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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Im Ararat-Gebiet.
Etschmiadsins vor Allem die religiösen und rein kirchlichen Tra-
ditionen.

Als Rußland in Folge des Friedens von Turkmantschai (1827)
in den Besitz des Khanats Eriwan trat und so sich die Provinz
Russisch-Armenien schuf, war es ihm vielleicht ebensosehr um den
Besitz des im Uebrigen nicht absonderlich großen Landstriches zu
thun, als um den Patriarchensitz Etschmiadsin, dem eigentlichen
geistigen Machtcentrum Groß-Armeniens. Unmittelbar nach dem
Concile vor Khalkedon (dem heutigen Kadiköi bei Constantinopel),
durch welches in der armenischen Kirche das bekannte Schisma
platzgriff, erwählen die papistischen Armenier das ferne Sis bei
Tarsus (in Cilicien) zu ihrem Patriarchensitze, indeß der grego-
rianische Katholikus, einfach nur auf die Sublimität des Ortes
"Etschmiadsin" (i. e.: Descensus) sich stützend, seine Herrschaft hier
zu begründen strebte1. Rußland rechnete demnach hier nicht blos
auf das Alter einer mächtig eingewurzelten Tradition, sondern
auch, und das vielleicht in weit höherem Grade, auf die unge-
schwächte Anziehungskraft, die der Patriarchensitz unter allen
Umständen auf die Gläubigen in den türkischen Gebieten ausüben
mußte. Etschmiadsin ist und war ja immer ein religiöser Mittel-
punkt, ein Hort des Glaubens (wie das päpstliche Rom), das
Heim asketischen Mönchthums und stumpfsinniger Abgötterei, das
Wanderziel zahlloser Ekstatiker durch alle Jahrhunderte2. Auf
die ursprüngliche Bedrückung von Seite andersgläubiger Be-
herrscher folgte eine Periode des Glanzes. Der Patriarch residirte
in seinem ummauerten Kloster, wie jeder andere morgenländische
Autokrat, mitunter nicht ohne despotische Härte, immer aber mit

1 Hermann, "Das russische Armenien", 18 u. ff.
2 Die Verhältnisse waren hier gleichwohl noch um die Mitte des
vorigen Jahrhunderts wenig erfreuliche. Die regierenden Patriarchen
waren voll Neid, falschem Ehrgeiz und Habsucht und mischten sich mit
ihren Episkopen allenthalben in die weltlichen Händel des benachbarten
türkischen und des eigenen, damals noch persischen Reiches. Auch blieb
der Einfluß derselben auf die armenischen Bewohner, die in Armuth und
Unwissenheit verkommen waren, ein vollends unbedeutender. Für die
Rohheit der damaligen Sitten spricht überdies der Umstand, daß man
Gäste nicht besser, als durch kirchlich eingeweihte Stiergefechte zu ehren
wußte. (Vgl. Tavernier, Six Voy. etc., und Chardin, Voy. en Perse, bei
Ritter, Erdk. X, 517.)

Im Ararat-Gebiet.
Etſchmiadſins vor Allem die religiöſen und rein kirchlichen Tra-
ditionen.

Als Rußland in Folge des Friedens von Turkmantſchai (1827)
in den Beſitz des Khanats Eriwan trat und ſo ſich die Provinz
Ruſſiſch-Armenien ſchuf, war es ihm vielleicht ebenſoſehr um den
Beſitz des im Uebrigen nicht abſonderlich großen Landſtriches zu
thun, als um den Patriarchenſitz Etſchmiadſin, dem eigentlichen
geiſtigen Machtcentrum Groß-Armeniens. Unmittelbar nach dem
Concile vor Khalkedon (dem heutigen Kadiköi bei Conſtantinopel),
durch welches in der armeniſchen Kirche das bekannte Schisma
platzgriff, erwählen die papiſtiſchen Armenier das ferne Sis bei
Tarſus (in Cilicien) zu ihrem Patriarchenſitze, indeß der grego-
rianiſche Katholikus, einfach nur auf die Sublimität des Ortes
„Etſchmiadſin“ (i. e.: Descensus) ſich ſtützend, ſeine Herrſchaft hier
zu begründen ſtrebte1. Rußland rechnete demnach hier nicht blos
auf das Alter einer mächtig eingewurzelten Tradition, ſondern
auch, und das vielleicht in weit höherem Grade, auf die unge-
ſchwächte Anziehungskraft, die der Patriarchenſitz unter allen
Umſtänden auf die Gläubigen in den türkiſchen Gebieten ausüben
mußte. Etſchmiadſin iſt und war ja immer ein religiöſer Mittel-
punkt, ein Hort des Glaubens (wie das päpſtliche Rom), das
Heim asketiſchen Mönchthums und ſtumpfſinniger Abgötterei, das
Wanderziel zahlloſer Ekſtatiker durch alle Jahrhunderte2. Auf
die urſprüngliche Bedrückung von Seite andersgläubiger Be-
herrſcher folgte eine Periode des Glanzes. Der Patriarch reſidirte
in ſeinem ummauerten Kloſter, wie jeder andere morgenländiſche
Autokrat, mitunter nicht ohne despotiſche Härte, immer aber mit

1 Hermann, „Das ruſſiſche Armenien“, 18 u. ff.
2 Die Verhältniſſe waren hier gleichwohl noch um die Mitte des
vorigen Jahrhunderts wenig erfreuliche. Die regierenden Patriarchen
waren voll Neid, falſchem Ehrgeiz und Habſucht und miſchten ſich mit
ihren Episkopen allenthalben in die weltlichen Händel des benachbarten
türkiſchen und des eigenen, damals noch perſiſchen Reiches. Auch blieb
der Einfluß derſelben auf die armeniſchen Bewohner, die in Armuth und
Unwiſſenheit verkommen waren, ein vollends unbedeutender. Für die
Rohheit der damaligen Sitten ſpricht überdies der Umſtand, daß man
Gäſte nicht beſſer, als durch kirchlich eingeweihte Stiergefechte zu ehren
wußte. (Vgl. Tavernier, Six Voy. etc., und Chardin, Voy. en Perse, bei
Ritter, Erdk. X, 517.)
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[36/0068] Im Ararat-Gebiet. Etſchmiadſins vor Allem die religiöſen und rein kirchlichen Tra- ditionen. Als Rußland in Folge des Friedens von Turkmantſchai (1827) in den Beſitz des Khanats Eriwan trat und ſo ſich die Provinz Ruſſiſch-Armenien ſchuf, war es ihm vielleicht ebenſoſehr um den Beſitz des im Uebrigen nicht abſonderlich großen Landſtriches zu thun, als um den Patriarchenſitz Etſchmiadſin, dem eigentlichen geiſtigen Machtcentrum Groß-Armeniens. Unmittelbar nach dem Concile vor Khalkedon (dem heutigen Kadiköi bei Conſtantinopel), durch welches in der armeniſchen Kirche das bekannte Schisma platzgriff, erwählen die papiſtiſchen Armenier das ferne Sis bei Tarſus (in Cilicien) zu ihrem Patriarchenſitze, indeß der grego- rianiſche Katholikus, einfach nur auf die Sublimität des Ortes „Etſchmiadſin“ (i. e.: Descensus) ſich ſtützend, ſeine Herrſchaft hier zu begründen ſtrebte 1. Rußland rechnete demnach hier nicht blos auf das Alter einer mächtig eingewurzelten Tradition, ſondern auch, und das vielleicht in weit höherem Grade, auf die unge- ſchwächte Anziehungskraft, die der Patriarchenſitz unter allen Umſtänden auf die Gläubigen in den türkiſchen Gebieten ausüben mußte. Etſchmiadſin iſt und war ja immer ein religiöſer Mittel- punkt, ein Hort des Glaubens (wie das päpſtliche Rom), das Heim asketiſchen Mönchthums und ſtumpfſinniger Abgötterei, das Wanderziel zahlloſer Ekſtatiker durch alle Jahrhunderte 2. Auf die urſprüngliche Bedrückung von Seite andersgläubiger Be- herrſcher folgte eine Periode des Glanzes. Der Patriarch reſidirte in ſeinem ummauerten Kloſter, wie jeder andere morgenländiſche Autokrat, mitunter nicht ohne despotiſche Härte, immer aber mit 1 Hermann, „Das ruſſiſche Armenien“, 18 u. ff. 2 Die Verhältniſſe waren hier gleichwohl noch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts wenig erfreuliche. Die regierenden Patriarchen waren voll Neid, falſchem Ehrgeiz und Habſucht und miſchten ſich mit ihren Episkopen allenthalben in die weltlichen Händel des benachbarten türkiſchen und des eigenen, damals noch perſiſchen Reiches. Auch blieb der Einfluß derſelben auf die armeniſchen Bewohner, die in Armuth und Unwiſſenheit verkommen waren, ein vollends unbedeutender. Für die Rohheit der damaligen Sitten ſpricht überdies der Umſtand, daß man Gäſte nicht beſſer, als durch kirchlich eingeweihte Stiergefechte zu ehren wußte. (Vgl. Tavernier, Six Voy. etc., und Chardin, Voy. en Perse, bei Ritter, Erdk. X, 517.)

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/68>, abgerufen am 25.11.2024.