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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Sinope, ein Culturbild.
Feriduns Rachegelüste gab es nur schmale Hoffnungen. Eine
seiner Sclavinnen bot Aussicht auf einen Erben, aber diese gebar
-- eine Tochter, und erst diese, mittlerweile zur Vollreife ge-
langt und mit einem Verwandten Feriduns -- Peschenk -- ver-
mählt, beschenkte den betrübten Vater mit einem Enkel, Minotscher
(Chala, Ninos), der, zum Jünglinge erwachsen, das Rächeramt
übernahm. Er consolidirte wieder die assyrische Weltherrschaft,
indem er Tur und Selm bekriegte, ihre Länder mit Iran ver-
einigte, und so der eigentliche Begründer des zweiten west-asia-
tischen Weltreiches wurde1.

Das wären so in großen knappen Zügen die mythischen
Vorfallenheiten, deren Erwähnung zum unmittelbaren Verständ-
nisse des Folgenden nothwendig erscheint. Minotscher vertheilte
nämlich nach Selms Tode Klein-Asien unter dessen Söhne,
d. h.: unter eingeborene kleinasiatische Fürsten, denen erwiesener-
maßen ebensosehr die Gründung Ilions, wie jene Sinopes zufällt.
Von Sanopa einer Amazone, nach Anderen von der Nymphe
Sinope, soll sie ihren Namen erhalten haben und sie ist somit
neben dem iranischen Balch oder Bactra eine der ältesten Pflanz-
stätten westasiatischer Cultur, wie dieses ein Mittelpunkt des
uralten Lichtcultes2 und ein großes Handels-Emporium durch
alle Jahrtausende, d. h.: bis zum Eintreffen türkisch-tartarischer
Völker, die eine glanzvolle Vergangenheit mit einem Schlage er-
löschen machten. Es erscheint ersprießlich, auf diese Thatsache
hinzuweisen, zumal heute, wo über die Culturfähigkeit der Os-
manen so viel gefaselt wird und hervorragende Gelehrte sich
bemüßigt finden, für dieselbe eine Lanze zu brechen. Es wäre
überflüssig, diesfalls allein nur auf Sinope hinzuweisen, wo es
zahllose Objecte der Geschichte auf vorderasiatischem Gebiete gibt,
die dem unerbittlichen Schicksale des Verderbens und Verkommens
entgegeneilten, seitdem jene Race über die uralten Culturländer
hereingefluthet ist, deren Geschäft die Zerstörung des Bestehenden

1 Kruger, "Geschichte d. Assyr. u. Iran.", a. a. O.
2 Vgl. Lassen, "Indische Alterthumskunde", I, und Niebuhr, "Kleine
Schriften", I; gegentheilige Behauptungen über das hohe Alter der Licht-
religion Zarathustras (Zoroasters) bei Dunker, "Geschichte d. Alterth.",
II, 315, und Kleuker, "Leben Zoroasters", III etc.

Sinope, ein Culturbild.
Feriduns Rachegelüſte gab es nur ſchmale Hoffnungen. Eine
ſeiner Sclavinnen bot Ausſicht auf einen Erben, aber dieſe gebar
— eine Tochter, und erſt dieſe, mittlerweile zur Vollreife ge-
langt und mit einem Verwandten Feriduns — Peſchenk — ver-
mählt, beſchenkte den betrübten Vater mit einem Enkel, Minotſcher
(Chala, Ninos), der, zum Jünglinge erwachſen, das Rächeramt
übernahm. Er conſolidirte wieder die aſſyriſche Weltherrſchaft,
indem er Tur und Selm bekriegte, ihre Länder mit Iran ver-
einigte, und ſo der eigentliche Begründer des zweiten weſt-aſia-
tiſchen Weltreiches wurde1.

Das wären ſo in großen knappen Zügen die mythiſchen
Vorfallenheiten, deren Erwähnung zum unmittelbaren Verſtänd-
niſſe des Folgenden nothwendig erſcheint. Minotſcher vertheilte
nämlich nach Selms Tode Klein-Aſien unter deſſen Söhne,
d. h.: unter eingeborene kleinaſiatiſche Fürſten, denen erwieſener-
maßen ebenſoſehr die Gründung Ilions, wie jene Sinopes zufällt.
Von Sanopa einer Amazone, nach Anderen von der Nymphe
Sinope, ſoll ſie ihren Namen erhalten haben und ſie iſt ſomit
neben dem iraniſchen Balch oder Bactra eine der älteſten Pflanz-
ſtätten weſtaſiatiſcher Cultur, wie dieſes ein Mittelpunkt des
uralten Lichtcultes2 und ein großes Handels-Emporium durch
alle Jahrtauſende, d. h.: bis zum Eintreffen türkiſch-tartariſcher
Völker, die eine glanzvolle Vergangenheit mit einem Schlage er-
löſchen machten. Es erſcheint erſprießlich, auf dieſe Thatſache
hinzuweiſen, zumal heute, wo über die Culturfähigkeit der Os-
manen ſo viel gefaſelt wird und hervorragende Gelehrte ſich
bemüßigt finden, für dieſelbe eine Lanze zu brechen. Es wäre
überflüſſig, diesfalls allein nur auf Sinope hinzuweiſen, wo es
zahlloſe Objecte der Geſchichte auf vorderaſiatiſchem Gebiete gibt,
die dem unerbittlichen Schickſale des Verderbens und Verkommens
entgegeneilten, ſeitdem jene Race über die uralten Culturländer
hereingefluthet iſt, deren Geſchäft die Zerſtörung des Beſtehenden

1 Kruger, „Geſchichte d. Aſſyr. u. Iran.“, a. a. O.
2 Vgl. Laſſen, „Indiſche Alterthumskunde“, I, und Niebuhr, „Kleine
Schriften“, I; gegentheilige Behauptungen über das hohe Alter der Licht-
religion Zarathuſtras (Zoroaſters) bei Dunker, „Geſchichte d. Alterth.“,
II, 315, und Kleuker, „Leben Zoroaſters“, III ꝛc.
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[199/0231] Sinope, ein Culturbild. Feriduns Rachegelüſte gab es nur ſchmale Hoffnungen. Eine ſeiner Sclavinnen bot Ausſicht auf einen Erben, aber dieſe gebar — eine Tochter, und erſt dieſe, mittlerweile zur Vollreife ge- langt und mit einem Verwandten Feriduns — Peſchenk — ver- mählt, beſchenkte den betrübten Vater mit einem Enkel, Minotſcher (Chala, Ninos), der, zum Jünglinge erwachſen, das Rächeramt übernahm. Er conſolidirte wieder die aſſyriſche Weltherrſchaft, indem er Tur und Selm bekriegte, ihre Länder mit Iran ver- einigte, und ſo der eigentliche Begründer des zweiten weſt-aſia- tiſchen Weltreiches wurde 1. Das wären ſo in großen knappen Zügen die mythiſchen Vorfallenheiten, deren Erwähnung zum unmittelbaren Verſtänd- niſſe des Folgenden nothwendig erſcheint. Minotſcher vertheilte nämlich nach Selms Tode Klein-Aſien unter deſſen Söhne, d. h.: unter eingeborene kleinaſiatiſche Fürſten, denen erwieſener- maßen ebenſoſehr die Gründung Ilions, wie jene Sinopes zufällt. Von Sanopa einer Amazone, nach Anderen von der Nymphe Sinope, ſoll ſie ihren Namen erhalten haben und ſie iſt ſomit neben dem iraniſchen Balch oder Bactra eine der älteſten Pflanz- ſtätten weſtaſiatiſcher Cultur, wie dieſes ein Mittelpunkt des uralten Lichtcultes 2 und ein großes Handels-Emporium durch alle Jahrtauſende, d. h.: bis zum Eintreffen türkiſch-tartariſcher Völker, die eine glanzvolle Vergangenheit mit einem Schlage er- löſchen machten. Es erſcheint erſprießlich, auf dieſe Thatſache hinzuweiſen, zumal heute, wo über die Culturfähigkeit der Os- manen ſo viel gefaſelt wird und hervorragende Gelehrte ſich bemüßigt finden, für dieſelbe eine Lanze zu brechen. Es wäre überflüſſig, diesfalls allein nur auf Sinope hinzuweiſen, wo es zahlloſe Objecte der Geſchichte auf vorderaſiatiſchem Gebiete gibt, die dem unerbittlichen Schickſale des Verderbens und Verkommens entgegeneilten, ſeitdem jene Race über die uralten Culturländer hereingefluthet iſt, deren Geſchäft die Zerſtörung des Beſtehenden 1 Kruger, „Geſchichte d. Aſſyr. u. Iran.“, a. a. O. 2 Vgl. Laſſen, „Indiſche Alterthumskunde“, I, und Niebuhr, „Kleine Schriften“, I; gegentheilige Behauptungen über das hohe Alter der Licht- religion Zarathuſtras (Zoroaſters) bei Dunker, „Geſchichte d. Alterth.“, II, 315, und Kleuker, „Leben Zoroaſters“, III ꝛc.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/231>, abgerufen am 28.04.2024.