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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Zur jüngeren Völkerbewegung.
sein1 ... Die spätere Völkerbewegung zur Zeit der Seldschuken,
Mongolen, Osmanen und Tartaren dürfte kaum wesentlich die
armenische Population durchsetzt haben, wenngleich die Eigen-
thümlichkeit derselben, Fremdes sich zu assimiliren und die eigene
Individualität ausländischen Einflüssen gegenüber wenig zu
wahren, in Bezug auf das Osmanenthum nicht ohne Consequenzen
geblieben sein dürfte. Dies alterirt aber selbstverständlich nicht
im Geringsten die Thatsache, daß die Armenier arischen Stammes
sind und in den ersten Stadien ihrer ethnischen Entwickelung
stets nur mit ihnen verwandten Stämmen Blutmischungen er-
fuhren. Für die arische Abstammung der Armenier spricht über-
dies auch ihre Sprache2.

1 Viel beachtenswerther erscheint der, freilich in eine viel spätere Zeit
fallende Verkehr (die ersten Bulgaren-Einwanderungen sollen unter Ar-
saces I., also vor Ablauf des zweiten Jahrhunderts v. Chr. stattgefunden
haben) der Wolga-Bulgaren mit den Bagdader Khalifen. Es war ein
langjähriger, geistig-religiöser Verkehr, doch keine Begegnung der Massen.
Daß dieser Verkehr über Armenien ging, liegt in der geographischen
Situation. Ein Sohn des Königs Almus wallfahrtete sogar über Bagdad
nach Mekka, und die ganze Cultur des Bulgarenreiches an der Wolga
nahm einen orientalischen Charakter an, wie auch ein Geschichtsschreiber
in demselben auftauchte, der in arabischer Sprache eine Geschichte der
Bulgaren geschrieben hatte, die leider verloren ging. (R. Rösler, "Romä-
nische Studien", 245 u. ff.) Bei Annahme eines zeitweiligen Einströmens
skythischer Elemente in Armenien ist es überdies fraglich, ob es wirkliche
Bulgaren, oder chazarische Tulas und Lugar, oder Burdas, die Ibn Dasta
(Rösler, ebenda, 359) als die, nördlich des Kaukasus wohnenden Völker
angibt, waren, die mit den Armeniern in Berührung kamen.
2 Ueber die armenische Sprache existirt eine kleine aber um so ge-
diegenere und werthvolle Literatur. Die bedeutendsten Arbeiten hierin
sind: Petermann, "grammatica linguae armeniacae", Patkanoff, "Recher-
ches s. l. format. d. l. langue armenienne",
Bötticher, "Vergleichung der
armenischen Consonanten mit denen des Sanskrit", dann Abhandlungen
von Lagarde, F. Müller, F. Windischmann, Schröder u. A. Die arme-
nische Sprache besteht (P. de Lagarde, "Armenische Studien", 208) aus
drei Bestandtheilen, dem Haikanischen, dem Arsacidischen (Pahlawi) und
dem Sassanidischen. Die letzteren zwei sind selbstverständlich iranischen
Charakters, aber auch das Haikanische gehört der Sprachenfamilie an,
deren ältester Vertreter das Zend ist. Entschieden iranisch in seine Laut-
lehre, hängt es in seinem Wörterbuche mit den Dialekten Griechenlands
und dem Slavischen zusammen. Festzustellen, wie weit dies auch in der
Grammatik stattfindet, muß weiterer Untersuchung vorbehalten bleiben.
Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. 3

Zur jüngeren Völkerbewegung.
ſein1 … Die ſpätere Völkerbewegung zur Zeit der Seldſchuken,
Mongolen, Osmanen und Tartaren dürfte kaum weſentlich die
armeniſche Population durchſetzt haben, wenngleich die Eigen-
thümlichkeit derſelben, Fremdes ſich zu aſſimiliren und die eigene
Individualität ausländiſchen Einflüſſen gegenüber wenig zu
wahren, in Bezug auf das Osmanenthum nicht ohne Conſequenzen
geblieben ſein dürfte. Dies alterirt aber ſelbſtverſtändlich nicht
im Geringſten die Thatſache, daß die Armenier ariſchen Stammes
ſind und in den erſten Stadien ihrer ethniſchen Entwickelung
ſtets nur mit ihnen verwandten Stämmen Blutmiſchungen er-
fuhren. Für die ariſche Abſtammung der Armenier ſpricht über-
dies auch ihre Sprache2.

1 Viel beachtenswerther erſcheint der, freilich in eine viel ſpätere Zeit
fallende Verkehr (die erſten Bulgaren-Einwanderungen ſollen unter Ar-
ſaces I., alſo vor Ablauf des zweiten Jahrhunderts v. Chr. ſtattgefunden
haben) der Wolga-Bulgaren mit den Bagdader Khalifen. Es war ein
langjähriger, geiſtig-religiöſer Verkehr, doch keine Begegnung der Maſſen.
Daß dieſer Verkehr über Armenien ging, liegt in der geographiſchen
Situation. Ein Sohn des Königs Almus wallfahrtete ſogar über Bagdad
nach Mekka, und die ganze Cultur des Bulgarenreiches an der Wolga
nahm einen orientaliſchen Charakter an, wie auch ein Geſchichtsſchreiber
in demſelben auftauchte, der in arabiſcher Sprache eine Geſchichte der
Bulgaren geſchrieben hatte, die leider verloren ging. (R. Rösler, „Romä-
niſche Studien“, 245 u. ff.) Bei Annahme eines zeitweiligen Einſtrömens
ſkythiſcher Elemente in Armenien iſt es überdies fraglich, ob es wirkliche
Bulgaren, oder chazariſche Tulas und Lugar, oder Burdas, die Ibn Daſta
(Rösler, ebenda, 359) als die, nördlich des Kaukaſus wohnenden Völker
angibt, waren, die mit den Armeniern in Berührung kamen.
2 Ueber die armeniſche Sprache exiſtirt eine kleine aber um ſo ge-
diegenere und werthvolle Literatur. Die bedeutendſten Arbeiten hierin
ſind: Petermann, „grammatica linguae armeniacae“, Patkanoff, „Recher-
ches s. l. format. d. l. langue arménienne“,
Bötticher, „Vergleichung der
armeniſchen Conſonanten mit denen des Sanskrit“, dann Abhandlungen
von Lagarde, F. Müller, F. Windiſchmann, Schröder u. A. Die arme-
niſche Sprache beſteht (P. de Lagarde, „Armeniſche Studien“, 208) aus
drei Beſtandtheilen, dem Haikaniſchen, dem Arſacidiſchen (Pahlâwi) und
dem Saſſanidiſchen. Die letzteren zwei ſind ſelbſtverſtändlich iraniſchen
Charakters, aber auch das Haikaniſche gehört der Sprachenfamilie an,
deren älteſter Vertreter das Zend iſt. Entſchieden iraniſch in ſeine Laut-
lehre, hängt es in ſeinem Wörterbuche mit den Dialekten Griechenlands
und dem Slaviſchen zuſammen. Feſtzuſtellen, wie weit dies auch in der
Grammatik ſtattfindet, muß weiterer Unterſuchung vorbehalten bleiben.
Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. 3
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[33/0065] Zur jüngeren Völkerbewegung. ſein 1 … Die ſpätere Völkerbewegung zur Zeit der Seldſchuken, Mongolen, Osmanen und Tartaren dürfte kaum weſentlich die armeniſche Population durchſetzt haben, wenngleich die Eigen- thümlichkeit derſelben, Fremdes ſich zu aſſimiliren und die eigene Individualität ausländiſchen Einflüſſen gegenüber wenig zu wahren, in Bezug auf das Osmanenthum nicht ohne Conſequenzen geblieben ſein dürfte. Dies alterirt aber ſelbſtverſtändlich nicht im Geringſten die Thatſache, daß die Armenier ariſchen Stammes ſind und in den erſten Stadien ihrer ethniſchen Entwickelung ſtets nur mit ihnen verwandten Stämmen Blutmiſchungen er- fuhren. Für die ariſche Abſtammung der Armenier ſpricht über- dies auch ihre Sprache 2. 1 Viel beachtenswerther erſcheint der, freilich in eine viel ſpätere Zeit fallende Verkehr (die erſten Bulgaren-Einwanderungen ſollen unter Ar- ſaces I., alſo vor Ablauf des zweiten Jahrhunderts v. Chr. ſtattgefunden haben) der Wolga-Bulgaren mit den Bagdader Khalifen. Es war ein langjähriger, geiſtig-religiöſer Verkehr, doch keine Begegnung der Maſſen. Daß dieſer Verkehr über Armenien ging, liegt in der geographiſchen Situation. Ein Sohn des Königs Almus wallfahrtete ſogar über Bagdad nach Mekka, und die ganze Cultur des Bulgarenreiches an der Wolga nahm einen orientaliſchen Charakter an, wie auch ein Geſchichtsſchreiber in demſelben auftauchte, der in arabiſcher Sprache eine Geſchichte der Bulgaren geſchrieben hatte, die leider verloren ging. (R. Rösler, „Romä- niſche Studien“, 245 u. ff.) Bei Annahme eines zeitweiligen Einſtrömens ſkythiſcher Elemente in Armenien iſt es überdies fraglich, ob es wirkliche Bulgaren, oder chazariſche Tulas und Lugar, oder Burdas, die Ibn Daſta (Rösler, ebenda, 359) als die, nördlich des Kaukaſus wohnenden Völker angibt, waren, die mit den Armeniern in Berührung kamen. 2 Ueber die armeniſche Sprache exiſtirt eine kleine aber um ſo ge- diegenere und werthvolle Literatur. Die bedeutendſten Arbeiten hierin ſind: Petermann, „grammatica linguae armeniacae“, Patkanoff, „Recher- ches s. l. format. d. l. langue arménienne“, Bötticher, „Vergleichung der armeniſchen Conſonanten mit denen des Sanskrit“, dann Abhandlungen von Lagarde, F. Müller, F. Windiſchmann, Schröder u. A. Die arme- niſche Sprache beſteht (P. de Lagarde, „Armeniſche Studien“, 208) aus drei Beſtandtheilen, dem Haikaniſchen, dem Arſacidiſchen (Pahlâwi) und dem Saſſanidiſchen. Die letzteren zwei ſind ſelbſtverſtändlich iraniſchen Charakters, aber auch das Haikaniſche gehört der Sprachenfamilie an, deren älteſter Vertreter das Zend iſt. Entſchieden iraniſch in ſeine Laut- lehre, hängt es in ſeinem Wörterbuche mit den Dialekten Griechenlands und dem Slaviſchen zuſammen. Feſtzuſtellen, wie weit dies auch in der Grammatik ſtattfindet, muß weiterer Unterſuchung vorbehalten bleiben. Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. 3

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/65>, abgerufen am 05.05.2024.