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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Smyrna.

Nach dieser allgemeinen Schilderung erübrigt uns noch, auch
einige geographische Daten mitzutheilen. An der Westküste Klein-
Asiens, so reich gegliedert sie ist, erscheint gerade Smyrna mit
seiner centralen Lage zu derselben und seinem geräumigen Golfe
von Natur aus zum bedeutendsten Punkte nicht nur des ana-
tolischen Küstenlandes, sondern der ganzen "Levante" gewisser-
maßen prädestinirt. Heute geht der größte Theil des vorder-
asiatischen Exportes 1 nach diesem bedeutenden Hafenplatz, der
nach den neuesten Angaben bei 150,000 Einwohner zählt 2. Die
langen Kameel-Karawanen, welche im östlichen Weichbilde der
Stadt und am Meles zu halten pflegen, kommen in ebenso be-
deutender Zahl aus der südlichen und nördlichen Provinz, wie
aus den Steppen-Territorien Centro-Anatoliens. Hier sind das

Nur ein Stacket trennt den Beobachter von der meist zahlreichen Haus-
gesellschaft. Die Mädchen und die jungen Frauen aber, denen es daran
gelegen ist, einen möglichst anheimelnden, bestrickenden Anblick ihren männ-
lichen Bekannten zu bereiten, nehmen nicht selten zwischen groß doldigen
Blumen, Mandelblüthen und Oleanderzweigen an den Fenstern der Gassen-
front ihren Standpunkt ein, an denen in der Regel auch jene erotischen
Kleinigkeiten abgekartet zu werden pflegen, die nun einmal jedem Pflaster-
treter oder modernen Troubadour ein Lebensbedürfniß sind. Bedenkt man
nun, daß beispielsweise die griechischen Smyrniotinnen schön sind, ja, daß
sie im Rufe ganz außergewöhnlicher Anmuth stehen -- welch letzteres man
von Griechinnen in der Regel gerade nicht behaupten kann -- so wird es
halbwegs begreiflich, wie der nüchternste Tourist, ja selbst der junge Ge-
lehrte, dem Smyrna nur eine Etappe ist und den sein Trachten und
Sinnen mehr nach Ephesus, Milet, Halikarnaß, Magnesia und Sardes
zieht, momentan von der Macht irdischen Zaubers ergriffen zu werden
vermag. Aber wie die Perotin, Syriotin und Athenienserin, ist auch die
Griechin Smyrnas nur eine Lilie auf dem Felde, die weder spinnt noch
sonst arbeitet, und doch vom Herrn mit allem Schönen bedacht worden ist.
Indeß haben sie hier mit der griechisch-orientalischen Sitte des "Spazieren-
sitzens" bereits halb und halb gebrochen, und was sich durch körperliche
Schönheit oder Toilettenreichthum vortheilhaft hervorzuthun vermag, be-
wegt sich zur Promenadestunde, gleich den Damen der vornehmen euro-
päischen Colonisten, auf dem Quai, wo es an schönen Abenden auf- und
niederfluthet, wie vor dem königlichen Schlosse oder in der Hermes-Straße
zu Athen, oder -- der "grande rue de Pera" in Constantinopel ...
1 Die erschöpfenden Daten bei C. v. Scherzer, "Smyrna etc." c. XXII.
2 C. v. Scherzer, a. a. O., 46. Nach J. Seiff ("Reisen i. d. asiat.
Türkei", 351) bei 170,000, nach Busch ("Türkei", 129) gar 180,000 Seelen.
Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. 12
Smyrna.

Nach dieſer allgemeinen Schilderung erübrigt uns noch, auch
einige geographiſche Daten mitzutheilen. An der Weſtküſte Klein-
Aſiens, ſo reich gegliedert ſie iſt, erſcheint gerade Smyrna mit
ſeiner centralen Lage zu derſelben und ſeinem geräumigen Golfe
von Natur aus zum bedeutendſten Punkte nicht nur des ana-
toliſchen Küſtenlandes, ſondern der ganzen „Levante“ gewiſſer-
maßen prädeſtinirt. Heute geht der größte Theil des vorder-
aſiatiſchen Exportes 1 nach dieſem bedeutenden Hafenplatz, der
nach den neueſten Angaben bei 150,000 Einwohner zählt 2. Die
langen Kameel-Karawanen, welche im öſtlichen Weichbilde der
Stadt und am Meles zu halten pflegen, kommen in ebenſo be-
deutender Zahl aus der ſüdlichen und nördlichen Provinz, wie
aus den Steppen-Territorien Centro-Anatoliens. Hier ſind das

Nur ein Stacket trennt den Beobachter von der meiſt zahlreichen Haus-
geſellſchaft. Die Mädchen und die jungen Frauen aber, denen es daran
gelegen iſt, einen möglichſt anheimelnden, beſtrickenden Anblick ihren männ-
lichen Bekannten zu bereiten, nehmen nicht ſelten zwiſchen groß doldigen
Blumen, Mandelblüthen und Oleanderzweigen an den Fenſtern der Gaſſen-
front ihren Standpunkt ein, an denen in der Regel auch jene erotiſchen
Kleinigkeiten abgekartet zu werden pflegen, die nun einmal jedem Pflaſter-
treter oder modernen Troubadour ein Lebensbedürfniß ſind. Bedenkt man
nun, daß beiſpielsweiſe die griechiſchen Smyrniotinnen ſchön ſind, ja, daß
ſie im Rufe ganz außergewöhnlicher Anmuth ſtehen — welch letzteres man
von Griechinnen in der Regel gerade nicht behaupten kann — ſo wird es
halbwegs begreiflich, wie der nüchternſte Touriſt, ja ſelbſt der junge Ge-
lehrte, dem Smyrna nur eine Etappe iſt und den ſein Trachten und
Sinnen mehr nach Epheſus, Milet, Halikarnaß, Magneſia und Sardes
zieht, momentan von der Macht irdiſchen Zaubers ergriffen zu werden
vermag. Aber wie die Perotin, Syriotin und Athenienſerin, iſt auch die
Griechin Smyrnas nur eine Lilie auf dem Felde, die weder ſpinnt noch
ſonſt arbeitet, und doch vom Herrn mit allem Schönen bedacht worden iſt.
Indeß haben ſie hier mit der griechiſch-orientaliſchen Sitte des „Spazieren-
ſitzens“ bereits halb und halb gebrochen, und was ſich durch körperliche
Schönheit oder Toilettenreichthum vortheilhaft hervorzuthun vermag, be-
wegt ſich zur Promenadeſtunde, gleich den Damen der vornehmen euro-
päiſchen Coloniſten, auf dem Quai, wo es an ſchönen Abenden auf- und
niederfluthet, wie vor dem königlichen Schloſſe oder in der Hermes-Straße
zu Athen, oder — der „grande rue de Pera“ in Conſtantinopel …
1 Die erſchöpfenden Daten bei C. v. Scherzer, „Smyrna ꝛc.“ c. XXII.
2 C. v. Scherzer, a. a. O., 46. Nach J. Seiff („Reiſen i. d. aſiat.
Türkei“, 351) bei 170,000, nach Buſch („Türkei“, 129) gar 180,000 Seelen.
Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. 12
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[177/0209] Smyrna. Nach dieſer allgemeinen Schilderung erübrigt uns noch, auch einige geographiſche Daten mitzutheilen. An der Weſtküſte Klein- Aſiens, ſo reich gegliedert ſie iſt, erſcheint gerade Smyrna mit ſeiner centralen Lage zu derſelben und ſeinem geräumigen Golfe von Natur aus zum bedeutendſten Punkte nicht nur des ana- toliſchen Küſtenlandes, ſondern der ganzen „Levante“ gewiſſer- maßen prädeſtinirt. Heute geht der größte Theil des vorder- aſiatiſchen Exportes 1 nach dieſem bedeutenden Hafenplatz, der nach den neueſten Angaben bei 150,000 Einwohner zählt 2. Die langen Kameel-Karawanen, welche im öſtlichen Weichbilde der Stadt und am Meles zu halten pflegen, kommen in ebenſo be- deutender Zahl aus der ſüdlichen und nördlichen Provinz, wie aus den Steppen-Territorien Centro-Anatoliens. Hier ſind das 2 1 Die erſchöpfenden Daten bei C. v. Scherzer, „Smyrna ꝛc.“ c. XXII. 2 C. v. Scherzer, a. a. O., 46. Nach J. Seiff („Reiſen i. d. aſiat. Türkei“, 351) bei 170,000, nach Buſch („Türkei“, 129) gar 180,000 Seelen. 2 Nur ein Stacket trennt den Beobachter von der meiſt zahlreichen Haus- geſellſchaft. Die Mädchen und die jungen Frauen aber, denen es daran gelegen iſt, einen möglichſt anheimelnden, beſtrickenden Anblick ihren männ- lichen Bekannten zu bereiten, nehmen nicht ſelten zwiſchen groß doldigen Blumen, Mandelblüthen und Oleanderzweigen an den Fenſtern der Gaſſen- front ihren Standpunkt ein, an denen in der Regel auch jene erotiſchen Kleinigkeiten abgekartet zu werden pflegen, die nun einmal jedem Pflaſter- treter oder modernen Troubadour ein Lebensbedürfniß ſind. Bedenkt man nun, daß beiſpielsweiſe die griechiſchen Smyrniotinnen ſchön ſind, ja, daß ſie im Rufe ganz außergewöhnlicher Anmuth ſtehen — welch letzteres man von Griechinnen in der Regel gerade nicht behaupten kann — ſo wird es halbwegs begreiflich, wie der nüchternſte Touriſt, ja ſelbſt der junge Ge- lehrte, dem Smyrna nur eine Etappe iſt und den ſein Trachten und Sinnen mehr nach Epheſus, Milet, Halikarnaß, Magneſia und Sardes zieht, momentan von der Macht irdiſchen Zaubers ergriffen zu werden vermag. Aber wie die Perotin, Syriotin und Athenienſerin, iſt auch die Griechin Smyrnas nur eine Lilie auf dem Felde, die weder ſpinnt noch ſonſt arbeitet, und doch vom Herrn mit allem Schönen bedacht worden iſt. Indeß haben ſie hier mit der griechiſch-orientaliſchen Sitte des „Spazieren- ſitzens“ bereits halb und halb gebrochen, und was ſich durch körperliche Schönheit oder Toilettenreichthum vortheilhaft hervorzuthun vermag, be- wegt ſich zur Promenadeſtunde, gleich den Damen der vornehmen euro- päiſchen Coloniſten, auf dem Quai, wo es an ſchönen Abenden auf- und niederfluthet, wie vor dem königlichen Schloſſe oder in der Hermes-Straße zu Athen, oder — der „grande rue de Pera“ in Conſtantinopel … Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. 12

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/209>, abgerufen am 27.04.2024.