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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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pse_110.001
die Verschiedenheit des Lachens zu überblicken, denke man pse_110.002
an das Lachen verschiedener Figuren aus der Dichtung: wie pse_110.003
verschieden ist das Lachen Philines, Mephistos, Tellheims, pse_110.004
Minnas oder Vrenelis in Kellers "Romeo und Julia auf dem pse_110.005
Dorf". Es ist für eine Theorie des Lachens (Bergson) bedenklich, pse_110.006
wenn in ihr das Kinderlachen und das reine Lachen aus pse_110.007
Lebensfreude fehlt. Erst auf diesem Hintergrund hebt sich pse_110.008
dann das Lachen über Schwächen ab, über das, was wir pse_110.009
lächerlich finden. Wir spüren deutlich: das Lächerliche hat pse_110.010
mit Heiterkeit und Humor nichts zu tun.

pse_110.011
Der Humor schafft ein ganz deutlich charakterisierbares pse_110.012
Weltbild. Er weiß um die Torheit der Welt, aber im Wissen pse_110.013
um diese Torheit befreit er zugleich davon. Der Humor entdeckt pse_110.014
die Werte im Kleinen und im Schrulligen, etwa bei pse_110.015
Wilhelm Raabe; denn er hat den liebevollen Blick, den es pse_110.016
dafür braucht. So übt er eine wohltätige Wirkung. Aus ihm pse_110.017
spricht eine sittliche Haltung. Aber er bleibt nicht am Kleinen pse_110.018
haften. Der Humor gewinnt eine Ganzheitsschau über die pse_110.019
Welt aus dem Glauben an ihre Werte und aus der Liebe zu pse_110.020
ihr. Daraus ergibt sich die Gelassenheit und die Lebensfülle pse_110.021
des Humors. Selbstverlachung und Weltverlachung verbindet pse_110.022
sich mit Glauben und Liebe. Daraus entspringt die kennzeichnende pse_110.023
Haltung des Humors gegenüber der Wirklichkeit. pse_110.024
Es wäre aber äußerlich, wollte man den Humor nur als pse_110.025
oberflächliche Haltung ansehen. Er kann erst nach vielen pse_110.026
schweren Erlebnissen errungen sein. Ernst, ja tiefe tragische pse_110.027
Erschütterung können die notwendige Durchgangsstufe gewesen pse_110.028
sein. Man denke an Raabes Weg vom "Hungerpastor" pse_110.029
über den "Schüdderumpp" bis zum "Stopfkuchen". pse_110.030
Daraus kann auch der Humor die große Lebenstiefe gewinnen.

pse_110.031
Wenn es dem Humor gelingt, eine Welt des Heiteren und pse_110.032
Liebenswürdigen (vielleicht auch über dem Abgrund) aus pse_110.033
dem Glauben an sie zu formen, dann entsteht die Idylle. Ihm pse_110.034
ist aber auch die große Gestaltung eines geschlossenen Weltbildes pse_110.035
optimistischer Prägung möglich. Besonders manchen pse_110.036
großen Romanen der Weltliteratur ist das gelungen, die pse_110.037
große, weltweite Heiterkeit ist ihr Kennzeichen gegenüber pse_110.038
dem schweren Ernst anderer Werke. Wir denken an des

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verschieden ist das Lachen Philines, Mephistos, Tellheims, pse_110.004
Minnas oder Vrenelis in Kellers »Romeo und Julia auf dem pse_110.005
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Lebensfreude fehlt. Erst auf diesem Hintergrund hebt sich pse_110.008
dann das Lachen über Schwächen ab, über das, was wir pse_110.009
lächerlich finden. Wir spüren deutlich: das Lächerliche hat pse_110.010
mit Heiterkeit und Humor nichts zu tun.

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Der Humor schafft ein ganz deutlich charakterisierbares pse_110.012
Weltbild. Er weiß um die Torheit der Welt, aber im Wissen pse_110.013
um diese Torheit befreit er zugleich davon. Der Humor entdeckt pse_110.014
die Werte im Kleinen und im Schrulligen, etwa bei pse_110.015
Wilhelm Raabe; denn er hat den liebevollen Blick, den es pse_110.016
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spricht eine sittliche Haltung. Aber er bleibt nicht am Kleinen pse_110.018
haften. Der Humor gewinnt eine Ganzheitsschau über die pse_110.019
Welt aus dem Glauben an ihre Werte und aus der Liebe zu pse_110.020
ihr. Daraus ergibt sich die Gelassenheit und die Lebensfülle pse_110.021
des Humors. Selbstverlachung und Weltverlachung verbindet pse_110.022
sich mit Glauben und Liebe. Daraus entspringt die kennzeichnende pse_110.023
Haltung des Humors gegenüber der Wirklichkeit. pse_110.024
Es wäre aber äußerlich, wollte man den Humor nur als pse_110.025
oberflächliche Haltung ansehen. Er kann erst nach vielen pse_110.026
schweren Erlebnissen errungen sein. Ernst, ja tiefe tragische pse_110.027
Erschütterung können die notwendige Durchgangsstufe gewesen pse_110.028
sein. Man denke an Raabes Weg vom »Hungerpastor« pse_110.029
über den »Schüdderumpp« bis zum »Stopfkuchen«. pse_110.030
Daraus kann auch der Humor die große Lebenstiefe gewinnen.

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Wenn es dem Humor gelingt, eine Welt des Heiteren und pse_110.032
Liebenswürdigen (vielleicht auch über dem Abgrund) aus pse_110.033
dem Glauben an sie zu formen, dann entsteht die Idylle. Ihm pse_110.034
ist aber auch die große Gestaltung eines geschlossenen Weltbildes pse_110.035
optimistischer Prägung möglich. Besonders manchen pse_110.036
großen Romanen der Weltliteratur ist das gelungen, die pse_110.037
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[110/0126] pse_110.001 die Verschiedenheit des Lachens zu überblicken, denke man pse_110.002 an das Lachen verschiedener Figuren aus der Dichtung: wie pse_110.003 verschieden ist das Lachen Philines, Mephistos, Tellheims, pse_110.004 Minnas oder Vrenelis in Kellers »Romeo und Julia auf dem pse_110.005 Dorf«. Es ist für eine Theorie des Lachens (Bergson) bedenklich, pse_110.006 wenn in ihr das Kinderlachen und das reine Lachen aus pse_110.007 Lebensfreude fehlt. Erst auf diesem Hintergrund hebt sich pse_110.008 dann das Lachen über Schwächen ab, über das, was wir pse_110.009 lächerlich finden. Wir spüren deutlich: das Lächerliche hat pse_110.010 mit Heiterkeit und Humor nichts zu tun. pse_110.011 Der Humor schafft ein ganz deutlich charakterisierbares pse_110.012 Weltbild. Er weiß um die Torheit der Welt, aber im Wissen pse_110.013 um diese Torheit befreit er zugleich davon. Der Humor entdeckt pse_110.014 die Werte im Kleinen und im Schrulligen, etwa bei pse_110.015 Wilhelm Raabe; denn er hat den liebevollen Blick, den es pse_110.016 dafür braucht. So übt er eine wohltätige Wirkung. Aus ihm pse_110.017 spricht eine sittliche Haltung. Aber er bleibt nicht am Kleinen pse_110.018 haften. Der Humor gewinnt eine Ganzheitsschau über die pse_110.019 Welt aus dem Glauben an ihre Werte und aus der Liebe zu pse_110.020 ihr. Daraus ergibt sich die Gelassenheit und die Lebensfülle pse_110.021 des Humors. Selbstverlachung und Weltverlachung verbindet pse_110.022 sich mit Glauben und Liebe. Daraus entspringt die kennzeichnende pse_110.023 Haltung des Humors gegenüber der Wirklichkeit. pse_110.024 Es wäre aber äußerlich, wollte man den Humor nur als pse_110.025 oberflächliche Haltung ansehen. Er kann erst nach vielen pse_110.026 schweren Erlebnissen errungen sein. Ernst, ja tiefe tragische pse_110.027 Erschütterung können die notwendige Durchgangsstufe gewesen pse_110.028 sein. Man denke an Raabes Weg vom »Hungerpastor« pse_110.029 über den »Schüdderumpp« bis zum »Stopfkuchen«. pse_110.030 Daraus kann auch der Humor die große Lebenstiefe gewinnen. pse_110.031 Wenn es dem Humor gelingt, eine Welt des Heiteren und pse_110.032 Liebenswürdigen (vielleicht auch über dem Abgrund) aus pse_110.033 dem Glauben an sie zu formen, dann entsteht die Idylle. Ihm pse_110.034 ist aber auch die große Gestaltung eines geschlossenen Weltbildes pse_110.035 optimistischer Prägung möglich. Besonders manchen pse_110.036 großen Romanen der Weltliteratur ist das gelungen, die pse_110.037 große, weltweite Heiterkeit ist ihr Kennzeichen gegenüber pse_110.038 dem schweren Ernst anderer Werke. Wir denken an des

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/126>, abgerufen am 23.11.2024.