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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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einen schwächeren Ausdruck, der aber gerade im ganzen pse_113.002
Zusammenhang in seiner Lächerlichkeit für diesen Fall deutlich pse_113.003
wird und den betreffenden Menschen dann dadurch pse_113.004
bloßstellt; so wenn man etwa einen abgefeimten Betrüger pse_113.005
einen "geschickten Rechner" nennt. Immer ist Ironie in der pse_113.006
sprachlichen Gestaltung ein leises Verstellen oder Verbergen pse_113.007
aus bewußter geistiger Überlegenheit, wodurch aber gerade pse_113.008
das Betreffende in seiner Bedenklichkeit oder Wertlosigkeit, pse_113.009
nicht grob zutappend, bloßgestellt wird.

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Von der Ironie sind der Sarkasmus und der Spott zu trennen. pse_113.011
Auch in diesen beiden Haltungen stellen wir etwas oder jemanden pse_113.012
bloß, der sich in unseren Augen oder tatsächlich zu pse_113.013
hoch einschätzt. Aber beide haben eine Schärfe, die über die pse_113.014
Ironie hinausgeht. Der Spott ist derb, er ist schon auf frühen pse_113.015
Kulturstufen durchaus möglich, findet sich schon bei Homer pse_113.016
und in der Edda. Er kann infolge seiner Handgreiflichkeit pse_113.017
auch volkstümlich sein. Er vernichtet durch Lächerlichmachen pse_113.018
in ganz unverhüllter Weise. Sarkasmus aber ist pse_113.019
wieder so wie Ironie geistiges Spiel, doch man spürt die pse_113.020
Schärfe eines Menschen dahinter, der nicht über dem Ganzen pse_113.021
steht, sondern affekthaft davon betroffen ist.

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Die inneren Haltungen von Ironie, Spott und Sarkasmus pse_113.023
führen nun zu einer Weltsicht, die der tragischen vielfach pse_113.024
entgegengestellt wird, zur Komik. Auch sie ist eine Art, die pse_113.025
Welt oder Weltausschnitte zu sehen. Komik wird ein Mensch pse_113.026
aus bestimmter Haltung heraus in der Welt entdecken, es pse_113.027
wird ihm so etwas komisch erscheinen. Wieder sind nicht so pse_113.028
sehr reale Gegebenheiten selbst komisch, sie werden es erst pse_113.029
in der Auffassung durch einen besonders gestimmten Menschen. pse_113.030
Freilich kann die Art von Tatbeständen, ebenso wie pse_113.031
bei der Tragik, solcher Auffassung mehr oder weniger entgegenkommen.

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Die Besinnung auf das Wesen des Komischen setzt etwa pse_113.034
im 17. Jahrhundert ein. Besonders haben sich dann Kant und pse_113.035
Jean Paul damit abgegeben. Später hat sich die Romantik pse_113.036
theoretisch mit der Komik befaßt. Von diesem Zeitpunkt pse_113.037
an entfaltet sich die Theorie des Komischen in breitem Strom, pse_113.038
der hier nicht genauer betrachtet werden kann.

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einen schwächeren Ausdruck, der aber gerade im ganzen pse_113.002
Zusammenhang in seiner Lächerlichkeit für diesen Fall deutlich pse_113.003
wird und den betreffenden Menschen dann dadurch pse_113.004
bloßstellt; so wenn man etwa einen abgefeimten Betrüger pse_113.005
einen »geschickten Rechner« nennt. Immer ist Ironie in der pse_113.006
sprachlichen Gestaltung ein leises Verstellen oder Verbergen pse_113.007
aus bewußter geistiger Überlegenheit, wodurch aber gerade pse_113.008
das Betreffende in seiner Bedenklichkeit oder Wertlosigkeit, pse_113.009
nicht grob zutappend, bloßgestellt wird.

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Von der Ironie sind der Sarkasmus und der Spott zu trennen. pse_113.011
Auch in diesen beiden Haltungen stellen wir etwas oder jemanden pse_113.012
bloß, der sich in unseren Augen oder tatsächlich zu pse_113.013
hoch einschätzt. Aber beide haben eine Schärfe, die über die pse_113.014
Ironie hinausgeht. Der Spott ist derb, er ist schon auf frühen pse_113.015
Kulturstufen durchaus möglich, findet sich schon bei Homer pse_113.016
und in der Edda. Er kann infolge seiner Handgreiflichkeit pse_113.017
auch volkstümlich sein. Er vernichtet durch Lächerlichmachen pse_113.018
in ganz unverhüllter Weise. Sarkasmus aber ist pse_113.019
wieder so wie Ironie geistiges Spiel, doch man spürt die pse_113.020
Schärfe eines Menschen dahinter, der nicht über dem Ganzen pse_113.021
steht, sondern affekthaft davon betroffen ist.

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Die inneren Haltungen von Ironie, Spott und Sarkasmus pse_113.023
führen nun zu einer Weltsicht, die der tragischen vielfach pse_113.024
entgegengestellt wird, zur Komik. Auch sie ist eine Art, die pse_113.025
Welt oder Weltausschnitte zu sehen. Komik wird ein Mensch pse_113.026
aus bestimmter Haltung heraus in der Welt entdecken, es pse_113.027
wird ihm so etwas komisch erscheinen. Wieder sind nicht so pse_113.028
sehr reale Gegebenheiten selbst komisch, sie werden es erst pse_113.029
in der Auffassung durch einen besonders gestimmten Menschen. pse_113.030
Freilich kann die Art von Tatbeständen, ebenso wie pse_113.031
bei der Tragik, solcher Auffassung mehr oder weniger entgegenkommen.

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Die Besinnung auf das Wesen des Komischen setzt etwa pse_113.034
im 17. Jahrhundert ein. Besonders haben sich dann Kant und pse_113.035
Jean Paul damit abgegeben. Später hat sich die Romantik pse_113.036
theoretisch mit der Komik befaßt. Von diesem Zeitpunkt pse_113.037
an entfaltet sich die Theorie des Komischen in breitem Strom, pse_113.038
der hier nicht genauer betrachtet werden kann.

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[113/0129] pse_113.001 einen schwächeren Ausdruck, der aber gerade im ganzen pse_113.002 Zusammenhang in seiner Lächerlichkeit für diesen Fall deutlich pse_113.003 wird und den betreffenden Menschen dann dadurch pse_113.004 bloßstellt; so wenn man etwa einen abgefeimten Betrüger pse_113.005 einen »geschickten Rechner« nennt. Immer ist Ironie in der pse_113.006 sprachlichen Gestaltung ein leises Verstellen oder Verbergen pse_113.007 aus bewußter geistiger Überlegenheit, wodurch aber gerade pse_113.008 das Betreffende in seiner Bedenklichkeit oder Wertlosigkeit, pse_113.009 nicht grob zutappend, bloßgestellt wird. pse_113.010 Von der Ironie sind der Sarkasmus und der Spott zu trennen. pse_113.011 Auch in diesen beiden Haltungen stellen wir etwas oder jemanden pse_113.012 bloß, der sich in unseren Augen oder tatsächlich zu pse_113.013 hoch einschätzt. Aber beide haben eine Schärfe, die über die pse_113.014 Ironie hinausgeht. Der Spott ist derb, er ist schon auf frühen pse_113.015 Kulturstufen durchaus möglich, findet sich schon bei Homer pse_113.016 und in der Edda. Er kann infolge seiner Handgreiflichkeit pse_113.017 auch volkstümlich sein. Er vernichtet durch Lächerlichmachen pse_113.018 in ganz unverhüllter Weise. Sarkasmus aber ist pse_113.019 wieder so wie Ironie geistiges Spiel, doch man spürt die pse_113.020 Schärfe eines Menschen dahinter, der nicht über dem Ganzen pse_113.021 steht, sondern affekthaft davon betroffen ist. pse_113.022 Die inneren Haltungen von Ironie, Spott und Sarkasmus pse_113.023 führen nun zu einer Weltsicht, die der tragischen vielfach pse_113.024 entgegengestellt wird, zur Komik. Auch sie ist eine Art, die pse_113.025 Welt oder Weltausschnitte zu sehen. Komik wird ein Mensch pse_113.026 aus bestimmter Haltung heraus in der Welt entdecken, es pse_113.027 wird ihm so etwas komisch erscheinen. Wieder sind nicht so pse_113.028 sehr reale Gegebenheiten selbst komisch, sie werden es erst pse_113.029 in der Auffassung durch einen besonders gestimmten Menschen. pse_113.030 Freilich kann die Art von Tatbeständen, ebenso wie pse_113.031 bei der Tragik, solcher Auffassung mehr oder weniger entgegenkommen. pse_113.032 pse_113.033 Die Besinnung auf das Wesen des Komischen setzt etwa pse_113.034 im 17. Jahrhundert ein. Besonders haben sich dann Kant und pse_113.035 Jean Paul damit abgegeben. Später hat sich die Romantik pse_113.036 theoretisch mit der Komik befaßt. Von diesem Zeitpunkt pse_113.037 an entfaltet sich die Theorie des Komischen in breitem Strom, pse_113.038 der hier nicht genauer betrachtet werden kann.

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/129>, abgerufen am 03.05.2024.