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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Hoch-Armenien. -- Erzingian.
Horden, die sie umlauern, begreiflicherweise nichts Gutes zu
erwarten ist. Von Palu führt die Straße weiter durch einen
romantischen Theil von Kurdistan, um schließlich Djarbekr zu
erreichen. Die mittlere Hauptcommunication ist die große Han-
dels- und Karawanenstraße nach Constantinopel, mit den Zwischen-
stationen Siwas, Amasia, Yüzgat, Angora und Ismit. Sie ist
150 deutsche Meilen lang und identisch mit der Richtung aller
Kriegs- und Eroberungszüge der Vergangenheit. Bei Karakulak,
der Paßsperre am Eufrat, 16 Meilen westlich von Erzerum,
dürfte, meiner Ansicht nach, die Stelle zu suchen sein, wo Su-
leiman, der Turk-Fürst ertrank, worauf Ertogrul, der Vater
Osmans, seine Wanderung weiter nach Inner-Anatolien antrat1.
Auch die Seldschuken und später die Mongolen und Tartaren
haben diesen Weg zurückgelegt, niemals aber die Russen, welche
im Jahre 1829 auf der, weiter nördlich gegen Trapezunt einer-
seits und Tripoli anderseits ziehenden Karawanenstraße bis Bai-
burt und in die Nähe von Gümüsch-Chana vorrückten2.

Von Erzerum sind 25 Meilen nach Erzingian, welche auf
einer viel frequentirten Karawanenstraße zurückgelegt werden.
Sie führt von der armenischen Capitale anfänglich durch die
sumpfige Niederung von Ilidja, weiter durch das romantische
Flußdefile von Mosch und schließlich durch die Ebene Terdjan,
wo hinter Erzingian das fünf Stunden lange Gebirgsthor der
Duschik-Kette sich erstreckt, zu beiden Seiten begleitet von colossalen
Felswänden und natürlichen Coulissen, zwischen denen der Eufrat
nach Egin vorwärts braust ... Ist Erzerum das politische
und historische Centrum Armeniens, so ist Erzingian der Ursitz
armenischen Religions-Cultes, in heidnischem und christlichem
Gewande. Im Allgemeinen hat die Stadt in politischer Be-
ziehung so ziemlich das Schicksal der Hauptstadt getheilt. Zur
Zeit Temurs befand sich die Stadt unter der Herrschaft eines
Mongolenfürsten aus der Dynastie vom "Schwarzen Hammel"
(Kara-Kujunli), Namens Jussuf, der sich nach Einbruch der Tar-
taren in Armenien zu Sultan Bajazid geflüchtet hatte. Die

1 Hammer-Purgstall, "Gesch. d. osm. Reiches", I, 41 u. ff.
2 F. R. Chesney, "Die russisch-türkischen Feldzüge 1828--1829".
a. a. O.

Hoch-Armenien. — Erzingian.
Horden, die ſie umlauern, begreiflicherweiſe nichts Gutes zu
erwarten iſt. Von Palu führt die Straße weiter durch einen
romantiſchen Theil von Kurdiſtan, um ſchließlich Djarbekr zu
erreichen. Die mittlere Hauptcommunication iſt die große Han-
dels- und Karawanenſtraße nach Conſtantinopel, mit den Zwiſchen-
ſtationen Siwas, Amaſia, Yüzgat, Angora und Ismit. Sie iſt
150 deutſche Meilen lang und identiſch mit der Richtung aller
Kriegs- und Eroberungszüge der Vergangenheit. Bei Karakulak,
der Paßſperre am Eufrat, 16 Meilen weſtlich von Erzerum,
dürfte, meiner Anſicht nach, die Stelle zu ſuchen ſein, wo Su-
leiman, der Turk-Fürſt ertrank, worauf Ertogrul, der Vater
Osmans, ſeine Wanderung weiter nach Inner-Anatolien antrat1.
Auch die Seldſchuken und ſpäter die Mongolen und Tartaren
haben dieſen Weg zurückgelegt, niemals aber die Ruſſen, welche
im Jahre 1829 auf der, weiter nördlich gegen Trapezunt einer-
ſeits und Tripoli anderſeits ziehenden Karawanenſtraße bis Bai-
burt und in die Nähe von Gümüſch-Chana vorrückten2.

Von Erzerum ſind 25 Meilen nach Erzingian, welche auf
einer viel frequentirten Karawanenſtraße zurückgelegt werden.
Sie führt von der armeniſchen Capitale anfänglich durch die
ſumpfige Niederung von Ilidja, weiter durch das romantiſche
Flußdefilé von Moſch und ſchließlich durch die Ebene Terdjan,
wo hinter Erzingian das fünf Stunden lange Gebirgsthor der
Duſchik-Kette ſich erſtreckt, zu beiden Seiten begleitet von coloſſalen
Felswänden und natürlichen Couliſſen, zwiſchen denen der Eufrat
nach Egin vorwärts brauſt … Iſt Erzerum das politiſche
und hiſtoriſche Centrum Armeniens, ſo iſt Erzingian der Urſitz
armeniſchen Religions-Cultes, in heidniſchem und chriſtlichem
Gewande. Im Allgemeinen hat die Stadt in politiſcher Be-
ziehung ſo ziemlich das Schickſal der Hauptſtadt getheilt. Zur
Zeit Temurs befand ſich die Stadt unter der Herrſchaft eines
Mongolenfürſten aus der Dynaſtie vom „Schwarzen Hammel“
(Kara-Kujunli), Namens Juſſuf, der ſich nach Einbruch der Tar-
taren in Armenien zu Sultan Bajazid geflüchtet hatte. Die

1 Hammer-Purgſtall, „Geſch. d. osm. Reiches“, I, 41 u. ff.
2 F. R. Chesney, „Die ruſſiſch-türkiſchen Feldzüge 1828—1829“.
a. a. O.
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[59/0091] Hoch-Armenien. — Erzingian. Horden, die ſie umlauern, begreiflicherweiſe nichts Gutes zu erwarten iſt. Von Palu führt die Straße weiter durch einen romantiſchen Theil von Kurdiſtan, um ſchließlich Djarbekr zu erreichen. Die mittlere Hauptcommunication iſt die große Han- dels- und Karawanenſtraße nach Conſtantinopel, mit den Zwiſchen- ſtationen Siwas, Amaſia, Yüzgat, Angora und Ismit. Sie iſt 150 deutſche Meilen lang und identiſch mit der Richtung aller Kriegs- und Eroberungszüge der Vergangenheit. Bei Karakulak, der Paßſperre am Eufrat, 16 Meilen weſtlich von Erzerum, dürfte, meiner Anſicht nach, die Stelle zu ſuchen ſein, wo Su- leiman, der Turk-Fürſt ertrank, worauf Ertogrul, der Vater Osmans, ſeine Wanderung weiter nach Inner-Anatolien antrat 1. Auch die Seldſchuken und ſpäter die Mongolen und Tartaren haben dieſen Weg zurückgelegt, niemals aber die Ruſſen, welche im Jahre 1829 auf der, weiter nördlich gegen Trapezunt einer- ſeits und Tripoli anderſeits ziehenden Karawanenſtraße bis Bai- burt und in die Nähe von Gümüſch-Chana vorrückten 2. Von Erzerum ſind 25 Meilen nach Erzingian, welche auf einer viel frequentirten Karawanenſtraße zurückgelegt werden. Sie führt von der armeniſchen Capitale anfänglich durch die ſumpfige Niederung von Ilidja, weiter durch das romantiſche Flußdefilé von Moſch und ſchließlich durch die Ebene Terdjan, wo hinter Erzingian das fünf Stunden lange Gebirgsthor der Duſchik-Kette ſich erſtreckt, zu beiden Seiten begleitet von coloſſalen Felswänden und natürlichen Couliſſen, zwiſchen denen der Eufrat nach Egin vorwärts brauſt … Iſt Erzerum das politiſche und hiſtoriſche Centrum Armeniens, ſo iſt Erzingian der Urſitz armeniſchen Religions-Cultes, in heidniſchem und chriſtlichem Gewande. Im Allgemeinen hat die Stadt in politiſcher Be- ziehung ſo ziemlich das Schickſal der Hauptſtadt getheilt. Zur Zeit Temurs befand ſich die Stadt unter der Herrſchaft eines Mongolenfürſten aus der Dynaſtie vom „Schwarzen Hammel“ (Kara-Kujunli), Namens Juſſuf, der ſich nach Einbruch der Tar- taren in Armenien zu Sultan Bajazid geflüchtet hatte. Die 1 Hammer-Purgſtall, „Geſch. d. osm. Reiches“, I, 41 u. ff. 2 F. R. Chesney, „Die ruſſiſch-türkiſchen Feldzüge 1828—1829“. a. a. O.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/91>, abgerufen am 04.05.2024.