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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Hoch-Armenien.
Folge dieser Flucht war die totale Zerstörung Erzingians durch
den brutalen Weltstürmer, eine Zerstörung, die wahrscheinlich auch
im anderen Falle erfolgt wäre. Die Stadt dürfte das zweite
Arzen der arabischen Chronisten (zum Unterschiede von Erzerum--
Arzen-er-Rum) sein. Aus ihr ging der armenische Prophet,
"Gregor der Erleuchtete", hervor, der Bekehrer Dertads, des ersten
christlichen Königs der Armenier und Schützling Roms. Die
Natur scheint hier wie geschaffen, um Männer von großem Fluge
und starker Willenskraft bei idealen Strebungen hervorzurufen.
Wie an keinem andern Orte Armeniens haben in diesen wild-
schauerlichen Eufratpässen Erdbeben gewüthet1. Die ganze Berg-
masse des Sepuh, der sich aus der Thalebene von Erzingian am
rechten Frat-Ufer aufbaut, ward wiederholt in seinen innersten
Grundfesten erschüttert, Kämme brachen wie Glas entzwei und
Schlünde thaten sich auf, an denen nun die Wege nach den
armenischen Sanctuarien ziehen. Keine Vegetation mildert hier
oben das furchtbar verzerrte und starre Bild übereinander ge-
thürmter Steinmassen. Nur einzelne Zwergfichten hängen an
abgestürzten Blöcken und über todbringenden Abgründen kreisen
die Adler2. So geht es einen vollen Tagmarsch in die Dante'sche
Wildniß hinein, die selbst die räuberischen Duschik-Kurden meiden.
Hier wäre aber auch in der That nichts zu holen. Drei einsame
Klöster, vertheidigungsfähigen Burgen gleich, liegen in den ver-
borgenen Schlupfwinkeln, in die weder der Arm der Barbarei,
noch der Strahl der Civilisation dringt. Die Mönche, welche
in den Klöstern hausen und die Erinnerung an Gregorios in
stumpfem Asketismus bewahren, sind roh und unwissend, des
Lesens und Schreibens unkundig. Sie vernehmen ihr ganzes
Leben nichts, als das Rauschen der Bergwässer, Adlerrufe und
zu Zeiten das unterirdische Donnergepolter, das über die "Höhen
Dertads" bis zum Eufratgestade hin dumpf ausgrollt. Einst
standen hier die Altäre der armenischen Artemis (Anahid)3
und das Götzenbild des chaldäischen Barschamin4 (Bar Schemsche

1 Hammer-Purgstall, "Gesch. d. osm. Reiches", VI, 32.
2 Bore, bei Ritter, a. a. O., X.
3 Strabo, XI.
4 Bore, correspondance et memoires etc.., a. a. O.

Hoch-Armenien.
Folge dieſer Flucht war die totale Zerſtörung Erzingians durch
den brutalen Weltſtürmer, eine Zerſtörung, die wahrſcheinlich auch
im anderen Falle erfolgt wäre. Die Stadt dürfte das zweite
Arzen der arabiſchen Chroniſten (zum Unterſchiede von Erzerum—
Arzen-er-Rum) ſein. Aus ihr ging der armeniſche Prophet,
„Gregor der Erleuchtete“, hervor, der Bekehrer Dertads, des erſten
chriſtlichen Königs der Armenier und Schützling Roms. Die
Natur ſcheint hier wie geſchaffen, um Männer von großem Fluge
und ſtarker Willenskraft bei idealen Strebungen hervorzurufen.
Wie an keinem andern Orte Armeniens haben in dieſen wild-
ſchauerlichen Eufratpäſſen Erdbeben gewüthet1. Die ganze Berg-
maſſe des Sepuh, der ſich aus der Thalebene von Erzingian am
rechten Frat-Ufer aufbaut, ward wiederholt in ſeinen innerſten
Grundfeſten erſchüttert, Kämme brachen wie Glas entzwei und
Schlünde thaten ſich auf, an denen nun die Wege nach den
armeniſchen Sanctuarien ziehen. Keine Vegetation mildert hier
oben das furchtbar verzerrte und ſtarre Bild übereinander ge-
thürmter Steinmaſſen. Nur einzelne Zwergfichten hängen an
abgeſtürzten Blöcken und über todbringenden Abgründen kreiſen
die Adler2. So geht es einen vollen Tagmarſch in die Dante’ſche
Wildniß hinein, die ſelbſt die räuberiſchen Duſchik-Kurden meiden.
Hier wäre aber auch in der That nichts zu holen. Drei einſame
Klöſter, vertheidigungsfähigen Burgen gleich, liegen in den ver-
borgenen Schlupfwinkeln, in die weder der Arm der Barbarei,
noch der Strahl der Civiliſation dringt. Die Mönche, welche
in den Klöſtern hauſen und die Erinnerung an Gregorios in
ſtumpfem Asketismus bewahren, ſind roh und unwiſſend, des
Leſens und Schreibens unkundig. Sie vernehmen ihr ganzes
Leben nichts, als das Rauſchen der Bergwäſſer, Adlerrufe und
zu Zeiten das unterirdiſche Donnergepolter, das über die „Höhen
Dertads“ bis zum Eufratgeſtade hin dumpf ausgrollt. Einſt
ſtanden hier die Altäre der armeniſchen Artemis (Anahid)3
und das Götzenbild des chaldäiſchen Barſchamin4 (Bar Schemſche

1 Hammer-Purgſtall, „Geſch. d. osm. Reiches“, VI, 32.
2 Boré, bei Ritter, a. a. O., X.
3 Strabo, XI.
4 Boré, correspondance et mémoires etc.., a. a. O.
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[60/0092] Hoch-Armenien. Folge dieſer Flucht war die totale Zerſtörung Erzingians durch den brutalen Weltſtürmer, eine Zerſtörung, die wahrſcheinlich auch im anderen Falle erfolgt wäre. Die Stadt dürfte das zweite Arzen der arabiſchen Chroniſten (zum Unterſchiede von Erzerum— Arzen-er-Rum) ſein. Aus ihr ging der armeniſche Prophet, „Gregor der Erleuchtete“, hervor, der Bekehrer Dertads, des erſten chriſtlichen Königs der Armenier und Schützling Roms. Die Natur ſcheint hier wie geſchaffen, um Männer von großem Fluge und ſtarker Willenskraft bei idealen Strebungen hervorzurufen. Wie an keinem andern Orte Armeniens haben in dieſen wild- ſchauerlichen Eufratpäſſen Erdbeben gewüthet 1. Die ganze Berg- maſſe des Sepuh, der ſich aus der Thalebene von Erzingian am rechten Frat-Ufer aufbaut, ward wiederholt in ſeinen innerſten Grundfeſten erſchüttert, Kämme brachen wie Glas entzwei und Schlünde thaten ſich auf, an denen nun die Wege nach den armeniſchen Sanctuarien ziehen. Keine Vegetation mildert hier oben das furchtbar verzerrte und ſtarre Bild übereinander ge- thürmter Steinmaſſen. Nur einzelne Zwergfichten hängen an abgeſtürzten Blöcken und über todbringenden Abgründen kreiſen die Adler 2. So geht es einen vollen Tagmarſch in die Dante’ſche Wildniß hinein, die ſelbſt die räuberiſchen Duſchik-Kurden meiden. Hier wäre aber auch in der That nichts zu holen. Drei einſame Klöſter, vertheidigungsfähigen Burgen gleich, liegen in den ver- borgenen Schlupfwinkeln, in die weder der Arm der Barbarei, noch der Strahl der Civiliſation dringt. Die Mönche, welche in den Klöſtern hauſen und die Erinnerung an Gregorios in ſtumpfem Asketismus bewahren, ſind roh und unwiſſend, des Leſens und Schreibens unkundig. Sie vernehmen ihr ganzes Leben nichts, als das Rauſchen der Bergwäſſer, Adlerrufe und zu Zeiten das unterirdiſche Donnergepolter, das über die „Höhen Dertads“ bis zum Eufratgeſtade hin dumpf ausgrollt. Einſt ſtanden hier die Altäre der armeniſchen Artemis (Anahid) 3 und das Götzenbild des chaldäiſchen Barſchamin 4 (Bar Schemſche 1 Hammer-Purgſtall, „Geſch. d. osm. Reiches“, VI, 32. 2 Boré, bei Ritter, a. a. O., X. 3 Strabo, XI. 4 Boré, correspondance et mémoires etc.., a. a. O.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/92>, abgerufen am 22.11.2024.