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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Anhang. Anatolische Fragmente.
Königsgräber, welche die alte Burg dominiren, griechische In-
schriften angebracht sind, welche stärkere Philologen, als Türken
in der Regel sind, auf die richtige und einzige Provenienz der
antiken Bauten führen hätte können, sei nur so nebenher bemerkt.
Im türkischen Oriente weiß man indeß nichts von derlei Ante-
cedentien der einstigen pontischen Metropolis, und jeder Kameel-
junge des anatolischen Tafellandes labt sich an den phantastischen
Geschehnissen, mit denen Ferhads Name verknüpft ist ... Heute
strömt der "grüne Fluß" unmittelbar nördlich von Amasia durch
ein wildromantisches Felsen-Defile1, in das man, für türkische
Zustände überraschend genug, einen Felsensteig hauen ließ, um
Zutritt zu der Stadt zu erlangen. Dieses großartige Defile ist
aber kein Werk der Erosion des Iris, wie bei uns jeder Schul-
junge erkennen würde, sondern ein Werk Ferhads, der die Berge
um Amasia wie Wachs auseinander schnitt und die Gewässer
nach den Gartenanlagen seiner geliebten Schirin leitete. Dort
wandelte die halb überirdische Schönheit, wie sie kaum das ver-
klärte Auge des Seligen im vierten Himmel, dem Aufenthalts-
orte der schönsten Weiber, zu schauen gewohnt ist, unter ihren
dienstbaren Riesen, die auf den Befehl ihres Gebieters in groß-
artigen Kunstbauten, Aquäducten, Milchströme nach den Meiereien
der Geliebten fließen ließen. Diese Kunstbauten sind in im-
posanten Fragmenten auch heute noch zu sehen, aber sie mochten
wohl einem praktischeren Verdienste gedient haben, als jenes ist,
von dem die moslemische Fabel berichtet. Für die Nomaden-
natur der Osmanen, die selbst heute noch ihre Behausungen zu
möglichst luftigen, passageren gestalten, und so eine riesige Holz-
barackenstadt zusammengebracht haben, welche man Stambul nennt,
mag es allerdings unfaßlich erscheinen, daß so gewaltige Bauten,
wie die Wasserleitungen von Amasia, von den Händen gewöhn-
licher Menschen herrühren.

Werfen wir nun einen Blick auf die Geburtsstätte Strabos,
und -- Osman Paschas. Zwischen engen Felswänden gebettet,
breiten sich die weitläufigen Häusergruppen des Iris-Stromes,
zum Theile an den hohen Ufern desselben, anderntheils terrassen-

1 Beschreibung desselben bei Ker Porter, "Travets etc." II, 706 u. ff.

Anhang. Anatoliſche Fragmente.
Königsgräber, welche die alte Burg dominiren, griechiſche In-
ſchriften angebracht ſind, welche ſtärkere Philologen, als Türken
in der Regel ſind, auf die richtige und einzige Provenienz der
antiken Bauten führen hätte können, ſei nur ſo nebenher bemerkt.
Im türkiſchen Oriente weiß man indeß nichts von derlei Ante-
cedentien der einſtigen pontiſchen Metropolis, und jeder Kameel-
junge des anatoliſchen Tafellandes labt ſich an den phantaſtiſchen
Geſchehniſſen, mit denen Ferhads Name verknüpft iſt … Heute
ſtrömt der „grüne Fluß“ unmittelbar nördlich von Amaſia durch
ein wildromantiſches Felſen-Defilé1, in das man, für türkiſche
Zuſtände überraſchend genug, einen Felſenſteig hauen ließ, um
Zutritt zu der Stadt zu erlangen. Dieſes großartige Defilé iſt
aber kein Werk der Eroſion des Iris, wie bei uns jeder Schul-
junge erkennen würde, ſondern ein Werk Ferhads, der die Berge
um Amaſia wie Wachs auseinander ſchnitt und die Gewäſſer
nach den Gartenanlagen ſeiner geliebten Schirin leitete. Dort
wandelte die halb überirdiſche Schönheit, wie ſie kaum das ver-
klärte Auge des Seligen im vierten Himmel, dem Aufenthalts-
orte der ſchönſten Weiber, zu ſchauen gewohnt iſt, unter ihren
dienſtbaren Rieſen, die auf den Befehl ihres Gebieters in groß-
artigen Kunſtbauten, Aquäducten, Milchſtröme nach den Meiereien
der Geliebten fließen ließen. Dieſe Kunſtbauten ſind in im-
poſanten Fragmenten auch heute noch zu ſehen, aber ſie mochten
wohl einem praktiſcheren Verdienſte gedient haben, als jenes iſt,
von dem die moslemiſche Fabel berichtet. Für die Nomaden-
natur der Osmanen, die ſelbſt heute noch ihre Behauſungen zu
möglichſt luftigen, paſſageren geſtalten, und ſo eine rieſige Holz-
barackenſtadt zuſammengebracht haben, welche man Stambul nennt,
mag es allerdings unfaßlich erſcheinen, daß ſo gewaltige Bauten,
wie die Waſſerleitungen von Amaſia, von den Händen gewöhn-
licher Menſchen herrühren.

Werfen wir nun einen Blick auf die Geburtsſtätte Strabos,
und — Osman Paſchas. Zwiſchen engen Felswänden gebettet,
breiten ſich die weitläufigen Häuſergruppen des Iris-Stromes,
zum Theile an den hohen Ufern deſſelben, anderntheils terraſſen-

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[192/0224] Anhang. Anatoliſche Fragmente. Königsgräber, welche die alte Burg dominiren, griechiſche In- ſchriften angebracht ſind, welche ſtärkere Philologen, als Türken in der Regel ſind, auf die richtige und einzige Provenienz der antiken Bauten führen hätte können, ſei nur ſo nebenher bemerkt. Im türkiſchen Oriente weiß man indeß nichts von derlei Ante- cedentien der einſtigen pontiſchen Metropolis, und jeder Kameel- junge des anatoliſchen Tafellandes labt ſich an den phantaſtiſchen Geſchehniſſen, mit denen Ferhads Name verknüpft iſt … Heute ſtrömt der „grüne Fluß“ unmittelbar nördlich von Amaſia durch ein wildromantiſches Felſen-Defilé 1, in das man, für türkiſche Zuſtände überraſchend genug, einen Felſenſteig hauen ließ, um Zutritt zu der Stadt zu erlangen. Dieſes großartige Defilé iſt aber kein Werk der Eroſion des Iris, wie bei uns jeder Schul- junge erkennen würde, ſondern ein Werk Ferhads, der die Berge um Amaſia wie Wachs auseinander ſchnitt und die Gewäſſer nach den Gartenanlagen ſeiner geliebten Schirin leitete. Dort wandelte die halb überirdiſche Schönheit, wie ſie kaum das ver- klärte Auge des Seligen im vierten Himmel, dem Aufenthalts- orte der ſchönſten Weiber, zu ſchauen gewohnt iſt, unter ihren dienſtbaren Rieſen, die auf den Befehl ihres Gebieters in groß- artigen Kunſtbauten, Aquäducten, Milchſtröme nach den Meiereien der Geliebten fließen ließen. Dieſe Kunſtbauten ſind in im- poſanten Fragmenten auch heute noch zu ſehen, aber ſie mochten wohl einem praktiſcheren Verdienſte gedient haben, als jenes iſt, von dem die moslemiſche Fabel berichtet. Für die Nomaden- natur der Osmanen, die ſelbſt heute noch ihre Behauſungen zu möglichſt luftigen, paſſageren geſtalten, und ſo eine rieſige Holz- barackenſtadt zuſammengebracht haben, welche man Stambul nennt, mag es allerdings unfaßlich erſcheinen, daß ſo gewaltige Bauten, wie die Waſſerleitungen von Amaſia, von den Händen gewöhn- licher Menſchen herrühren. Werfen wir nun einen Blick auf die Geburtsſtätte Strabos, und — Osman Paſchas. Zwiſchen engen Felswänden gebettet, breiten ſich die weitläufigen Häuſergruppen des Iris-Stromes, zum Theile an den hohen Ufern deſſelben, anderntheils terraſſen- 1 Beſchreibung deſſelben bei Ker Porter, „Travets etc.“ II, 706 u. ff.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/224>, abgerufen am 27.04.2024.