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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Erzerum, die armenische Capitale.
eine uralte Medresse aus des Seldschukiden Melik Schahs Zeit,
blieb bis in die jüngste Zeit bemerkenswerth1, alle übrigen
nehmen sich verödet, ruinenhaft aus, mit niederen Thüren und
Fenstern, die Gewehrschießscharten nicht unähnlich sind. Liegt
nun vollends der Schnee des Winters, der in dieser etwas
zweifelhaft paradiesischen Gegend volle sechs Monate dauert, auf
der Stadt, so ist alles Leben erstorben und selbst die unmittel-
baren Nachbaren sehen sich nur nach vielen Wochen wieder ein-
mal. Dies gilt namentlich von den Dorfbewohnern, die sich
wie die übrigen Land-Armenier, mitunter auch die Türken und
Kurden nicht ausgenommen, in die Erde eingraben und ihre reiz-
lose Existenz in familiärer Gemeinschaft mit den Hausthieren
verbringen. Da auf dreißig Stunden im Umkreise kein Wald
zu finden ist und getrockneter Mist somit ausschließlich als Brenn-
material dienen muß, so findet man diese über alle demokratischen
Begriffe gehende Gemeinschaft und Gleichheit immerhin begreiflich,
aber es wird auch dem Reisenden zugemuthet, sobald er nur
seinen Fuß in eines dieser Troglodytennester gesetzt hat, denselben
Raum mit seinem Gastwirthe zu theilen. Dagegen sich zu wehren,
wäre wohl eine sehr grobe Verletzung der Gastfreundschaft. Die
Wohnung des biederen Erzerumer Landmannes ist eigentlich nichts
anderes als ein -- Stall, und dazu noch ein unterirdischer. Licht und
Luft sind hier unbekannte Elemente, Alles athmet den warmen
Dunst, welchen das Vieh transpirirt, und die kleineren Geschöpfe,
wie Schweinchen und Lämmer, genießen überdies eine Art Haus-
recht, denn sie machen sich in jedem Winkel der Behausung zu
schaffen und beschnüffeln gelegentlich wohl auch den armen Gast,
dem sein Wirth Audienz ertheilt hat. Der Raum, in dem derlei
ceremoniösen Zwischenfälle stattzufinden pflegen, ist von der eigent-

1 Im Jahre 1843 in Folge eines Erdbebens leider zum großen
Theile eingestürzt. Sie ist im Jahre 935 n. Chr. erbaut; auf einem
Minaret befindet sich eine Inschrift, die folgendermaßen lautet: "Der
Gottesdiener-Sitz ist hier zu schauen; in der Zeit des Khalifats Sultan
Malek-Khans, dessen Geburt Gott ewig dauernd mache, war es, während
ich aus Chorasmien einen Zug nach der Stadt Rum (daher Arzrum oder
Erzerum) machte, daß in der Zeit, als ich diese Gegend erreichte, ich den
allergenehmsten Ruheort hatte, daraus kam mir die Lust, irgend ein Ge-
bäude zu errichten etc. .." (Karl Koch, "Wanderungen im Orient", II, 283.)
Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. 4

Erzerum, die armeniſche Capitale.
eine uralte Medreſſe aus des Seldſchukiden Melik Schahs Zeit,
blieb bis in die jüngſte Zeit bemerkenswerth1, alle übrigen
nehmen ſich verödet, ruinenhaft aus, mit niederen Thüren und
Fenſtern, die Gewehrſchießſcharten nicht unähnlich ſind. Liegt
nun vollends der Schnee des Winters, der in dieſer etwas
zweifelhaft paradieſiſchen Gegend volle ſechs Monate dauert, auf
der Stadt, ſo iſt alles Leben erſtorben und ſelbſt die unmittel-
baren Nachbaren ſehen ſich nur nach vielen Wochen wieder ein-
mal. Dies gilt namentlich von den Dorfbewohnern, die ſich
wie die übrigen Land-Armenier, mitunter auch die Türken und
Kurden nicht ausgenommen, in die Erde eingraben und ihre reiz-
loſe Exiſtenz in familiärer Gemeinſchaft mit den Hausthieren
verbringen. Da auf dreißig Stunden im Umkreiſe kein Wald
zu finden iſt und getrockneter Miſt ſomit ausſchließlich als Brenn-
material dienen muß, ſo findet man dieſe über alle demokratiſchen
Begriffe gehende Gemeinſchaft und Gleichheit immerhin begreiflich,
aber es wird auch dem Reiſenden zugemuthet, ſobald er nur
ſeinen Fuß in eines dieſer Troglodytenneſter geſetzt hat, denſelben
Raum mit ſeinem Gaſtwirthe zu theilen. Dagegen ſich zu wehren,
wäre wohl eine ſehr grobe Verletzung der Gaſtfreundſchaft. Die
Wohnung des biederen Erzerumer Landmannes iſt eigentlich nichts
anderes als ein — Stall, und dazu noch ein unterirdiſcher. Licht und
Luft ſind hier unbekannte Elemente, Alles athmet den warmen
Dunſt, welchen das Vieh transpirirt, und die kleineren Geſchöpfe,
wie Schweinchen und Lämmer, genießen überdies eine Art Haus-
recht, denn ſie machen ſich in jedem Winkel der Behauſung zu
ſchaffen und beſchnüffeln gelegentlich wohl auch den armen Gaſt,
dem ſein Wirth Audienz ertheilt hat. Der Raum, in dem derlei
ceremoniöſen Zwiſchenfälle ſtattzufinden pflegen, iſt von der eigent-

1 Im Jahre 1843 in Folge eines Erdbebens leider zum großen
Theile eingeſtürzt. Sie iſt im Jahre 935 n. Chr. erbaut; auf einem
Minaret befindet ſich eine Inſchrift, die folgendermaßen lautet: „Der
Gottesdiener-Sitz iſt hier zu ſchauen; in der Zeit des Khalifats Sultan
Malek-Khans, deſſen Geburt Gott ewig dauernd mache, war es, während
ich aus Chorasmien einen Zug nach der Stadt Rum (daher Arzrum oder
Erzerum) machte, daß in der Zeit, als ich dieſe Gegend erreichte, ich den
allergenehmſten Ruheort hatte, daraus kam mir die Luſt, irgend ein Ge-
bäude zu errichten ꝛc. ..“ (Karl Koch, „Wanderungen im Orient“, II, 283.)
Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. 4
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[49/0081] Erzerum, die armeniſche Capitale. eine uralte Medreſſe aus des Seldſchukiden Melik Schahs Zeit, blieb bis in die jüngſte Zeit bemerkenswerth 1, alle übrigen nehmen ſich verödet, ruinenhaft aus, mit niederen Thüren und Fenſtern, die Gewehrſchießſcharten nicht unähnlich ſind. Liegt nun vollends der Schnee des Winters, der in dieſer etwas zweifelhaft paradieſiſchen Gegend volle ſechs Monate dauert, auf der Stadt, ſo iſt alles Leben erſtorben und ſelbſt die unmittel- baren Nachbaren ſehen ſich nur nach vielen Wochen wieder ein- mal. Dies gilt namentlich von den Dorfbewohnern, die ſich wie die übrigen Land-Armenier, mitunter auch die Türken und Kurden nicht ausgenommen, in die Erde eingraben und ihre reiz- loſe Exiſtenz in familiärer Gemeinſchaft mit den Hausthieren verbringen. Da auf dreißig Stunden im Umkreiſe kein Wald zu finden iſt und getrockneter Miſt ſomit ausſchließlich als Brenn- material dienen muß, ſo findet man dieſe über alle demokratiſchen Begriffe gehende Gemeinſchaft und Gleichheit immerhin begreiflich, aber es wird auch dem Reiſenden zugemuthet, ſobald er nur ſeinen Fuß in eines dieſer Troglodytenneſter geſetzt hat, denſelben Raum mit ſeinem Gaſtwirthe zu theilen. Dagegen ſich zu wehren, wäre wohl eine ſehr grobe Verletzung der Gaſtfreundſchaft. Die Wohnung des biederen Erzerumer Landmannes iſt eigentlich nichts anderes als ein — Stall, und dazu noch ein unterirdiſcher. Licht und Luft ſind hier unbekannte Elemente, Alles athmet den warmen Dunſt, welchen das Vieh transpirirt, und die kleineren Geſchöpfe, wie Schweinchen und Lämmer, genießen überdies eine Art Haus- recht, denn ſie machen ſich in jedem Winkel der Behauſung zu ſchaffen und beſchnüffeln gelegentlich wohl auch den armen Gaſt, dem ſein Wirth Audienz ertheilt hat. Der Raum, in dem derlei ceremoniöſen Zwiſchenfälle ſtattzufinden pflegen, iſt von der eigent- 1 Im Jahre 1843 in Folge eines Erdbebens leider zum großen Theile eingeſtürzt. Sie iſt im Jahre 935 n. Chr. erbaut; auf einem Minaret befindet ſich eine Inſchrift, die folgendermaßen lautet: „Der Gottesdiener-Sitz iſt hier zu ſchauen; in der Zeit des Khalifats Sultan Malek-Khans, deſſen Geburt Gott ewig dauernd mache, war es, während ich aus Chorasmien einen Zug nach der Stadt Rum (daher Arzrum oder Erzerum) machte, daß in der Zeit, als ich dieſe Gegend erreichte, ich den allergenehmſten Ruheort hatte, daraus kam mir die Luſt, irgend ein Ge- bäude zu errichten ꝛc. ..“ (Karl Koch, „Wanderungen im Orient“, II, 283.) Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. 4

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/81>, abgerufen am 22.11.2024.