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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Die culturgeschichtliche Bedeutung West-Klein-Asiens.
fanden bisher nicht einmal die biederen Tscherkessen, welche ehe-
dem namentlich im Vilayete Kastamuni zahlreich colonisirt wurden,
für rentabel . . . .

Nach unserer Umschau am paphlagonischen Gestade hätten
wir so ziemlich die interessantesten Localitäten und Landstriche
Anatoliens erschöpft, allerdings nur im Rahmen unserer allge-
mein gehaltenen Schilderungen, von denen tiefer reichende histo-
rische Mittheilungen, oder die Ausführungen anderer wissen-
schaftlicher Momente, von vornher ausgeschlossen sein mußten.
Der Boden aber, auf welchem wir unsere verschiedenen Kreuz-
und Querzüge vollführten, tritt heute mehr denn je in den Vorder-
grund, denn seit der Umgestaltung der politischen Verhältnisse
in dem europäischen Theile des ottomanischen Reiches richtet sich
naturgemäß unsere Aufmerksamkeit auf jenes Ländergebiet, aus
dem das Osmanenthum hervorgegangen ist, von dem aus es
mächtig emporwuchs und eine Reihe von Eroberern hervorbrachte,
die durch viele Jahrhunderte dem gesammten abendländischen
civilisatorischen Entwicklungsdrange einen starken Damm entgegen-
gesetzt hatten. Bedeutsamer noch, als der bloßen Thatsache
wegen, daß Anatolien neuerdings die Geburtsstätte eines Macht-
factors geworden war, erscheint uns dies Land durch seine geo-
graphische Lage zum europäischen Welttheile, und seine ununter-
brochenen viel tausendjährigen Beziehungen zu demselben. Während
das syrische Gestadeland, gleichfalls von hoher historischer und
culturgeschichtlicher Bedeutung für die abendländischen Ent-
wickelungsstadien aller Zeiten, räumlich durch die östliche Hälfte
des Mittelmeeres noch immer erheblich von den continentalen
Berührungspunkten Europas, von seinen südlichen Halbinsel-
Reichen nämlich, abliegt, springt Klein-Asien weit gegen die
griechischen Gestade aus. Und hiebei ist das Gestade dieses
Landes keine ungegliedert starre Küstenwand, wie im Süden, wo
es nicht nur in seinem Naturtypus -- hohe Ufergebirge, stellen-
weise im Schnee vergraben und ohne große Querthäler -- dem
syrischen Küstenlande ähnelt, sondern auch in klimatischer und
cultureller Beziehung, zumal in Bezug auf seine Vegetations-
verhältnisse. Das ägäische Gestade Klein-Asiens ist ein reich
gegliedertes, voll gesicherter Ankerplätze, tief ins Land einschnei-
dender Golfe, einst von einem Kranze üppig bestandener Ufer-

Die culturgeſchichtliche Bedeutung Weſt-Klein-Aſiens.
fanden bisher nicht einmal die biederen Tſcherkeſſen, welche ehe-
dem namentlich im Vilayete Kaſtamuni zahlreich coloniſirt wurden,
für rentabel . . . .

Nach unſerer Umſchau am paphlagoniſchen Geſtade hätten
wir ſo ziemlich die intereſſanteſten Localitäten und Landſtriche
Anatoliens erſchöpft, allerdings nur im Rahmen unſerer allge-
mein gehaltenen Schilderungen, von denen tiefer reichende hiſto-
riſche Mittheilungen, oder die Ausführungen anderer wiſſen-
ſchaftlicher Momente, von vornher ausgeſchloſſen ſein mußten.
Der Boden aber, auf welchem wir unſere verſchiedenen Kreuz-
und Querzüge vollführten, tritt heute mehr denn je in den Vorder-
grund, denn ſeit der Umgeſtaltung der politiſchen Verhältniſſe
in dem europäiſchen Theile des ottomaniſchen Reiches richtet ſich
naturgemäß unſere Aufmerkſamkeit auf jenes Ländergebiet, aus
dem das Osmanenthum hervorgegangen iſt, von dem aus es
mächtig emporwuchs und eine Reihe von Eroberern hervorbrachte,
die durch viele Jahrhunderte dem geſammten abendländiſchen
civiliſatoriſchen Entwicklungsdrange einen ſtarken Damm entgegen-
geſetzt hatten. Bedeutſamer noch, als der bloßen Thatſache
wegen, daß Anatolien neuerdings die Geburtsſtätte eines Macht-
factors geworden war, erſcheint uns dies Land durch ſeine geo-
graphiſche Lage zum europäiſchen Welttheile, und ſeine ununter-
brochenen viel tauſendjährigen Beziehungen zu demſelben. Während
das ſyriſche Geſtadeland, gleichfalls von hoher hiſtoriſcher und
culturgeſchichtlicher Bedeutung für die abendländiſchen Ent-
wickelungsſtadien aller Zeiten, räumlich durch die öſtliche Hälfte
des Mittelmeeres noch immer erheblich von den continentalen
Berührungspunkten Europas, von ſeinen ſüdlichen Halbinſel-
Reichen nämlich, abliegt, ſpringt Klein-Aſien weit gegen die
griechiſchen Geſtade aus. Und hiebei iſt das Geſtade dieſes
Landes keine ungegliedert ſtarre Küſtenwand, wie im Süden, wo
es nicht nur in ſeinem Naturtypus — hohe Ufergebirge, ſtellen-
weiſe im Schnee vergraben und ohne große Querthäler — dem
ſyriſchen Küſtenlande ähnelt, ſondern auch in klimatiſcher und
cultureller Beziehung, zumal in Bezug auf ſeine Vegetations-
verhältniſſe. Das ägäiſche Geſtade Klein-Aſiens iſt ein reich
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dender Golfe, einſt von einem Kranze üppig beſtandener Ufer-

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[207/0239] Die culturgeſchichtliche Bedeutung Weſt-Klein-Aſiens. fanden bisher nicht einmal die biederen Tſcherkeſſen, welche ehe- dem namentlich im Vilayete Kaſtamuni zahlreich coloniſirt wurden, für rentabel . . . . Nach unſerer Umſchau am paphlagoniſchen Geſtade hätten wir ſo ziemlich die intereſſanteſten Localitäten und Landſtriche Anatoliens erſchöpft, allerdings nur im Rahmen unſerer allge- mein gehaltenen Schilderungen, von denen tiefer reichende hiſto- riſche Mittheilungen, oder die Ausführungen anderer wiſſen- ſchaftlicher Momente, von vornher ausgeſchloſſen ſein mußten. Der Boden aber, auf welchem wir unſere verſchiedenen Kreuz- und Querzüge vollführten, tritt heute mehr denn je in den Vorder- grund, denn ſeit der Umgeſtaltung der politiſchen Verhältniſſe in dem europäiſchen Theile des ottomaniſchen Reiches richtet ſich naturgemäß unſere Aufmerkſamkeit auf jenes Ländergebiet, aus dem das Osmanenthum hervorgegangen iſt, von dem aus es mächtig emporwuchs und eine Reihe von Eroberern hervorbrachte, die durch viele Jahrhunderte dem geſammten abendländiſchen civiliſatoriſchen Entwicklungsdrange einen ſtarken Damm entgegen- geſetzt hatten. Bedeutſamer noch, als der bloßen Thatſache wegen, daß Anatolien neuerdings die Geburtsſtätte eines Macht- factors geworden war, erſcheint uns dies Land durch ſeine geo- graphiſche Lage zum europäiſchen Welttheile, und ſeine ununter- brochenen viel tauſendjährigen Beziehungen zu demſelben. Während das ſyriſche Geſtadeland, gleichfalls von hoher hiſtoriſcher und culturgeſchichtlicher Bedeutung für die abendländiſchen Ent- wickelungsſtadien aller Zeiten, räumlich durch die öſtliche Hälfte des Mittelmeeres noch immer erheblich von den continentalen Berührungspunkten Europas, von ſeinen ſüdlichen Halbinſel- Reichen nämlich, abliegt, ſpringt Klein-Aſien weit gegen die griechiſchen Geſtade aus. Und hiebei iſt das Geſtade dieſes Landes keine ungegliedert ſtarre Küſtenwand, wie im Süden, wo es nicht nur in ſeinem Naturtypus — hohe Ufergebirge, ſtellen- weiſe im Schnee vergraben und ohne große Querthäler — dem ſyriſchen Küſtenlande ähnelt, ſondern auch in klimatiſcher und cultureller Beziehung, zumal in Bezug auf ſeine Vegetations- verhältniſſe. Das ägäiſche Geſtade Klein-Aſiens iſt ein reich gegliedertes, voll geſicherter Ankerplätze, tief ins Land einſchnei- dender Golfe, einſt von einem Kranze üppig beſtandener Ufer-

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/239>, abgerufen am 27.04.2024.