Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Anhang. Anatolische Fragmente. Boden des Hellenenthums, vom Hellespont bis zur Festlands-küste der Insel Rhodos1 nehmen die Griechen in mehr oder minder compacten Massen ein2. Sie sind, obgleich nur halb so zahlreich als ihre mohammedanischen Mitbewohner, dennoch der- jenige Theil der Bevölkerung, durch den alles geschäftliche Leben vermittelt wird, in dessen Händen hauptsächlich der Handel liegt, dem aber auch das Gewerbe nicht fremd ist, obwohl der nationale Zug der Griechen nicht eigentlich die stille, emsige, wo es noth- wendig wird, anstrengende Arbeit ist, denn vielmehr die, auf raschen und leichten Gewinn abzielende Geschäftsspeculation. In diesem Punkte gleichen sich die Griechen und Armenier wesentlich; aber es ist doch ein Anderes, wenn der armenische Krämer die ihm zugeschmuggelte schlechte Waare um hohe Preise veräußert und so den Betrug mit Betrug vergilt, während der griechische Tauschhändler und Detailist seinen Calcul nach der jeweilig besten Conjunctur stellt. Hiebei ist der allgemeine Bildungsdrang bei den Griechen ein unvergleichlich höherer, als bei den Armeniern. Das regere, ja, durch die letzten Unabhängigkeitskriege zum Lebens- nerv gewordene nationale Bewußtsein, mag als besserer Ansporn zu fortschrittlicher Entwickelung gelten und thatsächlich hat sich der Bildungsdrang, der geraume Zeit nur die Träger des 1 Auch diese Insel ist, wie nicht anders zu erwarten, mit der Zeit in die trostlosesten Verhältnisse gerathen. Was sich nothdürftig durch manches Jahrhundert erhalten, die alterthümlichen, bürgerlichen Häuser der "Ritterstraße", der schöne gothische Thorbogen und andere Bauten sind in Folge einer furchtbaren Pulverexplosion im Jahre 1857 nahezu in Ruinen verwandelt worden. Das Innere der Stadt kann unter solchen Umständen selbstverständlich nur den Eindruck der Verödung und Ver- armung machen. Dafür herrscht im alten Palaste des Großmeisters ein habsüchtiger Pascha, der nach seinem Gutdünken wirthschaftet und die letzten Culturstrecken dem Anbaue entzieht. Selbst der Handel dieser zum levantinischen Seeverkehr so günstig situirten Insel ist nunmehr ein völlig belangloser. 2 Die auf Kieperts "Ethnographischer Karte des Europäischen Orients"
(1869) als griechische Territorien bezeichneten Landstriche (im Vilayete Aidin -- Smyrna -- nur etwa 40 Quadrat-Meilen gegenüber 940 Qua- drat-Meilen des Gesammt-Territoriums) sind nicht zutreffend, da die griechische Population an Zahl noch immer halb so mächtig ist, als die mohammedanische, nämlich 300,000 gegen 600,000 Seelen. (Vgl. v. Scherzer, "Smyrna" 47, und Helle, "Die Völker d. osm. Reiches", 73.) Anhang. Anatoliſche Fragmente. Boden des Hellenenthums, vom Hellespont bis zur Feſtlands-küſte der Inſel Rhodos1 nehmen die Griechen in mehr oder minder compacten Maſſen ein2. Sie ſind, obgleich nur halb ſo zahlreich als ihre mohammedaniſchen Mitbewohner, dennoch der- jenige Theil der Bevölkerung, durch den alles geſchäftliche Leben vermittelt wird, in deſſen Händen hauptſächlich der Handel liegt, dem aber auch das Gewerbe nicht fremd iſt, obwohl der nationale Zug der Griechen nicht eigentlich die ſtille, emſige, wo es noth- wendig wird, anſtrengende Arbeit iſt, denn vielmehr die, auf raſchen und leichten Gewinn abzielende Geſchäftsſpeculation. In dieſem Punkte gleichen ſich die Griechen und Armenier weſentlich; aber es iſt doch ein Anderes, wenn der armeniſche Krämer die ihm zugeſchmuggelte ſchlechte Waare um hohe Preiſe veräußert und ſo den Betrug mit Betrug vergilt, während der griechiſche Tauſchhändler und Detailiſt ſeinen Calcul nach der jeweilig beſten Conjunctur ſtellt. Hiebei iſt der allgemeine Bildungsdrang bei den Griechen ein unvergleichlich höherer, als bei den Armeniern. Das regere, ja, durch die letzten Unabhängigkeitskriege zum Lebens- nerv gewordene nationale Bewußtſein, mag als beſſerer Anſporn zu fortſchrittlicher Entwickelung gelten und thatſächlich hat ſich der Bildungsdrang, der geraume Zeit nur die Träger des 1 Auch dieſe Inſel iſt, wie nicht anders zu erwarten, mit der Zeit in die troſtloſeſten Verhältniſſe gerathen. Was ſich nothdürftig durch manches Jahrhundert erhalten, die alterthümlichen, bürgerlichen Häuſer der „Ritterſtraße“, der ſchöne gothiſche Thorbogen und andere Bauten ſind in Folge einer furchtbaren Pulverexploſion im Jahre 1857 nahezu in Ruinen verwandelt worden. Das Innere der Stadt kann unter ſolchen Umſtänden ſelbſtverſtändlich nur den Eindruck der Verödung und Ver- armung machen. Dafür herrſcht im alten Palaſte des Großmeiſters ein habſüchtiger Paſcha, der nach ſeinem Gutdünken wirthſchaftet und die letzten Culturſtrecken dem Anbaue entzieht. Selbſt der Handel dieſer zum levantiniſchen Seeverkehr ſo günſtig ſituirten Inſel iſt nunmehr ein völlig belangloſer. 2 Die auf Kieperts „Ethnographiſcher Karte des Europäiſchen Orients“
(1869) als griechiſche Territorien bezeichneten Landſtriche (im Vilayete Aidin — Smyrna — nur etwa 40 Quadrat-Meilen gegenüber 940 Qua- drat-Meilen des Geſammt-Territoriums) ſind nicht zutreffend, da die griechiſche Population an Zahl noch immer halb ſo mächtig iſt, als die mohammedaniſche, nämlich 300,000 gegen 600,000 Seelen. (Vgl. v. Scherzer, „Smyrna“ 47, und Helle, „Die Völker d. osm. Reiches“, 73.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0250" n="218"/><fw place="top" type="header">Anhang. Anatoliſche Fragmente.</fw><lb/> Boden des Hellenenthums, vom Hellespont bis zur Feſtlands-<lb/> küſte der Inſel Rhodos<note place="foot" n="1">Auch dieſe Inſel iſt, wie nicht anders zu erwarten, mit der Zeit<lb/> in die troſtloſeſten Verhältniſſe gerathen. Was ſich nothdürftig durch<lb/> manches Jahrhundert erhalten, die alterthümlichen, bürgerlichen Häuſer<lb/> der „Ritterſtraße“, der ſchöne gothiſche Thorbogen und andere Bauten<lb/> ſind in Folge einer furchtbaren Pulverexploſion im Jahre 1857 nahezu<lb/> in Ruinen verwandelt worden. Das Innere der Stadt kann unter ſolchen<lb/> Umſtänden ſelbſtverſtändlich nur den Eindruck der Verödung und Ver-<lb/> armung machen. Dafür herrſcht im alten Palaſte des Großmeiſters ein<lb/> habſüchtiger Paſcha, der nach ſeinem Gutdünken wirthſchaftet und die<lb/> letzten Culturſtrecken dem Anbaue entzieht. Selbſt der Handel dieſer zum<lb/> levantiniſchen Seeverkehr ſo günſtig ſituirten Inſel iſt nunmehr ein völlig<lb/> belangloſer.</note> nehmen die Griechen in mehr oder<lb/> minder compacten Maſſen ein<note place="foot" n="2">Die auf Kieperts „Ethnographiſcher Karte des Europäiſchen Orients“<lb/> (1869) als griechiſche Territorien bezeichneten Landſtriche (im Vilayete<lb/> Aidin — Smyrna — nur etwa 40 Quadrat-Meilen gegenüber 940 Qua-<lb/> drat-Meilen des Geſammt-Territoriums) ſind nicht zutreffend, da die<lb/> griechiſche Population an Zahl noch immer halb ſo mächtig iſt, als die<lb/> mohammedaniſche, nämlich 300,000 gegen 600,000 Seelen. (Vgl. v. Scherzer,<lb/> „Smyrna“ 47, und Helle, „Die Völker d. osm. Reiches“, 73.)</note>. Sie ſind, obgleich nur halb ſo<lb/> zahlreich als ihre mohammedaniſchen Mitbewohner, dennoch der-<lb/> jenige Theil der Bevölkerung, durch den alles geſchäftliche Leben<lb/> vermittelt wird, in deſſen Händen hauptſächlich der Handel liegt,<lb/> dem aber auch das Gewerbe nicht fremd iſt, obwohl der nationale<lb/> Zug der Griechen nicht eigentlich die ſtille, emſige, wo es noth-<lb/> wendig wird, anſtrengende Arbeit iſt, denn vielmehr die, auf<lb/> raſchen und leichten Gewinn abzielende Geſchäftsſpeculation. In<lb/> dieſem Punkte gleichen ſich die Griechen und Armenier weſentlich;<lb/> aber es iſt doch ein Anderes, wenn der armeniſche Krämer die<lb/> ihm zugeſchmuggelte ſchlechte Waare um hohe Preiſe veräußert<lb/> und ſo den Betrug mit Betrug vergilt, während der griechiſche<lb/> Tauſchhändler und Detailiſt ſeinen Calcul nach der jeweilig beſten<lb/> Conjunctur ſtellt. Hiebei iſt der allgemeine Bildungsdrang bei<lb/> den Griechen ein unvergleichlich höherer, als bei den Armeniern.<lb/> Das regere, ja, durch die letzten Unabhängigkeitskriege zum Lebens-<lb/> nerv gewordene nationale Bewußtſein, mag als beſſerer Anſporn<lb/> zu fortſchrittlicher Entwickelung gelten und thatſächlich hat ſich<lb/> der Bildungsdrang, der geraume Zeit nur die Träger des<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [218/0250]
Anhang. Anatoliſche Fragmente.
Boden des Hellenenthums, vom Hellespont bis zur Feſtlands-
küſte der Inſel Rhodos 1 nehmen die Griechen in mehr oder
minder compacten Maſſen ein 2. Sie ſind, obgleich nur halb ſo
zahlreich als ihre mohammedaniſchen Mitbewohner, dennoch der-
jenige Theil der Bevölkerung, durch den alles geſchäftliche Leben
vermittelt wird, in deſſen Händen hauptſächlich der Handel liegt,
dem aber auch das Gewerbe nicht fremd iſt, obwohl der nationale
Zug der Griechen nicht eigentlich die ſtille, emſige, wo es noth-
wendig wird, anſtrengende Arbeit iſt, denn vielmehr die, auf
raſchen und leichten Gewinn abzielende Geſchäftsſpeculation. In
dieſem Punkte gleichen ſich die Griechen und Armenier weſentlich;
aber es iſt doch ein Anderes, wenn der armeniſche Krämer die
ihm zugeſchmuggelte ſchlechte Waare um hohe Preiſe veräußert
und ſo den Betrug mit Betrug vergilt, während der griechiſche
Tauſchhändler und Detailiſt ſeinen Calcul nach der jeweilig beſten
Conjunctur ſtellt. Hiebei iſt der allgemeine Bildungsdrang bei
den Griechen ein unvergleichlich höherer, als bei den Armeniern.
Das regere, ja, durch die letzten Unabhängigkeitskriege zum Lebens-
nerv gewordene nationale Bewußtſein, mag als beſſerer Anſporn
zu fortſchrittlicher Entwickelung gelten und thatſächlich hat ſich
der Bildungsdrang, der geraume Zeit nur die Träger des
1 Auch dieſe Inſel iſt, wie nicht anders zu erwarten, mit der Zeit
in die troſtloſeſten Verhältniſſe gerathen. Was ſich nothdürftig durch
manches Jahrhundert erhalten, die alterthümlichen, bürgerlichen Häuſer
der „Ritterſtraße“, der ſchöne gothiſche Thorbogen und andere Bauten
ſind in Folge einer furchtbaren Pulverexploſion im Jahre 1857 nahezu
in Ruinen verwandelt worden. Das Innere der Stadt kann unter ſolchen
Umſtänden ſelbſtverſtändlich nur den Eindruck der Verödung und Ver-
armung machen. Dafür herrſcht im alten Palaſte des Großmeiſters ein
habſüchtiger Paſcha, der nach ſeinem Gutdünken wirthſchaftet und die
letzten Culturſtrecken dem Anbaue entzieht. Selbſt der Handel dieſer zum
levantiniſchen Seeverkehr ſo günſtig ſituirten Inſel iſt nunmehr ein völlig
belangloſer.
2 Die auf Kieperts „Ethnographiſcher Karte des Europäiſchen Orients“
(1869) als griechiſche Territorien bezeichneten Landſtriche (im Vilayete
Aidin — Smyrna — nur etwa 40 Quadrat-Meilen gegenüber 940 Qua-
drat-Meilen des Geſammt-Territoriums) ſind nicht zutreffend, da die
griechiſche Population an Zahl noch immer halb ſo mächtig iſt, als die
mohammedaniſche, nämlich 300,000 gegen 600,000 Seelen. (Vgl. v. Scherzer,
„Smyrna“ 47, und Helle, „Die Völker d. osm. Reiches“, 73.)
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