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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Im Ararat-Gebiet.

Zunächst bewegen sich alle alt-armenischen Sagen im gleichen
Rahmen, wie die Helden des persischen Königsbuches, wodurch
die geistige Verwandtschaft der Armenier mit den Iraniern als
thatsächlich hingestellt erscheint1. Der grammatikalische Bau der
"classischen" armenischen Sprache, oder des Haikanischen, wohl
zu unterscheiden von dem sogenannten Vulgär-Armenischen, welches
die heutigen Bewohner Armeniens sprechen und das mit zahl-
reichen türkischen und neu-persischen Worten untermischt in zwei
Haupt-Dialekte, dem westlichen und östlichen, zerfällt2, ist der-
selbe, welcher den alten arischen (indo-germanischen) Sprachen
eigen ist. Namentlich die einsilbigen Wortwurzeln deuten darauf
hin, daß der Semitismus das Haikanische niemals ummodelte,
trotz des langjährigen Verkehrs der Armenier mit den Assyriern
und den eingewanderten colonisirten Hebräern. Da das Haikanische
überdies als eine Art todte Sprache zu betrachten ist, da mit
dem Ende der classischen Literatur (um die Mitte des XIV. Jahr-
hunderts) das Rein-Armenische nur mehr in den Klöstern seine
Pflege fand, so war den Sprachforschern, an der Hand der
Ueberlieferungen und Mittheilungen der gelehrten Mechitaristen,
die beste Gelegenheit gegeben, den arischen Ursprung des Arme-
nischen endgiltig zu beweisen, trotz einiger Widersacher, die,
wunderlich genug, aus manchen tartarischen Elementen derselben,
wobei sie sich aber nur an das Neu-Armenische hielten, eine
Verwandtschaft mit dem Türkisch-Tartarischen herausfinden wollten.
Bekanntlich verfügt auch das Neu-Persische über einen ganz an-
nehmbaren Wortschatz aus dem Türkischen und Arabischen, es
würde aber hiebei gleichwohl Niemandem einfallen, die persische
Sprache anderswohin zu rangiren, als unter die arischen Sprachen,
unter die sie, wie männiglich bekannt, gehört. Im Haikanischen
finden sich aber überdies alle jene Worte vor, statt deren heute
türkische im Gange sind, ein Beweis mehr, daß die betreffenden

1 Neumann, "Versuch einer arm. Literatur", a. a. O.
2 Von diesen beiden Dialekten ist jener, welcher im Osten Armeniens,
im Gebiete von Eriwan gesprochen wird, der weitaus reinere; der andere
(im Westen) aber voll fremder, namentlich türkischer Wörter. Am reinsten
soll indeß das alte Haikische von den armenischen Colonisten in Astrachan
gesprochen werden. Die Sprache der armenischen Bewohner am unteren
Araxes aber soll ein vollkommenes Kauderwälsch sein.
Im Ararat-Gebiet.

Zunächſt bewegen ſich alle alt-armeniſchen Sagen im gleichen
Rahmen, wie die Helden des perſiſchen Königsbuches, wodurch
die geiſtige Verwandtſchaft der Armenier mit den Iraniern als
thatſächlich hingeſtellt erſcheint1. Der grammatikaliſche Bau der
„claſſiſchen“ armeniſchen Sprache, oder des Haikaniſchen, wohl
zu unterſcheiden von dem ſogenannten Vulgär-Armeniſchen, welches
die heutigen Bewohner Armeniens ſprechen und das mit zahl-
reichen türkiſchen und neu-perſiſchen Worten untermiſcht in zwei
Haupt-Dialekte, dem weſtlichen und öſtlichen, zerfällt2, iſt der-
ſelbe, welcher den alten ariſchen (indo-germaniſchen) Sprachen
eigen iſt. Namentlich die einſilbigen Wortwurzeln deuten darauf
hin, daß der Semitismus das Haikaniſche niemals ummodelte,
trotz des langjährigen Verkehrs der Armenier mit den Aſſyriern
und den eingewanderten coloniſirten Hebräern. Da das Haikaniſche
überdies als eine Art todte Sprache zu betrachten iſt, da mit
dem Ende der claſſiſchen Literatur (um die Mitte des XIV. Jahr-
hunderts) das Rein-Armeniſche nur mehr in den Klöſtern ſeine
Pflege fand, ſo war den Sprachforſchern, an der Hand der
Ueberlieferungen und Mittheilungen der gelehrten Mechitariſten,
die beſte Gelegenheit gegeben, den ariſchen Urſprung des Arme-
niſchen endgiltig zu beweiſen, trotz einiger Widerſacher, die,
wunderlich genug, aus manchen tartariſchen Elementen derſelben,
wobei ſie ſich aber nur an das Neu-Armeniſche hielten, eine
Verwandtſchaft mit dem Türkiſch-Tartariſchen herausfinden wollten.
Bekanntlich verfügt auch das Neu-Perſiſche über einen ganz an-
nehmbaren Wortſchatz aus dem Türkiſchen und Arabiſchen, es
würde aber hiebei gleichwohl Niemandem einfallen, die perſiſche
Sprache anderswohin zu rangiren, als unter die ariſchen Sprachen,
unter die ſie, wie männiglich bekannt, gehört. Im Haikaniſchen
finden ſich aber überdies alle jene Worte vor, ſtatt deren heute
türkiſche im Gange ſind, ein Beweis mehr, daß die betreffenden

1 Neumann, „Verſuch einer arm. Literatur“, a. a. O.
2 Von dieſen beiden Dialekten iſt jener, welcher im Oſten Armeniens,
im Gebiete von Eriwan geſprochen wird, der weitaus reinere; der andere
(im Weſten) aber voll fremder, namentlich türkiſcher Wörter. Am reinſten
ſoll indeß das alte Haikiſche von den armeniſchen Coloniſten in Aſtrachan
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Araxes aber ſoll ein vollkommenes Kauderwälſch ſein.
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[34/0066] Im Ararat-Gebiet. Zunächſt bewegen ſich alle alt-armeniſchen Sagen im gleichen Rahmen, wie die Helden des perſiſchen Königsbuches, wodurch die geiſtige Verwandtſchaft der Armenier mit den Iraniern als thatſächlich hingeſtellt erſcheint 1. Der grammatikaliſche Bau der „claſſiſchen“ armeniſchen Sprache, oder des Haikaniſchen, wohl zu unterſcheiden von dem ſogenannten Vulgär-Armeniſchen, welches die heutigen Bewohner Armeniens ſprechen und das mit zahl- reichen türkiſchen und neu-perſiſchen Worten untermiſcht in zwei Haupt-Dialekte, dem weſtlichen und öſtlichen, zerfällt 2, iſt der- ſelbe, welcher den alten ariſchen (indo-germaniſchen) Sprachen eigen iſt. Namentlich die einſilbigen Wortwurzeln deuten darauf hin, daß der Semitismus das Haikaniſche niemals ummodelte, trotz des langjährigen Verkehrs der Armenier mit den Aſſyriern und den eingewanderten coloniſirten Hebräern. Da das Haikaniſche überdies als eine Art todte Sprache zu betrachten iſt, da mit dem Ende der claſſiſchen Literatur (um die Mitte des XIV. Jahr- hunderts) das Rein-Armeniſche nur mehr in den Klöſtern ſeine Pflege fand, ſo war den Sprachforſchern, an der Hand der Ueberlieferungen und Mittheilungen der gelehrten Mechitariſten, die beſte Gelegenheit gegeben, den ariſchen Urſprung des Arme- niſchen endgiltig zu beweiſen, trotz einiger Widerſacher, die, wunderlich genug, aus manchen tartariſchen Elementen derſelben, wobei ſie ſich aber nur an das Neu-Armeniſche hielten, eine Verwandtſchaft mit dem Türkiſch-Tartariſchen herausfinden wollten. Bekanntlich verfügt auch das Neu-Perſiſche über einen ganz an- nehmbaren Wortſchatz aus dem Türkiſchen und Arabiſchen, es würde aber hiebei gleichwohl Niemandem einfallen, die perſiſche Sprache anderswohin zu rangiren, als unter die ariſchen Sprachen, unter die ſie, wie männiglich bekannt, gehört. Im Haikaniſchen finden ſich aber überdies alle jene Worte vor, ſtatt deren heute türkiſche im Gange ſind, ein Beweis mehr, daß die betreffenden 1 Neumann, „Verſuch einer arm. Literatur“, a. a. O. 2 Von dieſen beiden Dialekten iſt jener, welcher im Oſten Armeniens, im Gebiete von Eriwan geſprochen wird, der weitaus reinere; der andere (im Weſten) aber voll fremder, namentlich türkiſcher Wörter. Am reinſten ſoll indeß das alte Haikiſche von den armeniſchen Coloniſten in Aſtrachan geſprochen werden. Die Sprache der armeniſchen Bewohner am unteren Araxes aber ſoll ein vollkommenes Kauderwälſch ſein.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/66>, abgerufen am 04.05.2024.