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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Anhang. Anatolische Fragmente.
zu leiden hatten, folgenden Verlauf: Den Dnjeper hinab schwammen
die leichten Boote aus Flechtwerk vorerst bis in die Nähe der
Schilfwälder an der Liman-Mündung bei Kinburun. Hier hielten
die Türken, die damaligen Herren der taurisch-bessarabischen
Küsten die Wacht, indem sie nebenbei auch den Strom durch
eine Kette gesperrt hatten. Zu nächtlicher Zeit ließen nun die
Kosaken absichtlich große Baumstämme gegen die Sperre treiben,
um die Posten zu allarmiren und ihr Feuer auf die vermeint-
lichen Angriffskähne zu lenken, während die Boote selbst nach
abgelaufenem Spectakel geräuschlos das Hinderniß zu übersetzen
trachteten, was ihnen auch zumeist gelang, worauf sie auf das
offene Meer trieben. Ihr nächstes Invasionsgebiet bildeten zu-
meist die Küsten der Krim, längs der sie das Azowsche Meer zu
gewinnen trachteten, um aufwärts des Don und durch dessen
rechten Nebenflüsse sich ihrer Heimat wieder zu nähern, die sie
zuletzt nur durch kurze Landrouten -- die Boote gleichfalls mit-
schleppend -- erreichen konnten1. Zu den kühnsten Leistungen
gehörten aber, wie schon erwähnt, die gefährlichen Boot-Aus-
flüge bis zu den anatolischen Küsten, angelockt durch die Reich-
thümer der alten Emporien, in denen es auch zur Zeit osma-
nischen Glanzes immerhin noch Einiges zu holen gab2. Heute
ist dies freilich anders, und das türkische Sinope zu besuchen,

1 K. Koch, "Die Krim und Odessa", 5.
2 Seit dem Anfange des 18. Jahrhunderts erlosch nach und nach die
Bedeutung sowohl der Saporoger, als auch der ukrainischen Kosaken.
Mazeppa, den zu verherrlichen, es der Dichtkunst und Malerei der Neuzeit
in so unverdienter Weise gefallen hat, trug wesentlich zu dem Untergang
bei. Die durch ihn heraufbeschworenen Unruhen und Empörungen be-
wirkten, daß Peter d. Gr. auf die Saporoger im höchsten Grade erbittert
und auch gegen die ukrainischen Kosaken mißtrauisch wurde. Verfolgt von
unnachsichtlicher Strenge, gründeten diejenigen Saporoger, welche sich noch
retten konnten, ganz am untern Dnjeper (am Bache Kamenka) eine neue
Setsch. Als im Jahre 1710 gelegentlich des Türkenkrieges auch diese
Niederlassung von den Russen zerstört wurde, wies ihnen der Khan in der
Nähe von Aleschki (in gleicher Höhe von Perekop) abermals eine neue
Setsch an; sie mußten von nun an unfreiwillige Unterthanen der Tar-
taren und Türken abgeben, bis sie letzteren durch die Capitulation am
Pruth vollends überlassen wurden. (Vgl. A. Springer, "Die Kosaken",
11 u. ff.)

Anhang. Anatoliſche Fragmente.
zu leiden hatten, folgenden Verlauf: Den Dnjeper hinab ſchwammen
die leichten Boote aus Flechtwerk vorerſt bis in die Nähe der
Schilfwälder an der Liman-Mündung bei Kinburun. Hier hielten
die Türken, die damaligen Herren der tauriſch-beſſarabiſchen
Küſten die Wacht, indem ſie nebenbei auch den Strom durch
eine Kette geſperrt hatten. Zu nächtlicher Zeit ließen nun die
Koſaken abſichtlich große Baumſtämme gegen die Sperre treiben,
um die Poſten zu allarmiren und ihr Feuer auf die vermeint-
lichen Angriffskähne zu lenken, während die Boote ſelbſt nach
abgelaufenem Spectakel geräuſchlos das Hinderniß zu überſetzen
trachteten, was ihnen auch zumeiſt gelang, worauf ſie auf das
offene Meer trieben. Ihr nächſtes Invaſionsgebiet bildeten zu-
meiſt die Küſten der Krim, längs der ſie das Azowſche Meer zu
gewinnen trachteten, um aufwärts des Don und durch deſſen
rechten Nebenflüſſe ſich ihrer Heimat wieder zu nähern, die ſie
zuletzt nur durch kurze Landrouten — die Boote gleichfalls mit-
ſchleppend — erreichen konnten1. Zu den kühnſten Leiſtungen
gehörten aber, wie ſchon erwähnt, die gefährlichen Boot-Aus-
flüge bis zu den anatoliſchen Küſten, angelockt durch die Reich-
thümer der alten Emporien, in denen es auch zur Zeit osma-
niſchen Glanzes immerhin noch Einiges zu holen gab2. Heute
iſt dies freilich anders, und das türkiſche Sinope zu beſuchen,

1 K. Koch, „Die Krim und Odeſſa“, 5.
2 Seit dem Anfange des 18. Jahrhunderts erloſch nach und nach die
Bedeutung ſowohl der Saporoger, als auch der ukrainiſchen Koſaken.
Mazeppa, den zu verherrlichen, es der Dichtkunſt und Malerei der Neuzeit
in ſo unverdienter Weiſe gefallen hat, trug weſentlich zu dem Untergang
bei. Die durch ihn heraufbeſchworenen Unruhen und Empörungen be-
wirkten, daß Peter d. Gr. auf die Saporoger im höchſten Grade erbittert
und auch gegen die ukrainiſchen Koſaken mißtrauiſch wurde. Verfolgt von
unnachſichtlicher Strenge, gründeten diejenigen Saporoger, welche ſich noch
retten konnten, ganz am untern Dnjeper (am Bache Kamenka) eine neue
Setſch. Als im Jahre 1710 gelegentlich des Türkenkrieges auch dieſe
Niederlaſſung von den Ruſſen zerſtört wurde, wies ihnen der Khan in der
Nähe von Aleſchki (in gleicher Höhe von Perekop) abermals eine neue
Setſch an; ſie mußten von nun an unfreiwillige Unterthanen der Tar-
taren und Türken abgeben, bis ſie letzteren durch die Capitulation am
Pruth vollends überlaſſen wurden. (Vgl. A. Springer, „Die Koſaken“,
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[206/0238] Anhang. Anatoliſche Fragmente. zu leiden hatten, folgenden Verlauf: Den Dnjeper hinab ſchwammen die leichten Boote aus Flechtwerk vorerſt bis in die Nähe der Schilfwälder an der Liman-Mündung bei Kinburun. Hier hielten die Türken, die damaligen Herren der tauriſch-beſſarabiſchen Küſten die Wacht, indem ſie nebenbei auch den Strom durch eine Kette geſperrt hatten. Zu nächtlicher Zeit ließen nun die Koſaken abſichtlich große Baumſtämme gegen die Sperre treiben, um die Poſten zu allarmiren und ihr Feuer auf die vermeint- lichen Angriffskähne zu lenken, während die Boote ſelbſt nach abgelaufenem Spectakel geräuſchlos das Hinderniß zu überſetzen trachteten, was ihnen auch zumeiſt gelang, worauf ſie auf das offene Meer trieben. Ihr nächſtes Invaſionsgebiet bildeten zu- meiſt die Küſten der Krim, längs der ſie das Azowſche Meer zu gewinnen trachteten, um aufwärts des Don und durch deſſen rechten Nebenflüſſe ſich ihrer Heimat wieder zu nähern, die ſie zuletzt nur durch kurze Landrouten — die Boote gleichfalls mit- ſchleppend — erreichen konnten 1. Zu den kühnſten Leiſtungen gehörten aber, wie ſchon erwähnt, die gefährlichen Boot-Aus- flüge bis zu den anatoliſchen Küſten, angelockt durch die Reich- thümer der alten Emporien, in denen es auch zur Zeit osma- niſchen Glanzes immerhin noch Einiges zu holen gab 2. Heute iſt dies freilich anders, und das türkiſche Sinope zu beſuchen, 1 K. Koch, „Die Krim und Odeſſa“, 5. 2 Seit dem Anfange des 18. Jahrhunderts erloſch nach und nach die Bedeutung ſowohl der Saporoger, als auch der ukrainiſchen Koſaken. Mazeppa, den zu verherrlichen, es der Dichtkunſt und Malerei der Neuzeit in ſo unverdienter Weiſe gefallen hat, trug weſentlich zu dem Untergang bei. Die durch ihn heraufbeſchworenen Unruhen und Empörungen be- wirkten, daß Peter d. Gr. auf die Saporoger im höchſten Grade erbittert und auch gegen die ukrainiſchen Koſaken mißtrauiſch wurde. Verfolgt von unnachſichtlicher Strenge, gründeten diejenigen Saporoger, welche ſich noch retten konnten, ganz am untern Dnjeper (am Bache Kamenka) eine neue Setſch. Als im Jahre 1710 gelegentlich des Türkenkrieges auch dieſe Niederlaſſung von den Ruſſen zerſtört wurde, wies ihnen der Khan in der Nähe von Aleſchki (in gleicher Höhe von Perekop) abermals eine neue Setſch an; ſie mußten von nun an unfreiwillige Unterthanen der Tar- taren und Türken abgeben, bis ſie letzteren durch die Capitulation am Pruth vollends überlaſſen wurden. (Vgl. A. Springer, „Die Koſaken“, 11 u. ff.)

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/238>, abgerufen am 27.04.2024.