Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

Bild:
<< vorherige Seite

pse_114.001
Die Ausgangslagen komischer Weltauffassung sind verschieden. pse_114.002
Wenn wir auf den Humor zurückblicken, können pse_114.003
wir sie klar ins Auge bekommen. Zwei Züge vor allem pse_114.004
ändern die Haltung des Humors in einer Weise ab, daß komische pse_114.005
Weltsicht entstehen kann. Der eine ist die Teilnahmslosigkeit; pse_114.006
der humorvolle Mensch wendet sich dem, was ihn pse_114.007
zum Lächeln bringt, was ihn heiter stimmt, mit gemüthafter pse_114.008
Aufgeschlossenheit, ja mit Liebe zu. Sobald aber überlegene pse_114.009
Distanz eintritt, eine gewisse Teilnahmslosigkeit gegenüber pse_114.010
dem Verspotteten, ist der Weg zur komischen Weltsicht pse_114.011
betreten. Der andere wird deutlich, wenn das Lachen mit pse_114.012
jemandem, das Lächeln über etwas schwinden, wenn nun pse_114.013
ganz deutlich etwas oder jemand lächerlich gemacht wird. pse_114.014
Der sprachliche Gehalt der Worte lachen, lächeln, lächerlich pse_114.015
ist ein feiner Wegweiser für diese Dinge. Das Spiel der geistigen pse_114.016
Überlegenheit ist hier ganz deutlich. Die Haltungen pse_114.017
des Spottes, der Ironie, des Sarkasmus treten nun in den Vordergrund, pse_114.018
und mit ihnen bildet sich das Komische. Es darf pse_114.019
nicht verkannt werden, daß geistiges Spiel auch Ausdruck pse_114.020
übermütiger Lebenslust sein kann. Daraus erwachsen auch pse_114.021
komische Schöpfungen, etwa in der Antike schon der dickbäuchige pse_114.022
Satyr mit dem übergroßen Phallus.

pse_114.023
Auch das Komische ist in seinem Wesen nicht ganz einfach pse_114.024
zu fassen. Wir beginnen mit drei Beispielen. Ein Mensch pse_114.025
guckt in die Sterne und fällt dabei in den Graben: das ist pse_114.026
komisch. Der Dorfrichter Adam ist in seiner ganzen Erbärmlichkeit pse_114.027
bloßgestellt und läuft zur Tür hinaus: auch das ist pse_114.028
komisch. In der Ilias (1. Gesang) stehen die berühmten Verse:

pse_114.029
"Nun erhoben unsterbliches Lachen die seligen Götter, pse_114.030
Als sie Hephaistos erblickten, wie dieser den Saal durch    schnaufte."
pse_114.031
pse_114.032

Das Wesentliche, was da zum Lachen reizt, ist im ersten Fall pse_114.033
der Widerspruch zwischen dem idealen Trieb des Menschen pse_114.034
und seiner irdischen Hinfälligkeit, im zweiten der Widerspruch pse_114.035
zwischen dem angemaßten Amt und seinem Anspruch pse_114.036
einerseits und der menschlichen Erbärmlichkeit des Trägers pse_114.037
andererseits, im dritten der Widerspruch, der darin liegt, daß

pse_114.001
Die Ausgangslagen komischer Weltauffassung sind verschieden. pse_114.002
Wenn wir auf den Humor zurückblicken, können pse_114.003
wir sie klar ins Auge bekommen. Zwei Züge vor allem pse_114.004
ändern die Haltung des Humors in einer Weise ab, daß komische pse_114.005
Weltsicht entstehen kann. Der eine ist die Teilnahmslosigkeit; pse_114.006
der humorvolle Mensch wendet sich dem, was ihn pse_114.007
zum Lächeln bringt, was ihn heiter stimmt, mit gemüthafter pse_114.008
Aufgeschlossenheit, ja mit Liebe zu. Sobald aber überlegene pse_114.009
Distanz eintritt, eine gewisse Teilnahmslosigkeit gegenüber pse_114.010
dem Verspotteten, ist der Weg zur komischen Weltsicht pse_114.011
betreten. Der andere wird deutlich, wenn das Lachen mit pse_114.012
jemandem, das Lächeln über etwas schwinden, wenn nun pse_114.013
ganz deutlich etwas oder jemand lächerlich gemacht wird. pse_114.014
Der sprachliche Gehalt der Worte lachen, lächeln, lächerlich pse_114.015
ist ein feiner Wegweiser für diese Dinge. Das Spiel der geistigen pse_114.016
Überlegenheit ist hier ganz deutlich. Die Haltungen pse_114.017
des Spottes, der Ironie, des Sarkasmus treten nun in den Vordergrund, pse_114.018
und mit ihnen bildet sich das Komische. Es darf pse_114.019
nicht verkannt werden, daß geistiges Spiel auch Ausdruck pse_114.020
übermütiger Lebenslust sein kann. Daraus erwachsen auch pse_114.021
komische Schöpfungen, etwa in der Antike schon der dickbäuchige pse_114.022
Satyr mit dem übergroßen Phallus.

pse_114.023
Auch das Komische ist in seinem Wesen nicht ganz einfach pse_114.024
zu fassen. Wir beginnen mit drei Beispielen. Ein Mensch pse_114.025
guckt in die Sterne und fällt dabei in den Graben: das ist pse_114.026
komisch. Der Dorfrichter Adam ist in seiner ganzen Erbärmlichkeit pse_114.027
bloßgestellt und läuft zur Tür hinaus: auch das ist pse_114.028
komisch. In der Ilias (1. Gesang) stehen die berühmten Verse:

pse_114.029
»Nun erhoben unsterbliches Lachen die seligen Götter, pse_114.030
Als sie Hephaistos erblickten, wie dieser den Saal durch    schnaufte.«
pse_114.031
pse_114.032

Das Wesentliche, was da zum Lachen reizt, ist im ersten Fall pse_114.033
der Widerspruch zwischen dem idealen Trieb des Menschen pse_114.034
und seiner irdischen Hinfälligkeit, im zweiten der Widerspruch pse_114.035
zwischen dem angemaßten Amt und seinem Anspruch pse_114.036
einerseits und der menschlichen Erbärmlichkeit des Trägers pse_114.037
andererseits, im dritten der Widerspruch, der darin liegt, daß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0130" n="114"/>
            <p><lb n="pse_114.001"/>
Die Ausgangslagen komischer Weltauffassung sind verschieden. <lb n="pse_114.002"/>
Wenn wir auf den Humor zurückblicken, können <lb n="pse_114.003"/>
wir sie klar ins Auge bekommen. Zwei Züge vor allem <lb n="pse_114.004"/>
ändern die Haltung des Humors in einer Weise ab, daß komische <lb n="pse_114.005"/>
Weltsicht entstehen kann. Der eine ist die Teilnahmslosigkeit; <lb n="pse_114.006"/>
der humorvolle Mensch wendet sich dem, was ihn <lb n="pse_114.007"/>
zum Lächeln bringt, was ihn heiter stimmt, mit gemüthafter <lb n="pse_114.008"/>
Aufgeschlossenheit, ja mit Liebe zu. Sobald aber überlegene <lb n="pse_114.009"/>
Distanz eintritt, eine gewisse Teilnahmslosigkeit gegenüber <lb n="pse_114.010"/>
dem Verspotteten, ist der Weg zur komischen Weltsicht <lb n="pse_114.011"/>
betreten. Der andere wird deutlich, wenn das Lachen mit <lb n="pse_114.012"/>
jemandem, das Lächeln über etwas schwinden, wenn nun <lb n="pse_114.013"/>
ganz deutlich etwas oder jemand lächerlich gemacht wird. <lb n="pse_114.014"/>
Der sprachliche Gehalt der Worte lachen, lächeln, lächerlich <lb n="pse_114.015"/>
ist ein feiner Wegweiser für diese Dinge. Das Spiel der geistigen <lb n="pse_114.016"/>
Überlegenheit ist hier ganz deutlich. Die Haltungen <lb n="pse_114.017"/>
des Spottes, der Ironie, des Sarkasmus treten nun in den Vordergrund, <lb n="pse_114.018"/>
und mit ihnen bildet sich das Komische. Es darf <lb n="pse_114.019"/>
nicht verkannt werden, daß geistiges Spiel auch Ausdruck <lb n="pse_114.020"/>
übermütiger Lebenslust sein kann. Daraus erwachsen auch <lb n="pse_114.021"/>
komische Schöpfungen, etwa in der Antike schon der dickbäuchige <lb n="pse_114.022"/>
Satyr mit dem übergroßen Phallus.</p>
            <p><lb n="pse_114.023"/>
Auch das Komische ist in seinem Wesen nicht ganz einfach <lb n="pse_114.024"/>
zu fassen. Wir beginnen mit drei Beispielen. Ein Mensch <lb n="pse_114.025"/>
guckt in die Sterne und fällt dabei in den Graben: das ist <lb n="pse_114.026"/>
komisch. Der Dorfrichter Adam ist in seiner ganzen Erbärmlichkeit <lb n="pse_114.027"/>
bloßgestellt und läuft zur Tür hinaus: auch das ist <lb n="pse_114.028"/>
komisch. In der Ilias (1. Gesang) stehen die berühmten Verse:</p>
            <lb n="pse_114.029"/>
            <lg>
              <l>»Nun erhoben unsterbliches Lachen die seligen Götter,</l>
              <lb n="pse_114.030"/>
              <l>Als sie Hephaistos erblickten, wie dieser den Saal durch <space dim="horizontal"/>schnaufte.«</l>
            </lg>
            <lb n="pse_114.031"/>
            <lb n="pse_114.032"/>
            <p>Das Wesentliche, was da zum Lachen reizt, ist im ersten Fall <lb n="pse_114.033"/>
der Widerspruch zwischen dem idealen Trieb des Menschen <lb n="pse_114.034"/>
und seiner irdischen Hinfälligkeit, im zweiten der Widerspruch <lb n="pse_114.035"/>
zwischen dem angemaßten Amt und seinem Anspruch <lb n="pse_114.036"/>
einerseits und der menschlichen Erbärmlichkeit des Trägers <lb n="pse_114.037"/>
andererseits, im dritten der Widerspruch, der darin liegt, daß
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[114/0130] pse_114.001 Die Ausgangslagen komischer Weltauffassung sind verschieden. pse_114.002 Wenn wir auf den Humor zurückblicken, können pse_114.003 wir sie klar ins Auge bekommen. Zwei Züge vor allem pse_114.004 ändern die Haltung des Humors in einer Weise ab, daß komische pse_114.005 Weltsicht entstehen kann. Der eine ist die Teilnahmslosigkeit; pse_114.006 der humorvolle Mensch wendet sich dem, was ihn pse_114.007 zum Lächeln bringt, was ihn heiter stimmt, mit gemüthafter pse_114.008 Aufgeschlossenheit, ja mit Liebe zu. Sobald aber überlegene pse_114.009 Distanz eintritt, eine gewisse Teilnahmslosigkeit gegenüber pse_114.010 dem Verspotteten, ist der Weg zur komischen Weltsicht pse_114.011 betreten. Der andere wird deutlich, wenn das Lachen mit pse_114.012 jemandem, das Lächeln über etwas schwinden, wenn nun pse_114.013 ganz deutlich etwas oder jemand lächerlich gemacht wird. pse_114.014 Der sprachliche Gehalt der Worte lachen, lächeln, lächerlich pse_114.015 ist ein feiner Wegweiser für diese Dinge. Das Spiel der geistigen pse_114.016 Überlegenheit ist hier ganz deutlich. Die Haltungen pse_114.017 des Spottes, der Ironie, des Sarkasmus treten nun in den Vordergrund, pse_114.018 und mit ihnen bildet sich das Komische. Es darf pse_114.019 nicht verkannt werden, daß geistiges Spiel auch Ausdruck pse_114.020 übermütiger Lebenslust sein kann. Daraus erwachsen auch pse_114.021 komische Schöpfungen, etwa in der Antike schon der dickbäuchige pse_114.022 Satyr mit dem übergroßen Phallus. pse_114.023 Auch das Komische ist in seinem Wesen nicht ganz einfach pse_114.024 zu fassen. Wir beginnen mit drei Beispielen. Ein Mensch pse_114.025 guckt in die Sterne und fällt dabei in den Graben: das ist pse_114.026 komisch. Der Dorfrichter Adam ist in seiner ganzen Erbärmlichkeit pse_114.027 bloßgestellt und läuft zur Tür hinaus: auch das ist pse_114.028 komisch. In der Ilias (1. Gesang) stehen die berühmten Verse: pse_114.029 »Nun erhoben unsterbliches Lachen die seligen Götter, pse_114.030 Als sie Hephaistos erblickten, wie dieser den Saal durch schnaufte.« pse_114.031 pse_114.032 Das Wesentliche, was da zum Lachen reizt, ist im ersten Fall pse_114.033 der Widerspruch zwischen dem idealen Trieb des Menschen pse_114.034 und seiner irdischen Hinfälligkeit, im zweiten der Widerspruch pse_114.035 zwischen dem angemaßten Amt und seinem Anspruch pse_114.036 einerseits und der menschlichen Erbärmlichkeit des Trägers pse_114.037 andererseits, im dritten der Widerspruch, der darin liegt, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/130
Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/130>, abgerufen am 03.05.2024.