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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Amasia.
artig an den felsigen Absatzformen des natürlichen Gebirgskessels.
Im Frühjahre oder Sommer, wenn die Gärten im Blüthen- oder
Blätterschmucke stehen und so die wüsten Häuseranhäufungen
wohlthuend unterbrechen, ist das Bild dieser interessanten Stadt
noch ein allenthalben erquickendes1. Anders aber zur Winterszeit,
wenn die platten Lehmdächer aufgeweicht werden und die ganze
Häusermasse nur mehr einer Kothlache gleicht. Einst standen an
denselben Stellen weitläufige Paläste griechischer Großen, präch-
tige Kirchen, alle Bauten unterbrochen von weitläufigen Plätzen.
Einzelne Reste von Prachtbauten, die aus moslemischer Zeit
datiren, sind hier wohl auch zu treffen, aber im Grunde wurde
nur das vorhandene Baumaterial verwendet und aus den antiken,
stylvollen Architekturen wurden wunderlich verquickte Zwitter-
geschöpfe, an denen Kunst und Barbarei in gleichem Maße zum
Ausdrucke kamen. Aber selbst diese Bauten einer jüngeren Zeit,
darunter Paläste verschiedener Sultane2, sind soviel wie zerstört
und nur der "Kizlar-Serai", oder Frauenpalast, zu erkennen, so-
genannt, weil seinerzeit die Einkünfte der Stadt und ihres Terri-
toriums für die Privatschatulle der ersten Sultanin bestimmt
waren. Ueber alles erhaben präsentiren sich aber die Fragmente
des uralten Castells, der einstigen Residenz Isfendiars und später
jene Ferhads3. Daß der persische Nationalheros früher als der
osmanische in Amasia geherrscht, gäbe übrigens den besten Anlaß,
der Logik der morgenländischen Schriftsteller einen kleinen Stoß
zu versetzen, da in unserem Falle der ältere Isfendiar nicht in einer
Burg residirt haben konnte, die der jüngere Ferhad erbaut haben
sollte. Gerne glauben wollen wir aber, daß Bajazid Ilderim,
die erste historische Persönlichkeit, die nach osmanischen Geschichts-
schreibern mit Amasia in Verbindung gebracht wird, mit Vorliebe
in der Irisstadt sich aufhielt, während es anderseits erwiesen ist,

1 v. Moltke, "Briefe über die Türkei", 359. Nach ihm sind Amasia
und Egin (in Hoch-Armenien bei Erzingian) die beiden schönsten Städte
in Bezug auf ihre Lage, die er in Vorder-Asien gesehen. Amasia sei
hiebei seltsamer und merkwürdiger, Egin aber gewaltiger, in Folge seiner
Felsenumrahmung und des Eufratstromes.
2 Vgl. Hammer-Purgstall, "Gesch. d. osm. Reiches", III, a. a. O.
3 Nach Hadschi Chalfa von dem Seldschukiden Alaeddin Keikobad
restaurirt.
Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. 13

Amaſia.
artig an den felſigen Abſatzformen des natürlichen Gebirgskeſſels.
Im Frühjahre oder Sommer, wenn die Gärten im Blüthen- oder
Blätterſchmucke ſtehen und ſo die wüſten Häuſeranhäufungen
wohlthuend unterbrechen, iſt das Bild dieſer intereſſanten Stadt
noch ein allenthalben erquickendes1. Anders aber zur Winterszeit,
wenn die platten Lehmdächer aufgeweicht werden und die ganze
Häuſermaſſe nur mehr einer Kothlache gleicht. Einſt ſtanden an
denſelben Stellen weitläufige Paläſte griechiſcher Großen, präch-
tige Kirchen, alle Bauten unterbrochen von weitläufigen Plätzen.
Einzelne Reſte von Prachtbauten, die aus moslemiſcher Zeit
datiren, ſind hier wohl auch zu treffen, aber im Grunde wurde
nur das vorhandene Baumaterial verwendet und aus den antiken,
ſtylvollen Architekturen wurden wunderlich verquickte Zwitter-
geſchöpfe, an denen Kunſt und Barbarei in gleichem Maße zum
Ausdrucke kamen. Aber ſelbſt dieſe Bauten einer jüngeren Zeit,
darunter Paläſte verſchiedener Sultane2, ſind ſoviel wie zerſtört
und nur der „Kizlar-Serai“, oder Frauenpalaſt, zu erkennen, ſo-
genannt, weil ſeinerzeit die Einkünfte der Stadt und ihres Terri-
toriums für die Privatſchatulle der erſten Sultanin beſtimmt
waren. Ueber alles erhaben präſentiren ſich aber die Fragmente
des uralten Caſtells, der einſtigen Reſidenz Isfendiars und ſpäter
jene Ferhads3. Daß der perſiſche Nationalheros früher als der
osmaniſche in Amaſia geherrſcht, gäbe übrigens den beſten Anlaß,
der Logik der morgenländiſchen Schriftſteller einen kleinen Stoß
zu verſetzen, da in unſerem Falle der ältere Isfendiar nicht in einer
Burg reſidirt haben konnte, die der jüngere Ferhad erbaut haben
ſollte. Gerne glauben wollen wir aber, daß Bajazid Ilderim,
die erſte hiſtoriſche Perſönlichkeit, die nach osmaniſchen Geſchichts-
ſchreibern mit Amaſia in Verbindung gebracht wird, mit Vorliebe
in der Irisſtadt ſich aufhielt, während es anderſeits erwieſen iſt,

1 v. Moltke, „Briefe über die Türkei“, 359. Nach ihm ſind Amaſia
und Egin (in Hoch-Armenien bei Erzingian) die beiden ſchönſten Städte
in Bezug auf ihre Lage, die er in Vorder-Aſien geſehen. Amaſia ſei
hiebei ſeltſamer und merkwürdiger, Egin aber gewaltiger, in Folge ſeiner
Felſenumrahmung und des Eufratſtromes.
2 Vgl. Hammer-Purgſtall, „Geſch. d. osm. Reiches“, III, a. a. O.
3 Nach Hadſchi Chalfa von dem Seldſchukiden Alaeddin Keikobad
reſtaurirt.
Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. 13
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[193/0225] Amaſia. artig an den felſigen Abſatzformen des natürlichen Gebirgskeſſels. Im Frühjahre oder Sommer, wenn die Gärten im Blüthen- oder Blätterſchmucke ſtehen und ſo die wüſten Häuſeranhäufungen wohlthuend unterbrechen, iſt das Bild dieſer intereſſanten Stadt noch ein allenthalben erquickendes 1. Anders aber zur Winterszeit, wenn die platten Lehmdächer aufgeweicht werden und die ganze Häuſermaſſe nur mehr einer Kothlache gleicht. Einſt ſtanden an denſelben Stellen weitläufige Paläſte griechiſcher Großen, präch- tige Kirchen, alle Bauten unterbrochen von weitläufigen Plätzen. Einzelne Reſte von Prachtbauten, die aus moslemiſcher Zeit datiren, ſind hier wohl auch zu treffen, aber im Grunde wurde nur das vorhandene Baumaterial verwendet und aus den antiken, ſtylvollen Architekturen wurden wunderlich verquickte Zwitter- geſchöpfe, an denen Kunſt und Barbarei in gleichem Maße zum Ausdrucke kamen. Aber ſelbſt dieſe Bauten einer jüngeren Zeit, darunter Paläſte verſchiedener Sultane 2, ſind ſoviel wie zerſtört und nur der „Kizlar-Serai“, oder Frauenpalaſt, zu erkennen, ſo- genannt, weil ſeinerzeit die Einkünfte der Stadt und ihres Terri- toriums für die Privatſchatulle der erſten Sultanin beſtimmt waren. Ueber alles erhaben präſentiren ſich aber die Fragmente des uralten Caſtells, der einſtigen Reſidenz Isfendiars und ſpäter jene Ferhads 3. Daß der perſiſche Nationalheros früher als der osmaniſche in Amaſia geherrſcht, gäbe übrigens den beſten Anlaß, der Logik der morgenländiſchen Schriftſteller einen kleinen Stoß zu verſetzen, da in unſerem Falle der ältere Isfendiar nicht in einer Burg reſidirt haben konnte, die der jüngere Ferhad erbaut haben ſollte. Gerne glauben wollen wir aber, daß Bajazid Ilderim, die erſte hiſtoriſche Perſönlichkeit, die nach osmaniſchen Geſchichts- ſchreibern mit Amaſia in Verbindung gebracht wird, mit Vorliebe in der Irisſtadt ſich aufhielt, während es anderſeits erwieſen iſt, 1 v. Moltke, „Briefe über die Türkei“, 359. Nach ihm ſind Amaſia und Egin (in Hoch-Armenien bei Erzingian) die beiden ſchönſten Städte in Bezug auf ihre Lage, die er in Vorder-Aſien geſehen. Amaſia ſei hiebei ſeltſamer und merkwürdiger, Egin aber gewaltiger, in Folge ſeiner Felſenumrahmung und des Eufratſtromes. 2 Vgl. Hammer-Purgſtall, „Geſch. d. osm. Reiches“, III, a. a. O. 3 Nach Hadſchi Chalfa von dem Seldſchukiden Alaeddin Keikobad reſtaurirt. Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. 13

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/225>, abgerufen am 28.04.2024.