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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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Cervantes "Don Quijote", an manches von Dickens, an Jean pse_111.002
Pauls "Flegeljahre" und an Kurt Kluges "Herrn Kortüm".

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Auch auf dem Theater hat er Großes geleistet: das Lustspiel, pse_111.004
das wir von der Komödie gerade durch die Haltung pse_111.005
des Humors ablösen werden: Lessings "Minna", Grillparzers pse_111.006
"Weh dem, der lügt!", vieles von Shakespeare und auch pse_111.007
Raimund.

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Die Freiheit der geistigen Überlegenheit

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Freiheit des Geistes finden wir auch in der Haltung des pse_111.010
Ernstes und der Heiterkeit. Jetzt aber handelt es sich um eine pse_111.011
schärfer umschriebene Haltung. Der Mensch kann den ihn pse_111.012
treffenden Beständen der Welt mit vollem Ernst entgegentreten, pse_111.013
er kann sie voll Heiterkeit und von oben betrachten. Es pse_111.014
ist aber auch möglich, daß er ihnen gegenüber die ganze pse_111.015
geistige Überlegenheit spielen läßt, daß er gleichsam mit pse_111.016
ihnen spielt. Die bewußte Überlegenheit, das Beherrschen pse_111.017
durch den Geist, das Spiel, das ihm dadurch möglich wird, pse_111.018
ist jetzt das Ausschlaggebende.

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Die feinste und höchste Form dieser Haltung ist die Ironie. pse_111.020
Das griechische Wort eironeia bedeutet Verstellung. Es umfaßt pse_111.021
daher heute nicht mehr den ganzen Gehalt dieser Haltung. pse_111.022
Wir kommen dem Wesen näher an einem alltäglichen pse_111.023
Beispiel der Ironie. Wenn ich jemandem sage: "Du bist mir pse_111.024
ein lieber Freund", so meine ich eigentlich das Gegenteil. pse_111.025
Aber es kommt mir nicht bloß darauf an, das Gegenteil zu pse_111.026
sagen, sondern ich lege noch einen besonderen persönlichen pse_111.027
Ton hinein: dieser Mensch fordert Anerkennung, ich enthülle pse_111.028
diesen Anspruch in seiner Hinfälligkeit, ich mache ihn pse_111.029
lächerlich, indem ich ihn scheinbar anerkenne, aber in der pse_111.030
Sprachgebung und im Ton es doch anders meine. Ironie ist pse_111.031
als hohes geistiges Spiel, künstlerischer und menschlicher pse_111.032
Ausdruck einer Spätzeit, einer weit vorangetriebenen Entwicklungsstufe. pse_111.033
Daher ist sie auch nicht auf einfache Formen pse_111.034
zu bringen. Sie bedient sich einer Fülle von Möglichkeiten. pse_111.035
Grundlegend ist die Distanzhaltung des Menschen von dem, pse_111.036
was er ironisiert: er steht ihm kühl und überlegen gegenüber,

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Cervantes »Don Quijote«, an manches von Dickens, an Jean pse_111.002
Pauls »Flegeljahre« und an Kurt Kluges »Herrn Kortüm«.

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Auch auf dem Theater hat er Großes geleistet: das Lustspiel, pse_111.004
das wir von der Komödie gerade durch die Haltung pse_111.005
des Humors ablösen werden: Lessings »Minna«, Grillparzers pse_111.006
»Weh dem, der lügt!«, vieles von Shakespeare und auch pse_111.007
Raimund.

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Die Freiheit der geistigen Überlegenheit

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Freiheit des Geistes finden wir auch in der Haltung des pse_111.010
Ernstes und der Heiterkeit. Jetzt aber handelt es sich um eine pse_111.011
schärfer umschriebene Haltung. Der Mensch kann den ihn pse_111.012
treffenden Beständen der Welt mit vollem Ernst entgegentreten, pse_111.013
er kann sie voll Heiterkeit und von oben betrachten. Es pse_111.014
ist aber auch möglich, daß er ihnen gegenüber die ganze pse_111.015
geistige Überlegenheit spielen läßt, daß er gleichsam mit pse_111.016
ihnen spielt. Die bewußte Überlegenheit, das Beherrschen pse_111.017
durch den Geist, das Spiel, das ihm dadurch möglich wird, pse_111.018
ist jetzt das Ausschlaggebende.

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Die feinste und höchste Form dieser Haltung ist die Ironie. pse_111.020
Das griechische Wort eironeia bedeutet Verstellung. Es umfaßt pse_111.021
daher heute nicht mehr den ganzen Gehalt dieser Haltung. pse_111.022
Wir kommen dem Wesen näher an einem alltäglichen pse_111.023
Beispiel der Ironie. Wenn ich jemandem sage: »Du bist mir pse_111.024
ein lieber Freund«, so meine ich eigentlich das Gegenteil. pse_111.025
Aber es kommt mir nicht bloß darauf an, das Gegenteil zu pse_111.026
sagen, sondern ich lege noch einen besonderen persönlichen pse_111.027
Ton hinein: dieser Mensch fordert Anerkennung, ich enthülle pse_111.028
diesen Anspruch in seiner Hinfälligkeit, ich mache ihn pse_111.029
lächerlich, indem ich ihn scheinbar anerkenne, aber in der pse_111.030
Sprachgebung und im Ton es doch anders meine. Ironie ist pse_111.031
als hohes geistiges Spiel, künstlerischer und menschlicher pse_111.032
Ausdruck einer Spätzeit, einer weit vorangetriebenen Entwicklungsstufe. pse_111.033
Daher ist sie auch nicht auf einfache Formen pse_111.034
zu bringen. Sie bedient sich einer Fülle von Möglichkeiten. pse_111.035
Grundlegend ist die Distanzhaltung des Menschen von dem, pse_111.036
was er ironisiert: er steht ihm kühl und überlegen gegenüber,

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/127>, abgerufen am 23.11.2024.