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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Anhang. Anatolische Fragmente.
noch einmal den classischen Schutt dieser ältesten milesischen
Pflanzstätte am rauhen Pontusgestade durchzuwühlen, um jenes
Culturgemälde zu vervollständigen, das uns, im Hinblicke auf
den heutigen trostlosen Zustand der türkischen Hafenstadt, so eigen-
thümlich erhebend anmuthet. Bis zu den eigentlichen Uran-
fängen der Existenz Sinopes, das bereits vor dritthalb Jahr-
tausenden den Umsatz und den Austausch der Producte mensch-
lichen Fleißes zwischen den ägäischen und pontischen Uferstaaten
einerseits und den assyrisch-indischen Reichen anderseits vermittelte,
vorzudringen, wäre an der Hand topographischer Thatsachen
allerdings nicht mehr denkbar. Der Küstenplatz hat derart gründ-
liche Umgestaltungen und Zerstörungen erfahren, daß selbst von
einer Belebung milesischer oder zum mindesten spät-griechischer
Reminiscenzen allenthalben selbst die dürftigsten archäologischen
und sonstigen Anhaltspunkte mangeln; daß einzelne Baureste
aus mithridatischer Zeit herrühren, erscheint unzweifelhaft, das
meiste aber ist byzantinischen oder genuesischen Ursprunges. Unter
solchen Umständen könnten sich Untersuchungen in Bezug auf
die älteste Geschichte der assyrischen Colonie-Stadt am Pontns
nur in jene Sagenbilder verflüchtigen, die in Firdusis Schah-
Nahmeh den Grundton zu jenem großartigen Culturgemälde
liefern, das identisch ist mit den ersten großen, zum Theile histo-
rischen, anderntheils mythischen Völkerbewegungen West-Asiens.

Daß die Geschichte der Pontus-Länder mit dem zweiten
großen assyrischen Weltreiche im unmittelbaren Contacte stehe,
ist so ziemlich erwiesen1. Feridun hatte das letztere begründet
und seinen weitläufigen Länderbesitz, der von den Schneezinnen
des Himalaya bis in die lybische Wüste und vom Kaukasus bis
tief nach Hoch-Arabien hineinreichte, unter seine drei Söhne
Selm, Tur und Iredsch getheilt. Das Brüdererbe sollte schlechte
Früchte tragen. Selm, der Beherrscher am "westlichen Gewässer"
(Klein-Asien, Syrien und Aegypten unter dem Collectiv Chawer)
und Tur, der Fürst des nach ihm so benannten "Turan",
nährten gegenüber ihrem vermeintlich bevorzugten dritten Bruder,
Iredsch, dem Gebieter in Iran, den Bruderzwist, der, kurz berichtet,
mit der Ermordung des sanftmüthigen Iredsch endete. Für

1 Movers, "Die Phönikier", I, 375, II, 287 etc.

Anhang. Anatoliſche Fragmente.
noch einmal den claſſiſchen Schutt dieſer älteſten mileſiſchen
Pflanzſtätte am rauhen Pontusgeſtade durchzuwühlen, um jenes
Culturgemälde zu vervollſtändigen, das uns, im Hinblicke auf
den heutigen troſtloſen Zuſtand der türkiſchen Hafenſtadt, ſo eigen-
thümlich erhebend anmuthet. Bis zu den eigentlichen Uran-
fängen der Exiſtenz Sinopes, das bereits vor dritthalb Jahr-
tauſenden den Umſatz und den Austauſch der Producte menſch-
lichen Fleißes zwiſchen den ägäiſchen und pontiſchen Uferſtaaten
einerſeits und den aſſyriſch-indiſchen Reichen anderſeits vermittelte,
vorzudringen, wäre an der Hand topographiſcher Thatſachen
allerdings nicht mehr denkbar. Der Küſtenplatz hat derart gründ-
liche Umgeſtaltungen und Zerſtörungen erfahren, daß ſelbſt von
einer Belebung mileſiſcher oder zum mindeſten ſpät-griechiſcher
Reminiscenzen allenthalben ſelbſt die dürftigſten archäologiſchen
und ſonſtigen Anhaltspunkte mangeln; daß einzelne Baureſte
aus mithridatiſcher Zeit herrühren, erſcheint unzweifelhaft, das
meiſte aber iſt byzantiniſchen oder genueſiſchen Urſprunges. Unter
ſolchen Umſtänden könnten ſich Unterſuchungen in Bezug auf
die älteſte Geſchichte der aſſyriſchen Colonie-Stadt am Pontns
nur in jene Sagenbilder verflüchtigen, die in Firduſis Schah-
Nahmeh den Grundton zu jenem großartigen Culturgemälde
liefern, das identiſch iſt mit den erſten großen, zum Theile hiſto-
riſchen, anderntheils mythiſchen Völkerbewegungen Weſt-Aſiens.

Daß die Geſchichte der Pontus-Länder mit dem zweiten
großen aſſyriſchen Weltreiche im unmittelbaren Contacte ſtehe,
iſt ſo ziemlich erwieſen1. Feridun hatte das letztere begründet
und ſeinen weitläufigen Länderbeſitz, der von den Schneezinnen
des Himalaya bis in die lybiſche Wüſte und vom Kaukaſus bis
tief nach Hoch-Arabien hineinreichte, unter ſeine drei Söhne
Selm, Tur und Iredſch getheilt. Das Brüdererbe ſollte ſchlechte
Früchte tragen. Selm, der Beherrſcher am „weſtlichen Gewäſſer“
(Klein-Aſien, Syrien und Aegypten unter dem Collectiv Chawer)
und Tur, der Fürſt des nach ihm ſo benannten „Turan“,
nährten gegenüber ihrem vermeintlich bevorzugten dritten Bruder,
Iredſch, dem Gebieter in Iran, den Bruderzwiſt, der, kurz berichtet,
mit der Ermordung des ſanftmüthigen Iredſch endete. Für

1 Movers, „Die Phönikier“, I, 375, II, 287 ꝛc.
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[198/0230] Anhang. Anatoliſche Fragmente. noch einmal den claſſiſchen Schutt dieſer älteſten mileſiſchen Pflanzſtätte am rauhen Pontusgeſtade durchzuwühlen, um jenes Culturgemälde zu vervollſtändigen, das uns, im Hinblicke auf den heutigen troſtloſen Zuſtand der türkiſchen Hafenſtadt, ſo eigen- thümlich erhebend anmuthet. Bis zu den eigentlichen Uran- fängen der Exiſtenz Sinopes, das bereits vor dritthalb Jahr- tauſenden den Umſatz und den Austauſch der Producte menſch- lichen Fleißes zwiſchen den ägäiſchen und pontiſchen Uferſtaaten einerſeits und den aſſyriſch-indiſchen Reichen anderſeits vermittelte, vorzudringen, wäre an der Hand topographiſcher Thatſachen allerdings nicht mehr denkbar. Der Küſtenplatz hat derart gründ- liche Umgeſtaltungen und Zerſtörungen erfahren, daß ſelbſt von einer Belebung mileſiſcher oder zum mindeſten ſpät-griechiſcher Reminiscenzen allenthalben ſelbſt die dürftigſten archäologiſchen und ſonſtigen Anhaltspunkte mangeln; daß einzelne Baureſte aus mithridatiſcher Zeit herrühren, erſcheint unzweifelhaft, das meiſte aber iſt byzantiniſchen oder genueſiſchen Urſprunges. Unter ſolchen Umſtänden könnten ſich Unterſuchungen in Bezug auf die älteſte Geſchichte der aſſyriſchen Colonie-Stadt am Pontns nur in jene Sagenbilder verflüchtigen, die in Firduſis Schah- Nahmeh den Grundton zu jenem großartigen Culturgemälde liefern, das identiſch iſt mit den erſten großen, zum Theile hiſto- riſchen, anderntheils mythiſchen Völkerbewegungen Weſt-Aſiens. Daß die Geſchichte der Pontus-Länder mit dem zweiten großen aſſyriſchen Weltreiche im unmittelbaren Contacte ſtehe, iſt ſo ziemlich erwieſen 1. Feridun hatte das letztere begründet und ſeinen weitläufigen Länderbeſitz, der von den Schneezinnen des Himalaya bis in die lybiſche Wüſte und vom Kaukaſus bis tief nach Hoch-Arabien hineinreichte, unter ſeine drei Söhne Selm, Tur und Iredſch getheilt. Das Brüdererbe ſollte ſchlechte Früchte tragen. Selm, der Beherrſcher am „weſtlichen Gewäſſer“ (Klein-Aſien, Syrien und Aegypten unter dem Collectiv Chawer) und Tur, der Fürſt des nach ihm ſo benannten „Turan“, nährten gegenüber ihrem vermeintlich bevorzugten dritten Bruder, Iredſch, dem Gebieter in Iran, den Bruderzwiſt, der, kurz berichtet, mit der Ermordung des ſanftmüthigen Iredſch endete. Für 1 Movers, „Die Phönikier“, I, 375, II, 287 ꝛc.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/230>, abgerufen am 25.11.2024.