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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Im Reiche der Cyklopen: eine populäre Darstellung der Stahl- und Eisentechnik. Wien u. a., 1900.

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Das Geschützwesen.
Regionen der Präcisionsmechanik verlegt ist. Denn das Kanonenrohr ist kein aus-
gebohrter Stahlschaft mehr, sondern nach subtilen Regeln aus mindestens zwei
ineinandergeschobenen Theilen zusammengesetzt".

In der That finden wir, daß die Rohre kleineren Calibers aus einem
Seelen- und einem Mantelrohre bestehen, während bei den Rohren großen Calibers
außerdem noch eine Lage oder mehrere Lagen Ringe, welche über den Mantel
gezogen sind, dazukommen. Die Ringconstruction mag sich dem Laien als eine
ziemlich einfache Sache darstellen; in Wirklichkeit aber ist sie insoferne höchst com-
plicirt, als es sich hier der Natur der Sache nach um sehr verwickelte Unter-
suchungen und Rechnungen bezüglich des Verhaltens des Kanonenstahles gegen-
über dem Gasdrucke und anderen zur Wirkung kommenden Kräften handelt.
Denn nur bei sehr präcisem, auf Erprobung und Erfahrung beruhendem Vor-

[Abbildung] Fig. 611.

Verschluß zu Canet's Schnellfeuergeschütz.

gehen in der Construction solcher Rohre konnte deren Brauchbarkeit gewährleistet
werden.

Der Vorgang bei der Herstellung eines Geschützrohres nach dem Ring-
system ist ein höchst umständlicher. Zunächst werden die beiden zusammengehörigen
Rohre -- das Seelen- und das Mantelrohr -- aus je einem Gußstahlblock von
entsprechender Größe geschmiedet. Außerdem müssen noch die "Ringe", welche über das
Mantelrohr gezogen werden und deren äußerster mit dem Schildzapfen versehen ist,
vorgeschmiedet werden. Aus dem Hammerwerk oder der Schmiedpresse wandern diese
Stücke in die mechanische Werkstätte, wo sie zunächst annähernd auf das richtige
Maß abgedreht und ausgebohrt und der Härtung unterworfen werden. Zu den
weiteren Vollendungsarbeiten zählen: die äußere Formgebung, die Bearbeitung des
Rohres zur Aufnahme des Verschlusses, das Einschneiden, Nachschleifen und Poliren
der Züge. Ist das Rohr fertig, so wird es von den hierzu bestimmten Functionären
in allen seinen Theilen geprüft, wobei vornehmlich bezüglich des Aussehens der
Bohrung mit peinlicher Genauigkeit vorgegangen wird. Durch Anwendung eines

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Das Geſchützweſen.
Regionen der Präciſionsmechanik verlegt iſt. Denn das Kanonenrohr iſt kein aus-
gebohrter Stahlſchaft mehr, ſondern nach ſubtilen Regeln aus mindeſtens zwei
ineinandergeſchobenen Theilen zuſammengeſetzt«.

In der That finden wir, daß die Rohre kleineren Calibers aus einem
Seelen- und einem Mantelrohre beſtehen, während bei den Rohren großen Calibers
außerdem noch eine Lage oder mehrere Lagen Ringe, welche über den Mantel
gezogen ſind, dazukommen. Die Ringconſtruction mag ſich dem Laien als eine
ziemlich einfache Sache darſtellen; in Wirklichkeit aber iſt ſie inſoferne höchſt com-
plicirt, als es ſich hier der Natur der Sache nach um ſehr verwickelte Unter-
ſuchungen und Rechnungen bezüglich des Verhaltens des Kanonenſtahles gegen-
über dem Gasdrucke und anderen zur Wirkung kommenden Kräften handelt.
Denn nur bei ſehr präciſem, auf Erprobung und Erfahrung beruhendem Vor-

[Abbildung] Fig. 611.

Verſchluß zu Canet's Schnellfeuergeſchütz.

gehen in der Conſtruction ſolcher Rohre konnte deren Brauchbarkeit gewährleiſtet
werden.

Der Vorgang bei der Herſtellung eines Geſchützrohres nach dem Ring-
ſyſtem iſt ein höchſt umſtändlicher. Zunächſt werden die beiden zuſammengehörigen
Rohre — das Seelen- und das Mantelrohr — aus je einem Gußſtahlblock von
entſprechender Größe geſchmiedet. Außerdem müſſen noch die »Ringe«, welche über das
Mantelrohr gezogen werden und deren äußerſter mit dem Schildzapfen verſehen iſt,
vorgeſchmiedet werden. Aus dem Hammerwerk oder der Schmiedpreſſe wandern dieſe
Stücke in die mechaniſche Werkſtätte, wo ſie zunächſt annähernd auf das richtige
Maß abgedreht und ausgebohrt und der Härtung unterworfen werden. Zu den
weiteren Vollendungsarbeiten zählen: die äußere Formgebung, die Bearbeitung des
Rohres zur Aufnahme des Verſchluſſes, das Einſchneiden, Nachſchleifen und Poliren
der Züge. Iſt das Rohr fertig, ſo wird es von den hierzu beſtimmten Functionären
in allen ſeinen Theilen geprüft, wobei vornehmlich bezüglich des Ausſehens der
Bohrung mit peinlicher Genauigkeit vorgegangen wird. Durch Anwendung eines

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[755/0833] Das Geſchützweſen. Regionen der Präciſionsmechanik verlegt iſt. Denn das Kanonenrohr iſt kein aus- gebohrter Stahlſchaft mehr, ſondern nach ſubtilen Regeln aus mindeſtens zwei ineinandergeſchobenen Theilen zuſammengeſetzt«. In der That finden wir, daß die Rohre kleineren Calibers aus einem Seelen- und einem Mantelrohre beſtehen, während bei den Rohren großen Calibers außerdem noch eine Lage oder mehrere Lagen Ringe, welche über den Mantel gezogen ſind, dazukommen. Die Ringconſtruction mag ſich dem Laien als eine ziemlich einfache Sache darſtellen; in Wirklichkeit aber iſt ſie inſoferne höchſt com- plicirt, als es ſich hier der Natur der Sache nach um ſehr verwickelte Unter- ſuchungen und Rechnungen bezüglich des Verhaltens des Kanonenſtahles gegen- über dem Gasdrucke und anderen zur Wirkung kommenden Kräften handelt. Denn nur bei ſehr präciſem, auf Erprobung und Erfahrung beruhendem Vor- [Abbildung Fig. 611. Verſchluß zu Canet's Schnellfeuergeſchütz.] gehen in der Conſtruction ſolcher Rohre konnte deren Brauchbarkeit gewährleiſtet werden. Der Vorgang bei der Herſtellung eines Geſchützrohres nach dem Ring- ſyſtem iſt ein höchſt umſtändlicher. Zunächſt werden die beiden zuſammengehörigen Rohre — das Seelen- und das Mantelrohr — aus je einem Gußſtahlblock von entſprechender Größe geſchmiedet. Außerdem müſſen noch die »Ringe«, welche über das Mantelrohr gezogen werden und deren äußerſter mit dem Schildzapfen verſehen iſt, vorgeſchmiedet werden. Aus dem Hammerwerk oder der Schmiedpreſſe wandern dieſe Stücke in die mechaniſche Werkſtätte, wo ſie zunächſt annähernd auf das richtige Maß abgedreht und ausgebohrt und der Härtung unterworfen werden. Zu den weiteren Vollendungsarbeiten zählen: die äußere Formgebung, die Bearbeitung des Rohres zur Aufnahme des Verſchluſſes, das Einſchneiden, Nachſchleifen und Poliren der Züge. Iſt das Rohr fertig, ſo wird es von den hierzu beſtimmten Functionären in allen ſeinen Theilen geprüft, wobei vornehmlich bezüglich des Ausſehens der Bohrung mit peinlicher Genauigkeit vorgegangen wird. Durch Anwendung eines 48*

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Im Reiche der Cyklopen: eine populäre Darstellung der Stahl- und Eisentechnik. Wien u. a., 1900, S. 755. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_cyklopen_1900/833>, abgerufen am 23.11.2024.