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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Anhang. Anatolische Fragmente.
altberühmte seldschukidische Konja, Karahissar und Kutahia die
Sammelpunkte für die großen Karawanen. Ganze Zeltstädte
bevölkern die Treiber, Kaufleute und Escorte-Soldaten bei den
genannten Städten, bis der Tag des Aufbruches hereinbricht
und die ausgedehnten Züge in wochenlangen Märschen das
Handels-Emporium im Westen erreichen. In der Regel ist ein
williges Grauthier der eigentliche Führer der ganzen Karawane
und die Kameele schreiten gravitätisch mit ihren schweren Lasten
(oft sechs Centner), eines hinter dem andern, durch Stricke an-
einander gekoppelt, die beschwerlichen Pfade entlang. Diese Pfade
spotten mitunter freilich jeder Beschreibung und machen den
Verkehr ungemein schwierig 1. Pässe, die seit Jahrtausenden dem
allgemeinen Verkehr dienen, die ganze Völkerschaften passirt und
durch die sich noch heute jährlich die Pilgerschaaren drängen,
welche Syrien und später das gelobte Mekka erreichen wollen,
werden hiebei oft mit großen Mühsalen überschritten, bis sich die
lieblichen Thäler des Hermos und Mäander dem Reisenden
öffnen. Da gibt es dann gute Rast unter uralten Platanen,
Nußbäumen oder im Schatten gewaltiger Feigenbäume, deren
erquickende Früchte die Müden erlaben. Prächtiger Weideboden
bedeckt diese Thäler, die auf Schritt und Tritt an eine große
Vergangenheit mahnen. Die Vegetation ist die üppigste in ganz

1 Vgl. "Globus", VI, 345 u. ff. -- Dieses Uebelstandes scheint man
sich letzterer Zeit auch in osmanischen Kreisen bewußt geworden zu sein,
denn er kam in der ersten ottomanischen Parlaments-Session zur
Sprache. Der Deputirte für Aleppo, Manuk Effendi erklärte nämlich, daß
die vielgerühmte Ergiebigkeit und Fruchtbarkeit des asiatischen Bodens
so lange nutzlos bleiben müßten, bis man dem Lande bessere Wege ver-
schaffen würde. In Anatolien gäbe es Strecken, wo zwischen den größten
Städten nicht einmal eine Chaussee existirt, so daß die Producenten ihre
Producte nicht auf Fuhrwerken, oder mit Pferden transportiren können;
die Producte verfaulen in den Scheunen und die Eigenthümer geriethen
in Schulden. Auf diese Verhältnisse habe man (höheren Orts) -- meinte
der Redner weiter -- gar kein Augenmerk gehabt, so daß der Ackerbau
und der Handel zu Grunde gingen und der erwartete Wohlstand in Ar-
muth und Dürftigkeit umschlug. In derselben Sitzung wurde eine Reso-
lution eingebracht, behufs Ergreifung von Maßregeln zur Beseitigung
dieser Uebelstände, bis aber dies Alles Früchte tragen wird, dürften sich
noch viele Kameele auf den alten Wegen -- die Beine brechen. (Vgl.
"Allg. Ztg", 1877, Nr. 112.)

Anhang. Anatoliſche Fragmente.
altberühmte ſeldſchukidiſche Konja, Karahiſſar und Kutahia die
Sammelpunkte für die großen Karawanen. Ganze Zeltſtädte
bevölkern die Treiber, Kaufleute und Escorte-Soldaten bei den
genannten Städten, bis der Tag des Aufbruches hereinbricht
und die ausgedehnten Züge in wochenlangen Märſchen das
Handels-Emporium im Weſten erreichen. In der Regel iſt ein
williges Grauthier der eigentliche Führer der ganzen Karawane
und die Kameele ſchreiten gravitätiſch mit ihren ſchweren Laſten
(oft ſechs Centner), eines hinter dem andern, durch Stricke an-
einander gekoppelt, die beſchwerlichen Pfade entlang. Dieſe Pfade
ſpotten mitunter freilich jeder Beſchreibung und machen den
Verkehr ungemein ſchwierig 1. Päſſe, die ſeit Jahrtauſenden dem
allgemeinen Verkehr dienen, die ganze Völkerſchaften paſſirt und
durch die ſich noch heute jährlich die Pilgerſchaaren drängen,
welche Syrien und ſpäter das gelobte Mekka erreichen wollen,
werden hiebei oft mit großen Mühſalen überſchritten, bis ſich die
lieblichen Thäler des Hermos und Mäander dem Reiſenden
öffnen. Da gibt es dann gute Raſt unter uralten Platanen,
Nußbäumen oder im Schatten gewaltiger Feigenbäume, deren
erquickende Früchte die Müden erlaben. Prächtiger Weideboden
bedeckt dieſe Thäler, die auf Schritt und Tritt an eine große
Vergangenheit mahnen. Die Vegetation iſt die üppigſte in ganz

1 Vgl. „Globus“, VI, 345 u. ff. — Dieſes Uebelſtandes ſcheint man
ſich letzterer Zeit auch in osmaniſchen Kreiſen bewußt geworden zu ſein,
denn er kam in der erſten ottomaniſchen Parlaments-Seſſion zur
Sprache. Der Deputirte für Aleppo, Manuk Effendi erklärte nämlich, daß
die vielgerühmte Ergiebigkeit und Fruchtbarkeit des aſiatiſchen Bodens
ſo lange nutzlos bleiben müßten, bis man dem Lande beſſere Wege ver-
ſchaffen würde. In Anatolien gäbe es Strecken, wo zwiſchen den größten
Städten nicht einmal eine Chauſſee exiſtirt, ſo daß die Producenten ihre
Producte nicht auf Fuhrwerken, oder mit Pferden transportiren können;
die Producte verfaulen in den Scheunen und die Eigenthümer geriethen
in Schulden. Auf dieſe Verhältniſſe habe man (höheren Orts) — meinte
der Redner weiter — gar kein Augenmerk gehabt, ſo daß der Ackerbau
und der Handel zu Grunde gingen und der erwartete Wohlſtand in Ar-
muth und Dürftigkeit umſchlug. In derſelben Sitzung wurde eine Reſo-
lution eingebracht, behufs Ergreifung von Maßregeln zur Beſeitigung
dieſer Uebelſtände, bis aber dies Alles Früchte tragen wird, dürften ſich
noch viele Kameele auf den alten Wegen — die Beine brechen. (Vgl.
„Allg. Ztg“, 1877, Nr. 112.)
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[178/0210] Anhang. Anatoliſche Fragmente. altberühmte ſeldſchukidiſche Konja, Karahiſſar und Kutahia die Sammelpunkte für die großen Karawanen. Ganze Zeltſtädte bevölkern die Treiber, Kaufleute und Escorte-Soldaten bei den genannten Städten, bis der Tag des Aufbruches hereinbricht und die ausgedehnten Züge in wochenlangen Märſchen das Handels-Emporium im Weſten erreichen. In der Regel iſt ein williges Grauthier der eigentliche Führer der ganzen Karawane und die Kameele ſchreiten gravitätiſch mit ihren ſchweren Laſten (oft ſechs Centner), eines hinter dem andern, durch Stricke an- einander gekoppelt, die beſchwerlichen Pfade entlang. Dieſe Pfade ſpotten mitunter freilich jeder Beſchreibung und machen den Verkehr ungemein ſchwierig 1. Päſſe, die ſeit Jahrtauſenden dem allgemeinen Verkehr dienen, die ganze Völkerſchaften paſſirt und durch die ſich noch heute jährlich die Pilgerſchaaren drängen, welche Syrien und ſpäter das gelobte Mekka erreichen wollen, werden hiebei oft mit großen Mühſalen überſchritten, bis ſich die lieblichen Thäler des Hermos und Mäander dem Reiſenden öffnen. Da gibt es dann gute Raſt unter uralten Platanen, Nußbäumen oder im Schatten gewaltiger Feigenbäume, deren erquickende Früchte die Müden erlaben. Prächtiger Weideboden bedeckt dieſe Thäler, die auf Schritt und Tritt an eine große Vergangenheit mahnen. Die Vegetation iſt die üppigſte in ganz 1 Vgl. „Globus“, VI, 345 u. ff. — Dieſes Uebelſtandes ſcheint man ſich letzterer Zeit auch in osmaniſchen Kreiſen bewußt geworden zu ſein, denn er kam in der erſten ottomaniſchen Parlaments-Seſſion zur Sprache. Der Deputirte für Aleppo, Manuk Effendi erklärte nämlich, daß die vielgerühmte Ergiebigkeit und Fruchtbarkeit des aſiatiſchen Bodens ſo lange nutzlos bleiben müßten, bis man dem Lande beſſere Wege ver- ſchaffen würde. In Anatolien gäbe es Strecken, wo zwiſchen den größten Städten nicht einmal eine Chauſſee exiſtirt, ſo daß die Producenten ihre Producte nicht auf Fuhrwerken, oder mit Pferden transportiren können; die Producte verfaulen in den Scheunen und die Eigenthümer geriethen in Schulden. Auf dieſe Verhältniſſe habe man (höheren Orts) — meinte der Redner weiter — gar kein Augenmerk gehabt, ſo daß der Ackerbau und der Handel zu Grunde gingen und der erwartete Wohlſtand in Ar- muth und Dürftigkeit umſchlug. In derſelben Sitzung wurde eine Reſo- lution eingebracht, behufs Ergreifung von Maßregeln zur Beſeitigung dieſer Uebelſtände, bis aber dies Alles Früchte tragen wird, dürften ſich noch viele Kameele auf den alten Wegen — die Beine brechen. (Vgl. „Allg. Ztg“, 1877, Nr. 112.)

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/210>, abgerufen am 28.04.2024.