pse_090.001 der Sprache -- sondern wegen ihrer Menschlichkeit. pse_090.002 Denn wir wissen bereits, daß in den Worten nicht bloß pse_090.003 ein Stück des Erfahrungsstroms herausgeschnitten und dauerhaft pse_090.004 geprägt wird, sondern daß dabei auch unsere Einstellung pse_090.005 zu diesem Erfahrungsstück mit eingeformt wird. Und das pse_090.006 auch in der Wortfügung, im Rhythmus, in der Lautung, in pse_090.007 der Satzbewegung. Sprache ist das typisch menschliche Organ pse_090.008 der Welterfassung. Nur eine ökonomisierte Sprachgebung pse_090.009 kann dieses Menschliche ausschalten, freilich nie ganz. Sobald pse_090.010 aber die Sprache in ihrer Vollkraft wieder da ist, wie das pse_090.011 wesenhaft bei der Dichtung der Fall ist, sind auch diese pse_090.012 menschlichen Züge des Welterfassens wieder da! Nicht mehr pse_090.013 bloß Mitteilung von auch formelhaft Ausdrückbarem, sondern pse_090.014 Vermittlung von Mensch zu Mensch. "Das ist ein ekelhafter pse_090.015 Mensch!" und: "Mir tut dieses arme Wesen so leid!" pse_090.016 Hier sind nicht begrifflich und logisch formulierbare Aussagen pse_090.017 über einen Menschen gemacht, sondern hier leben je pse_090.018 zwei Menschen: der, von dem die Rede ist, und der Sprechende. pse_090.019 Aber das spürt auch der Hörende, er hört das Menschliche pse_090.020 überhaupt heraus, das da Gestalt wird, auch in ihm wird pse_090.021 es gefühlhaft aufgerufen. Durch den Grundzug der Verwesentlichung, pse_090.022 der schon der Sprachgestaltung überhaupt pse_090.023 eigen ist, werden auch diese fallweisen menschlichen Züge ins pse_090.024 Allgemeine gehoben. "Die dichterische Sprache ist eine pse_090.025 Sprache von Mensch zu Mensch" (Fritz Strich). An einem pse_090.026 Gedicht von Goethe oder Eichendorff kann das leicht nachgewiesen pse_090.027 werden. Wie aber in der sogenannten modernen pse_090.028 Lyrik, die ja das Menschliche ausschalten soll? Wir greifen zu pse_090.029 Versen von Gottfried Benn, nicht zu solchen, wo auch bei pse_090.030 ihm das Menschliche deutlich ergreift, sondern zu den "radikalen"; pse_090.031 an ihnen und von ihnen ausgehend sei das Menschliche pse_090.032 an jeder Dichtung, und zwar an ihr als abgeschlossenem pse_090.033 Gebilde, aufgezeigt. Eines der Gedichte mit der Überschrift pse_090.034 "Quartär" lautet:
pse_090.035
Die Welten trinken und tränkenpse_090.036 sich Rausch zu neuem Raumpse_090.037 und die letzten Quartäre versenkenpse_090.038 den ptolemäischen Traum.
pse_090.001 der Sprache — sondern wegen ihrer Menschlichkeit. pse_090.002 Denn wir wissen bereits, daß in den Worten nicht bloß pse_090.003 ein Stück des Erfahrungsstroms herausgeschnitten und dauerhaft pse_090.004 geprägt wird, sondern daß dabei auch unsere Einstellung pse_090.005 zu diesem Erfahrungsstück mit eingeformt wird. Und das pse_090.006 auch in der Wortfügung, im Rhythmus, in der Lautung, in pse_090.007 der Satzbewegung. Sprache ist das typisch menschliche Organ pse_090.008 der Welterfassung. Nur eine ökonomisierte Sprachgebung pse_090.009 kann dieses Menschliche ausschalten, freilich nie ganz. Sobald pse_090.010 aber die Sprache in ihrer Vollkraft wieder da ist, wie das pse_090.011 wesenhaft bei der Dichtung der Fall ist, sind auch diese pse_090.012 menschlichen Züge des Welterfassens wieder da! Nicht mehr pse_090.013 bloß Mitteilung von auch formelhaft Ausdrückbarem, sondern pse_090.014 Vermittlung von Mensch zu Mensch. »Das ist ein ekelhafter pse_090.015 Mensch!« und: »Mir tut dieses arme Wesen so leid!« pse_090.016 Hier sind nicht begrifflich und logisch formulierbare Aussagen pse_090.017 über einen Menschen gemacht, sondern hier leben je pse_090.018 zwei Menschen: der, von dem die Rede ist, und der Sprechende. pse_090.019 Aber das spürt auch der Hörende, er hört das Menschliche pse_090.020 überhaupt heraus, das da Gestalt wird, auch in ihm wird pse_090.021 es gefühlhaft aufgerufen. Durch den Grundzug der Verwesentlichung, pse_090.022 der schon der Sprachgestaltung überhaupt pse_090.023 eigen ist, werden auch diese fallweisen menschlichen Züge ins pse_090.024 Allgemeine gehoben. »Die dichterische Sprache ist eine pse_090.025 Sprache von Mensch zu Mensch« (Fritz Strich). An einem pse_090.026 Gedicht von Goethe oder Eichendorff kann das leicht nachgewiesen pse_090.027 werden. Wie aber in der sogenannten modernen pse_090.028 Lyrik, die ja das Menschliche ausschalten soll? Wir greifen zu pse_090.029 Versen von Gottfried Benn, nicht zu solchen, wo auch bei pse_090.030 ihm das Menschliche deutlich ergreift, sondern zu den »radikalen«; pse_090.031 an ihnen und von ihnen ausgehend sei das Menschliche pse_090.032 an jeder Dichtung, und zwar an ihr als abgeschlossenem pse_090.033 Gebilde, aufgezeigt. Eines der Gedichte mit der Überschrift pse_090.034 »Quartär« lautet:
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zu diesem Erfahrungsstück mit eingeformt wird. Und das pse_090.006
auch in der Wortfügung, im Rhythmus, in der Lautung, in pse_090.007
der Satzbewegung. Sprache ist das typisch menschliche Organ pse_090.008
der Welterfassung. Nur eine ökonomisierte Sprachgebung pse_090.009
kann dieses Menschliche ausschalten, freilich nie ganz. Sobald pse_090.010
aber die Sprache in ihrer Vollkraft wieder da ist, wie das pse_090.011
wesenhaft bei der Dichtung der Fall ist, sind auch diese pse_090.012
menschlichen Züge des Welterfassens wieder da! Nicht mehr pse_090.013
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Lyrik, die ja das Menschliche ausschalten soll? Wir greifen zu pse_090.029
Versen von Gottfried Benn, nicht zu solchen, wo auch bei pse_090.030
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den ptolemäischen Traum.
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/106>, abgerufen am 22.11.2024.
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