pse_092.001 einzelne, die schon mehr Seelen der Unterwelt hinter dem pse_092.002 Styxfluß sind, "einsame, hoch und alt". Diese grandiose Schau, pse_092.003 wie sie schon in einer ersten Schicht erscheint, offenbart pse_092.004 gerade im Ergreifenden der Bilder zugleich menschliche pse_092.005 Ergriffenheit. Nicht nur ein Bild der Endzeit, sondern auch pse_092.006 der menschlichen Erschütterung darob. Diese Ergriffenheit ist pse_092.007 so stark, daß sie zur kräftigsten Gestaltung greift. Zunächst im pse_092.008 Rhythmus. Die ersten zwei Verspaare bilden je einen Satz, die pse_092.009 Sinnbewegung geht über zwei Verse und wird so breit und pse_092.010 mächtig, zumal die beiden Verspaare selbst wieder zu einem pse_092.011 größeren Ganzen zusammenschwingen. Dann aber beginnt pse_092.012 die Bewegung zu stocken. Man beachte rein äußerlich die pse_092.013 Zahl der Satzzeichen im zweiten Teil: es ist kaum mehr pse_092.014 die Satzgestalt da, sondern ein heftiges Aneinanderstoßen pse_092.015 einzelner Worte. Dazu kommt der Wortgehalt des letzten pse_092.016 Verses, der nun das Tempo sehr verlangsamt. Also nach dem pse_092.017 breiten Strömen der ersten Hälfte ein beginnendes Stocken pse_092.018 und endlich starke Verlangsamung: so klingt das Ganze müde pse_092.019 aus. Die Eindringlichkeit beinahe aller Worte, in diesem pse_092.020 Rahmen auch der Fremdworte -- das Fremdartige dieser pse_092.021 fremden Zukunftswelt noch mehr heraustreibend -- wird nun pse_092.022 noch durch ihren Lautungswert erhöht. Man beachte, wie pse_092.023 klangreich und dadurch eindrucksvoll viele Worte sind. Der pse_092.024 tiefe Eindruck wird aber noch verstärkt durch die wirkungsvollen pse_092.025 Bindungen der Worte: der Stabreim im ersten und pse_092.026 zweiten Vers, der noch viel weiter ausgreifende im fünften pse_092.027 Vers, und endlich die Endreime. Tränken und Versenken pse_092.028 klingen auch im Gehalt zusammen, ebenso wie Raum und pse_092.029 Traum. Vor allem aber die Reimkunst im zweiten Teil: das pse_092.030 Zusammenwirken von kalt und alt, und mitten in sie hineingestellt pse_092.031 die Seelen, noch dazu im gespannten Reim zu Verfehlen. pse_092.032 Daß ein Mensch den Blick gegenüber diesem ungeheuren pse_092.033 Ende offenhält, daß er es so eindringlich sieht und gestaltet, pse_092.034 daß er im Gestalten es in seiner ganzen Ungeheuerlichkeit pse_092.035 erst recht herausstellt und im Herausstellen ihm zu stehen pse_092.036 vermag, aufrecht bleibt vor dieser Größe, und zwar als pse_092.037 Schaffender -- das alles lebt auch in diesen Versen und ist in pse_092.038 ihnen dauernde Gestalt geworden.
pse_092.001 einzelne, die schon mehr Seelen der Unterwelt hinter dem pse_092.002 Styxfluß sind, »einsame, hoch und alt«. Diese grandiose Schau, pse_092.003 wie sie schon in einer ersten Schicht erscheint, offenbart pse_092.004 gerade im Ergreifenden der Bilder zugleich menschliche pse_092.005 Ergriffenheit. Nicht nur ein Bild der Endzeit, sondern auch pse_092.006 der menschlichen Erschütterung darob. Diese Ergriffenheit ist pse_092.007 so stark, daß sie zur kräftigsten Gestaltung greift. Zunächst im pse_092.008 Rhythmus. Die ersten zwei Verspaare bilden je einen Satz, die pse_092.009 Sinnbewegung geht über zwei Verse und wird so breit und pse_092.010 mächtig, zumal die beiden Verspaare selbst wieder zu einem pse_092.011 größeren Ganzen zusammenschwingen. Dann aber beginnt pse_092.012 die Bewegung zu stocken. Man beachte rein äußerlich die pse_092.013 Zahl der Satzzeichen im zweiten Teil: es ist kaum mehr pse_092.014 die Satzgestalt da, sondern ein heftiges Aneinanderstoßen pse_092.015 einzelner Worte. Dazu kommt der Wortgehalt des letzten pse_092.016 Verses, der nun das Tempo sehr verlangsamt. Also nach dem pse_092.017 breiten Strömen der ersten Hälfte ein beginnendes Stocken pse_092.018 und endlich starke Verlangsamung: so klingt das Ganze müde pse_092.019 aus. Die Eindringlichkeit beinahe aller Worte, in diesem pse_092.020 Rahmen auch der Fremdworte — das Fremdartige dieser pse_092.021 fremden Zukunftswelt noch mehr heraustreibend — wird nun pse_092.022 noch durch ihren Lautungswert erhöht. Man beachte, wie pse_092.023 klangreich und dadurch eindrucksvoll viele Worte sind. Der pse_092.024 tiefe Eindruck wird aber noch verstärkt durch die wirkungsvollen pse_092.025 Bindungen der Worte: der Stabreim im ersten und pse_092.026 zweiten Vers, der noch viel weiter ausgreifende im fünften pse_092.027 Vers, und endlich die Endreime. Tränken und Versenken pse_092.028 klingen auch im Gehalt zusammen, ebenso wie Raum und pse_092.029 Traum. Vor allem aber die Reimkunst im zweiten Teil: das pse_092.030 Zusammenwirken von kalt und alt, und mitten in sie hineingestellt pse_092.031 die Seelen, noch dazu im gespannten Reim zu Verfehlen. pse_092.032 Daß ein Mensch den Blick gegenüber diesem ungeheuren pse_092.033 Ende offenhält, daß er es so eindringlich sieht und gestaltet, pse_092.034 daß er im Gestalten es in seiner ganzen Ungeheuerlichkeit pse_092.035 erst recht herausstellt und im Herausstellen ihm zu stehen pse_092.036 vermag, aufrecht bleibt vor dieser Größe, und zwar als pse_092.037 Schaffender — das alles lebt auch in diesen Versen und ist in pse_092.038 ihnen dauernde Gestalt geworden.
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/108>, abgerufen am 22.11.2024.
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