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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Amasia, die Gartenstadt.
in dem ehrwürdigen Neste üblich war, nämlich mittelst Dampf.
Da erhob sich denn ein gewaltiger Sturm der Ulemas in Stam-
bul, welche von den Gesinnungstüchtigen Amasias aufgereizt
wurden, gegen "solche Eingriffe in die Ordnung Gottes", und
wollte das fremdländische Unternehmen nicht sogleich zu Beginn
Schiffbruch leiden, so war man gezwungen, sich der einheimischen
Weisheit zu fügen. Es erfolgte nach wie vor die Tödtung der
Cocons in der Sonnenhitze, also durch mehrtägige Qual, anstatt
binnen wenigen Minuten durch heißen Dampf1.

Trotz solcher Intoleranz und fabelhafter Beschränktheit sind
die guten Pfahlbürger Amasias nicht wenig stolz auf die ge-
schichtliche Vergangenheit ihrer Stadt, die freilich, wie so häufig
im Oriente, mit den islamitischen Uranfängen verflochten wird2,
ohne daß sie mit denselben thatsächlich etwas zu schaffen hätte.
Selbst ohne jedwede Cultur und nur fictiven, meist fabelhaften
Glanzepochen früherer Tage lebend, haben verschiedene moslemische
Schriftsteller und darunter oft die besten, verläßlichsten, nicht er-
mangelt, die ehrwürdigen Königsdenkmäler des einstigen pontischen
Reiches mit nationalen Sagen zu umranken, geschichtliche That-
sachen zu verfälschen und so historische Momente ins Osmanenthum
hinein zu spintisiren, die mit demselben so wenig zu schaffen
haben, wie etwa die babylonisch-ninivitischen Denkmäler mit dem
späteren abbassidischen Khalifate. Aber selbst in Bezug auf die
sagenhafte Vorgeschichte Amasias irrten die ehrenwerthen Herren
von der Damascener und Bagdader Facultät gar sehr. Sie
lassen, dem persischen Heldenbuche ganz zuwider, Isfendiar, den
Heros von Iran und speciell von Bisutun ohne besondere
Scrupeln seine Heldenthaten im Thale des Iris ausführen, und
sind nur in dem einen Punkte im Unklaren geblieben, ob die
alten Burgtrümmer von diesem oder von dem iranischen
Ferhad herrühren3. Daß an den Colossal-Nischen der pontischen

1 Perrot, Note bei Braun, a. a. O., 382. Am meisten verdient um
Amasias Seidenindustrie hat sich der Baseler Kaufmann Krug gemacht,
(Vgl. P. v. Tschichatscheff, "Routen, etc.", 12.)
2 Vgl. oben, "Die Ruinendenkmäler von Van", dann einzelne dies-
fällige Bemerkungen bei Braun, "Historische Landschaften", a. a. O.
3 Vergl. "Ewliya Effendis Reisen", in Hammer-Purgstalls englischer
Uebersetzung, II.

Amaſia, die Gartenſtadt.
in dem ehrwürdigen Neſte üblich war, nämlich mittelſt Dampf.
Da erhob ſich denn ein gewaltiger Sturm der Ulemas in Stam-
bul, welche von den Geſinnungstüchtigen Amaſias aufgereizt
wurden, gegen „ſolche Eingriffe in die Ordnung Gottes“, und
wollte das fremdländiſche Unternehmen nicht ſogleich zu Beginn
Schiffbruch leiden, ſo war man gezwungen, ſich der einheimiſchen
Weisheit zu fügen. Es erfolgte nach wie vor die Tödtung der
Cocons in der Sonnenhitze, alſo durch mehrtägige Qual, anſtatt
binnen wenigen Minuten durch heißen Dampf1.

Trotz ſolcher Intoleranz und fabelhafter Beſchränktheit ſind
die guten Pfahlbürger Amaſias nicht wenig ſtolz auf die ge-
ſchichtliche Vergangenheit ihrer Stadt, die freilich, wie ſo häufig
im Oriente, mit den islamitiſchen Uranfängen verflochten wird2,
ohne daß ſie mit denſelben thatſächlich etwas zu ſchaffen hätte.
Selbſt ohne jedwede Cultur und nur fictiven, meiſt fabelhaften
Glanzepochen früherer Tage lebend, haben verſchiedene moslemiſche
Schriftſteller und darunter oft die beſten, verläßlichſten, nicht er-
mangelt, die ehrwürdigen Königsdenkmäler des einſtigen pontiſchen
Reiches mit nationalen Sagen zu umranken, geſchichtliche That-
ſachen zu verfälſchen und ſo hiſtoriſche Momente ins Osmanenthum
hinein zu ſpintiſiren, die mit demſelben ſo wenig zu ſchaffen
haben, wie etwa die babyloniſch-ninivitiſchen Denkmäler mit dem
ſpäteren abbaſſidiſchen Khalifate. Aber ſelbſt in Bezug auf die
ſagenhafte Vorgeſchichte Amaſias irrten die ehrenwerthen Herren
von der Damascener und Bagdader Facultät gar ſehr. Sie
laſſen, dem perſiſchen Heldenbuche ganz zuwider, Isfendiar, den
Heros von Iran und ſpeciell von Biſutun ohne beſondere
Scrupeln ſeine Heldenthaten im Thale des Iris ausführen, und
ſind nur in dem einen Punkte im Unklaren geblieben, ob die
alten Burgtrümmer von dieſem oder von dem iraniſchen
Ferhad herrühren3. Daß an den Coloſſal-Niſchen der pontiſchen

1 Perrot, Note bei Braun, a. a. O., 382. Am meiſten verdient um
Amaſias Seideninduſtrie hat ſich der Baſeler Kaufmann Krug gemacht,
(Vgl. P. v. Tſchichatſcheff, „Routen, ꝛc.“, 12.)
2 Vgl. oben, „Die Ruinendenkmäler von Van“, dann einzelne dies-
fällige Bemerkungen bei Braun, „Hiſtoriſche Landſchaften“, a. a. O.
3 Vergl. „Ewliya Effendis Reiſen“, in Hammer-Purgſtalls engliſcher
Ueberſetzung, II.
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[191/0223] Amaſia, die Gartenſtadt. in dem ehrwürdigen Neſte üblich war, nämlich mittelſt Dampf. Da erhob ſich denn ein gewaltiger Sturm der Ulemas in Stam- bul, welche von den Geſinnungstüchtigen Amaſias aufgereizt wurden, gegen „ſolche Eingriffe in die Ordnung Gottes“, und wollte das fremdländiſche Unternehmen nicht ſogleich zu Beginn Schiffbruch leiden, ſo war man gezwungen, ſich der einheimiſchen Weisheit zu fügen. Es erfolgte nach wie vor die Tödtung der Cocons in der Sonnenhitze, alſo durch mehrtägige Qual, anſtatt binnen wenigen Minuten durch heißen Dampf 1. Trotz ſolcher Intoleranz und fabelhafter Beſchränktheit ſind die guten Pfahlbürger Amaſias nicht wenig ſtolz auf die ge- ſchichtliche Vergangenheit ihrer Stadt, die freilich, wie ſo häufig im Oriente, mit den islamitiſchen Uranfängen verflochten wird 2, ohne daß ſie mit denſelben thatſächlich etwas zu ſchaffen hätte. Selbſt ohne jedwede Cultur und nur fictiven, meiſt fabelhaften Glanzepochen früherer Tage lebend, haben verſchiedene moslemiſche Schriftſteller und darunter oft die beſten, verläßlichſten, nicht er- mangelt, die ehrwürdigen Königsdenkmäler des einſtigen pontiſchen Reiches mit nationalen Sagen zu umranken, geſchichtliche That- ſachen zu verfälſchen und ſo hiſtoriſche Momente ins Osmanenthum hinein zu ſpintiſiren, die mit demſelben ſo wenig zu ſchaffen haben, wie etwa die babyloniſch-ninivitiſchen Denkmäler mit dem ſpäteren abbaſſidiſchen Khalifate. Aber ſelbſt in Bezug auf die ſagenhafte Vorgeſchichte Amaſias irrten die ehrenwerthen Herren von der Damascener und Bagdader Facultät gar ſehr. Sie laſſen, dem perſiſchen Heldenbuche ganz zuwider, Isfendiar, den Heros von Iran und ſpeciell von Biſutun ohne beſondere Scrupeln ſeine Heldenthaten im Thale des Iris ausführen, und ſind nur in dem einen Punkte im Unklaren geblieben, ob die alten Burgtrümmer von dieſem oder von dem iraniſchen Ferhad herrühren 3. Daß an den Coloſſal-Niſchen der pontiſchen 1 Perrot, Note bei Braun, a. a. O., 382. Am meiſten verdient um Amaſias Seideninduſtrie hat ſich der Baſeler Kaufmann Krug gemacht, (Vgl. P. v. Tſchichatſcheff, „Routen, ꝛc.“, 12.) 2 Vgl. oben, „Die Ruinendenkmäler von Van“, dann einzelne dies- fällige Bemerkungen bei Braun, „Hiſtoriſche Landſchaften“, a. a. O. 3 Vergl. „Ewliya Effendis Reiſen“, in Hammer-Purgſtalls engliſcher Ueberſetzung, II.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/223>, abgerufen am 24.11.2024.