ganzes Werk, so erhält es den Charakter der pse_178.003 Geschlossenheit, Ausgewogenheit, Harmonie. Vielleicht sind pse_178.004 wir bei einem solchen Satzbau auch dem nahe, was man pse_178.005 klassisch nennt. Ganz anders, wenn nach einer Reihe von pse_178.006 Nebensätzen, die bis in Inneres reich ausgeformt sind, ein pse_178.007 knapper Hauptsatz überraschend abschließt. Hier entsteht pse_178.008 eine gewisse Unruhe, Unausgeglichenheit, Erregtheit: ein pse_178.009 eindringliches Beispiel ist der Satz im ersten Teil des »Werther« pse_178.010 vom 18. August, der beginnt: »Wenn ich sonst vom Felsen«. pse_178.011 Man darf allerdings nicht bloß die äußere Länge, sondern muß pse_178.012 auch die sinnmäßige und in den Wortgehalten gestaltete Gewichtigkeit pse_178.013 des Hauptsatzes beachten: ein kurzer Hauptsatz pse_178.014 kann unter Umständen wie ein wuchtiger Schlag abschließen. pse_178.015 Aber die Kuppel wird er dann nicht mehr sein. Die Gliedsätze pse_178.016 selbst haben im Ganzen des Satzes den Wert, daß in ihnen die pse_178.017 Bewegung des Satzvorgangs weiterläuft, ja sogar angereichert pse_178.018 wird: »Da erfuhr ich seinen Tod« — »da erfuhr ich, daß er pse_178.019 gestorben war.« Aber auch ihre Form kann künstlerisch belangvoll pse_178.020 sein. Gliedsätze, die nur im Zusammenhang als pse_178.021 Glieder erkennbar, die nicht durch das Einleitewort gekennzeichnet pse_178.022 sind, erwirken eine Art Schwebezustand, in dem erst pse_178.023 durch Zusammenklingen des ganzen Sinnes ihre Einordnung pse_178.024 deutlich wird: »Ist ihm etwas zugestoßen, so werden wir es pse_178.025 bald erfahren.« Hier behält der Gliedsatz noch etwas vom pse_178.026 Wert des Fragens, der Dichter kann solche Möglichkeiten pse_178.027 noch stärker heraustreiben. Der eingeleitete Gliedsatz stellt pse_178.028 ein deutliches Spannungsgefüge, vor allem in der deutschen pse_178.029 Sprache dar: das Einleitewort gibt eine klare Richtung an, pse_178.030 die erst im abschließenden Vorgangswort ihre Lösung findet. pse_178.031 Eine Spannung entsteht, so daß auch hier von einem gewissen pse_178.032 dramatischen Zug gesprochen werden könnte, und dadurch, pse_178.033 daß das Vorgangswort am Ende steht, wird nun das Vorganghafte pse_178.034 nochmals stark herausgehoben. Gerade da aber zeigen pse_178.035 sich deutliche Unterschiede der Gliedsätze. Die Einleiteworte pse_178.036 geben Klarheit und eindeutige Richtung: wenn, obgleich, pse_178.037 dergestalt daß; überhaupt wirkt da schon die lautliche Schärfe pse_178.038 etwa des »daß« herein. Im Anschluß an B. Brecht können wir
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Geschlossenheit, Ausgewogenheit, Harmonie. Vielleicht sind pse_178.004
wir bei einem solchen Satzbau auch dem nahe, was man pse_178.005
klassisch nennt. Ganz anders, wenn nach einer Reihe von pse_178.006
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eine gewisse Unruhe, Unausgeglichenheit, Erregtheit: ein pse_178.009
eindringliches Beispiel ist der Satz im ersten Teil des »Werther« pse_178.010
vom 18. August, der beginnt: »Wenn ich sonst vom Felsen«. pse_178.011
Man darf allerdings nicht bloß die äußere Länge, sondern muß pse_178.012
auch die sinnmäßige und in den Wortgehalten gestaltete Gewichtigkeit pse_178.013
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gestorben war.« Aber auch ihre Form kann künstlerisch belangvoll pse_178.020
sein. Gliedsätze, die nur im Zusammenhang als pse_178.021
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sind, erwirken eine Art Schwebezustand, in dem erst pse_178.023
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ein deutliches Spannungsgefüge, vor allem in der deutschen pse_178.029
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die erst im abschließenden Vorgangswort ihre Lösung findet. pse_178.031
Eine Spannung entsteht, so daß auch hier von einem gewissen pse_178.032
dramatischen Zug gesprochen werden könnte, und dadurch, pse_178.033
daß das Vorgangswort am Ende steht, wird nun das Vorganghafte pse_178.034
nochmals stark herausgehoben. Gerade da aber zeigen pse_178.035
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/194>, abgerufen am 27.04.2024.
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