Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Griechen. gelehrten Hellenismus beseelte, neuerdings in rapidester Art auchden unteren Classen mitgetheilt. In den Küstenstädten, wo der Contact mit der Außenwelt, zumal mit Europa ein jederzeit leb- hafter war, sind die einzelnen Humanitäts- und Bildungsanstalten ehestens gediehen; anders aber im Innern Anatoliens, wo das althergebrachte ottomanische Bedrückungssystem auf der griechischen Raja allezeit furchtbar gelastet hat1. Es bedarf aber hier gleich- wohl nur eines Aufrufes von Seite einer griechischen Nota- bilität, um die Bewohnerschaft zu freiwilligen Opfern für irgend ein gemeinnütziges Unternehmen zu gewinnen. Bedauerlich ist nur eines, die, bei orientalischen Völkern viel beobachtete That- sache -- und je höher ihre intellectuellen Anlagen, desto schärfer tritt sie hervor -- daß die abendländischen Civilisationsbe- strebungen meist falsch aufgefaßt werden und der Geist einer höheren Cultur von nichtssagenden, hohlen Aeußerlichkeiten er- tödtet wird. Dies gilt, mehr noch als von den eigentlichen, nationalen Griechen, von jener europäisch-griechischen Mischlings- race, deren Strebungen vollends nur in einem leeren Formen- wesen zum Ausdrucke gelangen2. Dann hat der Grieche auch wenig Anlage zur Unterordnung, zu jener unerläßlichen Disciplin, auf deren innerstem Wesen das staatliche Gemeinwesen basirt. Daß sich im Gefolge des regen Speculationsgeistes auch all die unvermeidlichen häßlichen Eigenschaften von Egoismus, Gewissen- losigkeit und Corruption überhaupt befinden, muß wohl einleuchten, erwägt man, wie die angeborene Schlauheit und Findigkeit der anatolischen Griechen durch das schlechte türkische Verwaltungs- und Regierungssystem geradezu auf eine Bahn gelenkt wurden, auf der diese Eigenschaften nur in unersprießlicher Weise zum Ausdrucke gelangen müssen. Die Türken sind hiemit freilich wenig einverstanden und wo sie mit den Griechen in ununter- 1 So in der Gebirgswildniß des Anti-Taurus (zu Farasch), wo die Griechen mit der Zeit vollends verwilderten und immer bis an die Zähne bewaffnet sind. Sie zahlen keine Abgaben und erkennen blos die Ober- herrlichkeit des Afscharen-Häuptlings an, den sie in seinen Unternehmungen gegen die türkischen Bauern gegen Antheil an der Beute unterstützen. Selbst ihre Priester, mit dem Kreuze auf der Brust, nehmen an diesen Raubzügen Theil. (v. Tschichatscheff, "Routen etc.", 14.) 2 Vgl. Gräfin Nostitz, "Helfers Reisen etc.", I, 30 u. ff.
Griechen. gelehrten Hellenismus beſeelte, neuerdings in rapideſter Art auchden unteren Claſſen mitgetheilt. In den Küſtenſtädten, wo der Contact mit der Außenwelt, zumal mit Europa ein jederzeit leb- hafter war, ſind die einzelnen Humanitäts- und Bildungsanſtalten eheſtens gediehen; anders aber im Innern Anatoliens, wo das althergebrachte ottomaniſche Bedrückungsſyſtem auf der griechiſchen Raja allezeit furchtbar gelaſtet hat1. Es bedarf aber hier gleich- wohl nur eines Aufrufes von Seite einer griechiſchen Nota- bilität, um die Bewohnerſchaft zu freiwilligen Opfern für irgend ein gemeinnütziges Unternehmen zu gewinnen. Bedauerlich iſt nur eines, die, bei orientaliſchen Völkern viel beobachtete That- ſache — und je höher ihre intellectuellen Anlagen, deſto ſchärfer tritt ſie hervor — daß die abendländiſchen Civiliſationsbe- ſtrebungen meiſt falſch aufgefaßt werden und der Geiſt einer höheren Cultur von nichtsſagenden, hohlen Aeußerlichkeiten er- tödtet wird. Dies gilt, mehr noch als von den eigentlichen, nationalen Griechen, von jener europäiſch-griechiſchen Miſchlings- race, deren Strebungen vollends nur in einem leeren Formen- weſen zum Ausdrucke gelangen2. Dann hat der Grieche auch wenig Anlage zur Unterordnung, zu jener unerläßlichen Disciplin, auf deren innerſtem Weſen das ſtaatliche Gemeinweſen baſirt. Daß ſich im Gefolge des regen Speculationsgeiſtes auch all die unvermeidlichen häßlichen Eigenſchaften von Egoismus, Gewiſſen- loſigkeit und Corruption überhaupt befinden, muß wohl einleuchten, erwägt man, wie die angeborene Schlauheit und Findigkeit der anatoliſchen Griechen durch das ſchlechte türkiſche Verwaltungs- und Regierungsſyſtem geradezu auf eine Bahn gelenkt wurden, auf der dieſe Eigenſchaften nur in unerſprießlicher Weiſe zum Ausdrucke gelangen müſſen. Die Türken ſind hiemit freilich wenig einverſtanden und wo ſie mit den Griechen in ununter- 1 So in der Gebirgswildniß des Anti-Taurus (zu Faraſch), wo die Griechen mit der Zeit vollends verwilderten und immer bis an die Zähne bewaffnet ſind. Sie zahlen keine Abgaben und erkennen blos die Ober- herrlichkeit des Afſcharen-Häuptlings an, den ſie in ſeinen Unternehmungen gegen die türkiſchen Bauern gegen Antheil an der Beute unterſtützen. Selbſt ihre Prieſter, mit dem Kreuze auf der Bruſt, nehmen an dieſen Raubzügen Theil. (v. Tſchichatſcheff, „Routen ꝛc.“, 14.) 2 Vgl. Gräfin Noſtitz, „Helfers Reiſen ꝛc.“, I, 30 u. ff.
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Griechen.
gelehrten Hellenismus beſeelte, neuerdings in rapideſter Art auch
den unteren Claſſen mitgetheilt. In den Küſtenſtädten, wo der
Contact mit der Außenwelt, zumal mit Europa ein jederzeit leb-
hafter war, ſind die einzelnen Humanitäts- und Bildungsanſtalten
eheſtens gediehen; anders aber im Innern Anatoliens, wo das
althergebrachte ottomaniſche Bedrückungsſyſtem auf der griechiſchen
Raja allezeit furchtbar gelaſtet hat 1. Es bedarf aber hier gleich-
wohl nur eines Aufrufes von Seite einer griechiſchen Nota-
bilität, um die Bewohnerſchaft zu freiwilligen Opfern für irgend
ein gemeinnütziges Unternehmen zu gewinnen. Bedauerlich iſt
nur eines, die, bei orientaliſchen Völkern viel beobachtete That-
ſache — und je höher ihre intellectuellen Anlagen, deſto ſchärfer
tritt ſie hervor — daß die abendländiſchen Civiliſationsbe-
ſtrebungen meiſt falſch aufgefaßt werden und der Geiſt einer
höheren Cultur von nichtsſagenden, hohlen Aeußerlichkeiten er-
tödtet wird. Dies gilt, mehr noch als von den eigentlichen,
nationalen Griechen, von jener europäiſch-griechiſchen Miſchlings-
race, deren Strebungen vollends nur in einem leeren Formen-
weſen zum Ausdrucke gelangen 2. Dann hat der Grieche auch
wenig Anlage zur Unterordnung, zu jener unerläßlichen Disciplin,
auf deren innerſtem Weſen das ſtaatliche Gemeinweſen baſirt.
Daß ſich im Gefolge des regen Speculationsgeiſtes auch all die
unvermeidlichen häßlichen Eigenſchaften von Egoismus, Gewiſſen-
loſigkeit und Corruption überhaupt befinden, muß wohl einleuchten,
erwägt man, wie die angeborene Schlauheit und Findigkeit der
anatoliſchen Griechen durch das ſchlechte türkiſche Verwaltungs-
und Regierungsſyſtem geradezu auf eine Bahn gelenkt wurden,
auf der dieſe Eigenſchaften nur in unerſprießlicher Weiſe zum
Ausdrucke gelangen müſſen. Die Türken ſind hiemit freilich
wenig einverſtanden und wo ſie mit den Griechen in ununter-
1 So in der Gebirgswildniß des Anti-Taurus (zu Faraſch), wo die
Griechen mit der Zeit vollends verwilderten und immer bis an die Zähne
bewaffnet ſind. Sie zahlen keine Abgaben und erkennen blos die Ober-
herrlichkeit des Afſcharen-Häuptlings an, den ſie in ſeinen Unternehmungen
gegen die türkiſchen Bauern gegen Antheil an der Beute unterſtützen.
Selbſt ihre Prieſter, mit dem Kreuze auf der Bruſt, nehmen an dieſen
Raubzügen Theil. (v. Tſchichatſcheff, „Routen ꝛc.“, 14.)
2 Vgl. Gräfin Noſtitz, „Helfers Reiſen ꝛc.“, I, 30 u. ff.
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