Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

Bild:
<< vorherige Seite

Hoch-Armenien.
lichen Stallung durch einen fadenscheinigen Kurdenteppich ge-
schieden. Mobiliar ist keines vorhanden; die Sitzung findet auf
einer Art "Minde" (Matratze) statt, kaum eine Spanne über
dem Boden erhöht, über welchem an der Wand des Hausherren
Stolz, seine Sättel, Waffen und Geräthe aller Art Parade
machen1.

Daß bei so trauriger physischer Existenz auch der moralische
und intellectuelle Werth der Bewohner nicht all zu hoch anzu-
schlagen ist, bedarf keiner ausdrücklichen Erwähnung; die tür-
kische Wirthschaft hat aber auch hier Alles noch weit schlimmer
gestaltet, als es von Haus aus ohnedies war. Das Loos der
Armenier war niemals ein besseres, als das der übrigen christ-
lichen Völker in der Türkei2. Neuester Zeit haben es indeß
die russisch-türkischen Kriege mit sich gebracht, daß ein großer
Theil der Armenier nach den russischen Territorien emigrirte und
so Armenien selbst allerdings empfindlich entvölkert wurde. Im
Grunde war auch das Verbleiben der Armenier in dem bisherigen
türkischen Theile ihres Stammlandes kaum mehr möglich, erwägt
man, wie beispiellos rasch der einst blühende Wohlstand des
Landes unter der schrankenlosen Gewaltherrschaft des Türkenthums
zu Grunde ging.

Im Allgemeinen hatten die Armenier ein ähnliches Schicksal
wie die Hebräer, und die Zeit hat sie zum mindesten über einen
großen Theil der alten Welt hin zerstreut3. Als späterhin
das blühende Ani in die Gewalt des Seldschukiden Alp
Arzlan fiel, wurde der noch vorhandene Rest der Bewohner,
die des ganzen umliegenden Landes mit einbegriffen, nach
dem nördlichen Persien abgeführt, um dort colonisirt zu
werden. Damals hatte eine allgemeine Emigration nach den

1 Curzon, "Reise von Trapezunt nach Erzerum", a. a. O. (Uebers.)
2 Als der "Hatti Humajun" (1856) auch in Armenien publicirt
werden sollte, berief der Pascha von Erzerum die armenischen Erzbischöfe
zu sich, um ihnen das Actenstück mit der Bemerkung zu überreichen, daß
sie im Falle einer Publicirung desselben für ihre Köpfe besorgt sein
müßten. (Vgl. Tschichatscheff, "Lettres sur la Turquie", 63.) Dafür be-
hob derselbe Pascha allein an ungesetzlichen Steuergebühren die enorme
Summe von 800,000 Franken jährlich. (A. a. O., 55.)
3 Vgl. Neumann, Vahrams Chronicle, l. c. p. 25.

Hoch-Armenien.
lichen Stallung durch einen fadenſcheinigen Kurdenteppich ge-
ſchieden. Mobiliar iſt keines vorhanden; die Sitzung findet auf
einer Art „Minde“ (Matratze) ſtatt, kaum eine Spanne über
dem Boden erhöht, über welchem an der Wand des Hausherren
Stolz, ſeine Sättel, Waffen und Geräthe aller Art Parade
machen1.

Daß bei ſo trauriger phyſiſcher Exiſtenz auch der moraliſche
und intellectuelle Werth der Bewohner nicht all zu hoch anzu-
ſchlagen iſt, bedarf keiner ausdrücklichen Erwähnung; die tür-
kiſche Wirthſchaft hat aber auch hier Alles noch weit ſchlimmer
geſtaltet, als es von Haus aus ohnedies war. Das Loos der
Armenier war niemals ein beſſeres, als das der übrigen chriſt-
lichen Völker in der Türkei2. Neueſter Zeit haben es indeß
die ruſſiſch-türkiſchen Kriege mit ſich gebracht, daß ein großer
Theil der Armenier nach den ruſſiſchen Territorien emigrirte und
ſo Armenien ſelbſt allerdings empfindlich entvölkert wurde. Im
Grunde war auch das Verbleiben der Armenier in dem bisherigen
türkiſchen Theile ihres Stammlandes kaum mehr möglich, erwägt
man, wie beiſpiellos raſch der einſt blühende Wohlſtand des
Landes unter der ſchrankenloſen Gewaltherrſchaft des Türkenthums
zu Grunde ging.

Im Allgemeinen hatten die Armenier ein ähnliches Schickſal
wie die Hebräer, und die Zeit hat ſie zum mindeſten über einen
großen Theil der alten Welt hin zerſtreut3. Als ſpäterhin
das blühende Ani in die Gewalt des Seldſchukiden Alp
Arzlan fiel, wurde der noch vorhandene Reſt der Bewohner,
die des ganzen umliegenden Landes mit einbegriffen, nach
dem nördlichen Perſien abgeführt, um dort coloniſirt zu
werden. Damals hatte eine allgemeine Emigration nach den

1 Curzon, „Reiſe von Trapezunt nach Erzerum“, a. a. O. (Ueberſ.)
2 Als der „Hatti Humajun“ (1856) auch in Armenien publicirt
werden ſollte, berief der Paſcha von Erzerum die armeniſchen Erzbiſchöfe
zu ſich, um ihnen das Actenſtück mit der Bemerkung zu überreichen, daß
ſie im Falle einer Publicirung deſſelben für ihre Köpfe beſorgt ſein
müßten. (Vgl. Tſchichatſcheff, „Lettres sur la Turquie“, 63.) Dafür be-
hob derſelbe Paſcha allein an ungeſetzlichen Steuergebühren die enorme
Summe von 800,000 Franken jährlich. (A. a. O., 55.)
3 Vgl. Neumann, Vahrams Chronicle, l. c. p. 25.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0082" n="50"/><fw place="top" type="header">Hoch-Armenien.</fw><lb/>
lichen Stallung durch einen faden&#x017F;cheinigen Kurdenteppich ge-<lb/>
&#x017F;chieden. Mobiliar i&#x017F;t keines vorhanden; die Sitzung findet auf<lb/>
einer Art &#x201E;Minde&#x201C; (Matratze) &#x017F;tatt, kaum eine Spanne über<lb/>
dem Boden erhöht, über welchem an der Wand des Hausherren<lb/>
Stolz, &#x017F;eine Sättel, Waffen und Geräthe aller Art Parade<lb/>
machen<note place="foot" n="1">Curzon, &#x201E;Rei&#x017F;e von Trapezunt nach Erzerum&#x201C;, a. a. O. (Ueber&#x017F;.)</note>.</p><lb/>
        <p>Daß bei &#x017F;o trauriger phy&#x017F;i&#x017F;cher Exi&#x017F;tenz auch der morali&#x017F;che<lb/>
und intellectuelle Werth der Bewohner nicht all zu hoch anzu-<lb/>
&#x017F;chlagen i&#x017F;t, bedarf keiner ausdrücklichen Erwähnung; die tür-<lb/>
ki&#x017F;che Wirth&#x017F;chaft hat aber auch hier Alles noch weit &#x017F;chlimmer<lb/>
ge&#x017F;taltet, als es von Haus aus ohnedies war. Das Loos der<lb/>
Armenier war niemals ein be&#x017F;&#x017F;eres, als das der übrigen chri&#x017F;t-<lb/>
lichen Völker in der Türkei<note place="foot" n="2">Als der &#x201E;Hatti Humajun&#x201C; (1856) auch in Armenien publicirt<lb/>
werden &#x017F;ollte, berief der Pa&#x017F;cha von Erzerum die armeni&#x017F;chen Erzbi&#x017F;chöfe<lb/>
zu &#x017F;ich, um ihnen das Acten&#x017F;tück mit der Bemerkung zu überreichen, daß<lb/>
&#x017F;ie im Falle einer Publicirung de&#x017F;&#x017F;elben für ihre Köpfe be&#x017F;orgt &#x017F;ein<lb/>
müßten. (Vgl. T&#x017F;chichat&#x017F;cheff, <hi rendition="#aq">&#x201E;Lettres sur la Turquie&#x201C;,</hi> 63.) Dafür be-<lb/>
hob der&#x017F;elbe Pa&#x017F;cha allein an unge&#x017F;etzlichen Steuergebühren die enorme<lb/>
Summe von 800,000 Franken jährlich. (A. a. O., 55.)</note>. Neue&#x017F;ter Zeit haben es indeß<lb/>
die ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;ch-türki&#x017F;chen Kriege mit &#x017F;ich gebracht, daß ein großer<lb/>
Theil der Armenier nach den ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Territorien emigrirte und<lb/>
&#x017F;o Armenien &#x017F;elb&#x017F;t allerdings empfindlich entvölkert wurde. Im<lb/>
Grunde war auch das Verbleiben der Armenier in dem bisherigen<lb/>
türki&#x017F;chen Theile ihres Stammlandes kaum mehr möglich, erwägt<lb/>
man, wie bei&#x017F;piellos ra&#x017F;ch der ein&#x017F;t blühende Wohl&#x017F;tand des<lb/>
Landes unter der &#x017F;chrankenlo&#x017F;en Gewaltherr&#x017F;chaft des Türkenthums<lb/>
zu Grunde ging.</p><lb/>
        <p>Im Allgemeinen hatten die Armenier ein ähnliches Schick&#x017F;al<lb/>
wie die Hebräer, und die Zeit hat &#x017F;ie zum minde&#x017F;ten über einen<lb/>
großen Theil der alten Welt hin zer&#x017F;treut<note place="foot" n="3">Vgl. Neumann, <hi rendition="#aq">Vahrams Chronicle, l. c. p.</hi> 25.</note>. Als &#x017F;päterhin<lb/>
das blühende Ani in die Gewalt des Seld&#x017F;chukiden Alp<lb/>
Arzlan fiel, wurde der noch vorhandene Re&#x017F;t der Bewohner,<lb/>
die des ganzen umliegenden Landes mit einbegriffen, nach<lb/>
dem nördlichen Per&#x017F;ien abgeführt, um dort coloni&#x017F;irt zu<lb/>
werden. Damals hatte eine allgemeine Emigration nach den<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0082] Hoch-Armenien. lichen Stallung durch einen fadenſcheinigen Kurdenteppich ge- ſchieden. Mobiliar iſt keines vorhanden; die Sitzung findet auf einer Art „Minde“ (Matratze) ſtatt, kaum eine Spanne über dem Boden erhöht, über welchem an der Wand des Hausherren Stolz, ſeine Sättel, Waffen und Geräthe aller Art Parade machen 1. Daß bei ſo trauriger phyſiſcher Exiſtenz auch der moraliſche und intellectuelle Werth der Bewohner nicht all zu hoch anzu- ſchlagen iſt, bedarf keiner ausdrücklichen Erwähnung; die tür- kiſche Wirthſchaft hat aber auch hier Alles noch weit ſchlimmer geſtaltet, als es von Haus aus ohnedies war. Das Loos der Armenier war niemals ein beſſeres, als das der übrigen chriſt- lichen Völker in der Türkei 2. Neueſter Zeit haben es indeß die ruſſiſch-türkiſchen Kriege mit ſich gebracht, daß ein großer Theil der Armenier nach den ruſſiſchen Territorien emigrirte und ſo Armenien ſelbſt allerdings empfindlich entvölkert wurde. Im Grunde war auch das Verbleiben der Armenier in dem bisherigen türkiſchen Theile ihres Stammlandes kaum mehr möglich, erwägt man, wie beiſpiellos raſch der einſt blühende Wohlſtand des Landes unter der ſchrankenloſen Gewaltherrſchaft des Türkenthums zu Grunde ging. Im Allgemeinen hatten die Armenier ein ähnliches Schickſal wie die Hebräer, und die Zeit hat ſie zum mindeſten über einen großen Theil der alten Welt hin zerſtreut 3. Als ſpäterhin das blühende Ani in die Gewalt des Seldſchukiden Alp Arzlan fiel, wurde der noch vorhandene Reſt der Bewohner, die des ganzen umliegenden Landes mit einbegriffen, nach dem nördlichen Perſien abgeführt, um dort coloniſirt zu werden. Damals hatte eine allgemeine Emigration nach den 1 Curzon, „Reiſe von Trapezunt nach Erzerum“, a. a. O. (Ueberſ.) 2 Als der „Hatti Humajun“ (1856) auch in Armenien publicirt werden ſollte, berief der Paſcha von Erzerum die armeniſchen Erzbiſchöfe zu ſich, um ihnen das Actenſtück mit der Bemerkung zu überreichen, daß ſie im Falle einer Publicirung deſſelben für ihre Köpfe beſorgt ſein müßten. (Vgl. Tſchichatſcheff, „Lettres sur la Turquie“, 63.) Dafür be- hob derſelbe Paſcha allein an ungeſetzlichen Steuergebühren die enorme Summe von 800,000 Franken jährlich. (A. a. O., 55.) 3 Vgl. Neumann, Vahrams Chronicle, l. c. p. 25.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/82
Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/82>, abgerufen am 05.05.2024.