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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Anhang. Anatolische Fragmente.
daß weder die große Steinbrücke, noch die vielgerühmte Moschee
seine Schöpfungen, sondern nur Restaurirungen der vorhanden
gewesenen Antiken sind. Ueber dieselben Bogen, die sich heute
wie vor zwei Jahrtausenden von einem Ufer zum andern spannen,
wanderte schon Strabo1, freilich im zartesten Alter, wo ihn die
Stoa noch nicht den Ihrigen nannte, und wandelte später ein
anderer Stoiker -- Osman, der neue Ferhad von Plewna. Auf
der Felsenhöhe aber, die auf das Häusergewirre niederdräut,
saß vor Zeiten, wann, ist uns die moslemische Literaturgeschichte
schuldig geblieben, Mihri, die osmanische Sappho, in heißer aber
unglücklicher Liebe zu einem Treulosen entbrannt. Wie die fabel-
hafte Schirin, so war auch die, augenscheinlich historische, Mihri
eine unvergleichliche Schönheit. Den Beleg hiezu mag übrigens
die Thatsache liefern, daß Amasia noch heute als die Stadt der
schönsten anatolischen Frauen gilt, und eine türkische Redensart
in diesem Sinne im heutigen bürgerlichen Leben allerorts im
Gebrauch ist. Amasia besitzt aber noch einen andern Schatz,
das beste und schönste Obst in allen Gauen und Provinzen dies-
seits des Taurus. Allein an vierzig Arten Birnen gedeihen in
dem sonnigen Thale, das eines der mildesten Kleinasiens ist, und
die Aepfel sind die berühmtesten des ganzen osmanischen Reiches
und so finden sie ihren Weg bis auf die Tafel des Padischah zu
Stambul.

Von den eigentlichen osmanischen Geschichtstraditionen dürften
diejenigen die traurigsten sein, welche Bajazid und seinen Be-
zwinger Temur Lenk betreffen. Bajazid hatte sich mit Vorliebe
in Amasia aufgehalten und wäre er in ihrer festen Burg ver-
blieben, als der Völkermörder Temur mit seinen Tartaren über
die Taurus-Pässe aus dem bezwungenen Mesopotamien hervor-
brach, so wäre sein Schicksal ein anderes geworden, als jenes,
das ihm die Entscheidungsschlacht bei Angora brachte. Er war
von Amasia bis Angora hinter den Halys geeilt, um sein Heer
zu sammeln und in Schlachtordnung zu bringen. Temur mar-
schirte an Amasia vorüber, um sich mit ganzer Kraft auf seinen
Gegner zu werfen, den er bekanntlich in mörderischer Schlacht

1 Ker Porter, "Travels etc.", II, 708 u. ff.

Anhang. Anatoliſche Fragmente.
daß weder die große Steinbrücke, noch die vielgerühmte Moſchee
ſeine Schöpfungen, ſondern nur Reſtaurirungen der vorhanden
geweſenen Antiken ſind. Ueber dieſelben Bogen, die ſich heute
wie vor zwei Jahrtauſenden von einem Ufer zum andern ſpannen,
wanderte ſchon Strabo1, freilich im zarteſten Alter, wo ihn die
Stoa noch nicht den Ihrigen nannte, und wandelte ſpäter ein
anderer Stoiker — Osman, der neue Ferhad von Plewna. Auf
der Felſenhöhe aber, die auf das Häuſergewirre niederdräut,
ſaß vor Zeiten, wann, iſt uns die moslemiſche Literaturgeſchichte
ſchuldig geblieben, Mihri, die osmaniſche Sappho, in heißer aber
unglücklicher Liebe zu einem Treuloſen entbrannt. Wie die fabel-
hafte Schirin, ſo war auch die, augenſcheinlich hiſtoriſche, Mihri
eine unvergleichliche Schönheit. Den Beleg hiezu mag übrigens
die Thatſache liefern, daß Amaſia noch heute als die Stadt der
ſchönſten anatoliſchen Frauen gilt, und eine türkiſche Redensart
in dieſem Sinne im heutigen bürgerlichen Leben allerorts im
Gebrauch iſt. Amaſia beſitzt aber noch einen andern Schatz,
das beſte und ſchönſte Obſt in allen Gauen und Provinzen dies-
ſeits des Taurus. Allein an vierzig Arten Birnen gedeihen in
dem ſonnigen Thale, das eines der mildeſten Kleinaſiens iſt, und
die Aepfel ſind die berühmteſten des ganzen osmaniſchen Reiches
und ſo finden ſie ihren Weg bis auf die Tafel des Padiſchah zu
Stambul.

Von den eigentlichen osmaniſchen Geſchichtstraditionen dürften
diejenigen die traurigſten ſein, welche Bajazid und ſeinen Be-
zwinger Temur Lenk betreffen. Bajazid hatte ſich mit Vorliebe
in Amaſia aufgehalten und wäre er in ihrer feſten Burg ver-
blieben, als der Völkermörder Temur mit ſeinen Tartaren über
die Taurus-Päſſe aus dem bezwungenen Meſopotamien hervor-
brach, ſo wäre ſein Schickſal ein anderes geworden, als jenes,
das ihm die Entſcheidungsſchlacht bei Angora brachte. Er war
von Amaſia bis Angora hinter den Halys geeilt, um ſein Heer
zu ſammeln und in Schlachtordnung zu bringen. Temur mar-
ſchirte an Amaſia vorüber, um ſich mit ganzer Kraft auf ſeinen
Gegner zu werfen, den er bekanntlich in mörderiſcher Schlacht

1 Ker Porter, „Travels etc.“, II, 708 u. ff.
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[194/0226] Anhang. Anatoliſche Fragmente. daß weder die große Steinbrücke, noch die vielgerühmte Moſchee ſeine Schöpfungen, ſondern nur Reſtaurirungen der vorhanden geweſenen Antiken ſind. Ueber dieſelben Bogen, die ſich heute wie vor zwei Jahrtauſenden von einem Ufer zum andern ſpannen, wanderte ſchon Strabo 1, freilich im zarteſten Alter, wo ihn die Stoa noch nicht den Ihrigen nannte, und wandelte ſpäter ein anderer Stoiker — Osman, der neue Ferhad von Plewna. Auf der Felſenhöhe aber, die auf das Häuſergewirre niederdräut, ſaß vor Zeiten, wann, iſt uns die moslemiſche Literaturgeſchichte ſchuldig geblieben, Mihri, die osmaniſche Sappho, in heißer aber unglücklicher Liebe zu einem Treuloſen entbrannt. Wie die fabel- hafte Schirin, ſo war auch die, augenſcheinlich hiſtoriſche, Mihri eine unvergleichliche Schönheit. Den Beleg hiezu mag übrigens die Thatſache liefern, daß Amaſia noch heute als die Stadt der ſchönſten anatoliſchen Frauen gilt, und eine türkiſche Redensart in dieſem Sinne im heutigen bürgerlichen Leben allerorts im Gebrauch iſt. Amaſia beſitzt aber noch einen andern Schatz, das beſte und ſchönſte Obſt in allen Gauen und Provinzen dies- ſeits des Taurus. Allein an vierzig Arten Birnen gedeihen in dem ſonnigen Thale, das eines der mildeſten Kleinaſiens iſt, und die Aepfel ſind die berühmteſten des ganzen osmaniſchen Reiches und ſo finden ſie ihren Weg bis auf die Tafel des Padiſchah zu Stambul. Von den eigentlichen osmaniſchen Geſchichtstraditionen dürften diejenigen die traurigſten ſein, welche Bajazid und ſeinen Be- zwinger Temur Lenk betreffen. Bajazid hatte ſich mit Vorliebe in Amaſia aufgehalten und wäre er in ihrer feſten Burg ver- blieben, als der Völkermörder Temur mit ſeinen Tartaren über die Taurus-Päſſe aus dem bezwungenen Meſopotamien hervor- brach, ſo wäre ſein Schickſal ein anderes geworden, als jenes, das ihm die Entſcheidungsſchlacht bei Angora brachte. Er war von Amaſia bis Angora hinter den Halys geeilt, um ſein Heer zu ſammeln und in Schlachtordnung zu bringen. Temur mar- ſchirte an Amaſia vorüber, um ſich mit ganzer Kraft auf ſeinen Gegner zu werfen, den er bekanntlich in mörderiſcher Schlacht 1 Ker Porter, „Travels etc.“, II, 708 u. ff.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/226>, abgerufen am 27.04.2024.