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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Anhang. Anatolische Fragmente.
oder doch heimgesucht. Vom uralten, sogenannten Sesostris-
Bilde 1 auf der Felswand bei Nimfi, bis zum Kegelzelte des
heutigen Juruken, vermag man mehr oder weniger, all' die viel
tausendjährigen Geschichtsepochen hier zu verfolgen, eine Fülle
von historischen Reminiscenzen, deren sich selbst die "Weltstadt"
am Bospor nicht rühmen kann.

Indem wir wieder zu den Ufern des Meles zurückkehren,
wollen wir noch einen Blick in das "Frankenquartier" werfen.
Wir überschreiten das kleine Flüßchen auf der vielgenannten
Karawanenbrücke, zu deren beiden Seiten wir das regste orien-
talische Treiben beobachten können, und lenken in die "Rue
franque"
ein. Der Unterschied zwischen ihren Bauten und den
des übrigen Smyrna ist ein ganz gewaltiger. Sie sind zwar
keineswegs imposant, ja in der Front eigentlich unansehnlich und
von kahler Architektur, aber die allerorts herrschende Sauberkeit,
der frische, blendend weiße Kalkanwurf und die zierlichen Bal-
cons, von schlanken Eisensäulen getragen, lassen unverzüglich
erkennen, daß hier ein ganz anderer, vorwärtsstrebender Geist
waltet. Eine Merkwürdigkeit der Smyrnaer Franken- und
Griechenhäuser sind die tiefen Hausfluren vom Hauptportale aus,
wodurch die meisten Wohnräume nicht gegen die Straße, sondern
zu beiden Seiten der Flur nach den Gärten, die zu den Häusern
gehören, zu liegen kommen. Diese Fluren an sich sind aber
nicht öde, oder unbenützt, sie dienen vielmehr zum zeitweiligen
Aufenthalt der Familien während der heißen Tagesstunden, und
um diesen Aufenthalt zu verangenehmern, sind die Wände mit
Blumen und Schlinggewächsen geschmückt und an ihnen stehen
elegante Möbel, Ruhebänke, ja selbst Lese- und Arbeitstischen umher 2.

1 Das Monument wird wohl eher einen kleinasiatischen, oder einen
anderen, nicht egyptischen Herrscher vorstellen. (Busch, "Türkei", 131.)
Es ist eine in Relief ausgeführte Kriegergestalt, die von einem Rahmen
umgeben ist. Herodot, der dieselbe zuerst für einen Sesostris ausgab, sagt,
es sei ein Mann, fünf Spannen hoch, den Speer in der Rechten, den
Bogen in der Linken, in egyptischer Rüstung, -- eine Beschreibung, die
insoferne unrichtig ist, als die Figur den Bogen in der Rechten und den
Speer in der Linken hält. (A. a. O. -- Abbildung bei Ritter, "Erdkunde",
18, Tafel III.)
2 Wer vollends das muntere Treiben der jüngeren Familienglieder
beobachten will, der vermag dies unbehindert von der Straße aus zu thun.

Anhang. Anatoliſche Fragmente.
oder doch heimgeſucht. Vom uralten, ſogenannten Seſoſtris-
Bilde 1 auf der Felswand bei Nimfi, bis zum Kegelzelte des
heutigen Juruken, vermag man mehr oder weniger, all’ die viel
tauſendjährigen Geſchichtsepochen hier zu verfolgen, eine Fülle
von hiſtoriſchen Reminiscenzen, deren ſich ſelbſt die „Weltſtadt“
am Bospor nicht rühmen kann.

Indem wir wieder zu den Ufern des Meles zurückkehren,
wollen wir noch einen Blick in das „Frankenquartier“ werfen.
Wir überſchreiten das kleine Flüßchen auf der vielgenannten
Karawanenbrücke, zu deren beiden Seiten wir das regſte orien-
taliſche Treiben beobachten können, und lenken in die „Rue
franque“
ein. Der Unterſchied zwiſchen ihren Bauten und den
des übrigen Smyrna iſt ein ganz gewaltiger. Sie ſind zwar
keineswegs impoſant, ja in der Front eigentlich unanſehnlich und
von kahler Architektur, aber die allerorts herrſchende Sauberkeit,
der friſche, blendend weiße Kalkanwurf und die zierlichen Bal-
cons, von ſchlanken Eiſenſäulen getragen, laſſen unverzüglich
erkennen, daß hier ein ganz anderer, vorwärtsſtrebender Geiſt
waltet. Eine Merkwürdigkeit der Smyrnaer Franken- und
Griechenhäuſer ſind die tiefen Hausfluren vom Hauptportale aus,
wodurch die meiſten Wohnräume nicht gegen die Straße, ſondern
zu beiden Seiten der Flur nach den Gärten, die zu den Häuſern
gehören, zu liegen kommen. Dieſe Fluren an ſich ſind aber
nicht öde, oder unbenützt, ſie dienen vielmehr zum zeitweiligen
Aufenthalt der Familien während der heißen Tagesſtunden, und
um dieſen Aufenthalt zu verangenehmern, ſind die Wände mit
Blumen und Schlinggewächſen geſchmückt und an ihnen ſtehen
elegante Möbel, Ruhebänke, ja ſelbſt Leſe- und Arbeitstiſchen umher 2.

1 Das Monument wird wohl eher einen kleinaſiatiſchen, oder einen
anderen, nicht egyptiſchen Herrſcher vorſtellen. (Buſch, „Türkei“, 131.)
Es iſt eine in Relief ausgeführte Kriegergeſtalt, die von einem Rahmen
umgeben iſt. Herodot, der dieſelbe zuerſt für einen Seſoſtris ausgab, ſagt,
es ſei ein Mann, fünf Spannen hoch, den Speer in der Rechten, den
Bogen in der Linken, in egyptiſcher Rüſtung, — eine Beſchreibung, die
inſoferne unrichtig iſt, als die Figur den Bogen in der Rechten und den
Speer in der Linken hält. (A. a. O. — Abbildung bei Ritter, „Erdkunde“,
18, Tafel III.)
2 Wer vollends das muntere Treiben der jüngeren Familienglieder
beobachten will, der vermag dies unbehindert von der Straße aus zu thun.
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[176/0208] Anhang. Anatoliſche Fragmente. oder doch heimgeſucht. Vom uralten, ſogenannten Seſoſtris- Bilde 1 auf der Felswand bei Nimfi, bis zum Kegelzelte des heutigen Juruken, vermag man mehr oder weniger, all’ die viel tauſendjährigen Geſchichtsepochen hier zu verfolgen, eine Fülle von hiſtoriſchen Reminiscenzen, deren ſich ſelbſt die „Weltſtadt“ am Bospor nicht rühmen kann. Indem wir wieder zu den Ufern des Meles zurückkehren, wollen wir noch einen Blick in das „Frankenquartier“ werfen. Wir überſchreiten das kleine Flüßchen auf der vielgenannten Karawanenbrücke, zu deren beiden Seiten wir das regſte orien- taliſche Treiben beobachten können, und lenken in die „Rue franque“ ein. Der Unterſchied zwiſchen ihren Bauten und den des übrigen Smyrna iſt ein ganz gewaltiger. Sie ſind zwar keineswegs impoſant, ja in der Front eigentlich unanſehnlich und von kahler Architektur, aber die allerorts herrſchende Sauberkeit, der friſche, blendend weiße Kalkanwurf und die zierlichen Bal- cons, von ſchlanken Eiſenſäulen getragen, laſſen unverzüglich erkennen, daß hier ein ganz anderer, vorwärtsſtrebender Geiſt waltet. Eine Merkwürdigkeit der Smyrnaer Franken- und Griechenhäuſer ſind die tiefen Hausfluren vom Hauptportale aus, wodurch die meiſten Wohnräume nicht gegen die Straße, ſondern zu beiden Seiten der Flur nach den Gärten, die zu den Häuſern gehören, zu liegen kommen. Dieſe Fluren an ſich ſind aber nicht öde, oder unbenützt, ſie dienen vielmehr zum zeitweiligen Aufenthalt der Familien während der heißen Tagesſtunden, und um dieſen Aufenthalt zu verangenehmern, ſind die Wände mit Blumen und Schlinggewächſen geſchmückt und an ihnen ſtehen elegante Möbel, Ruhebänke, ja ſelbſt Leſe- und Arbeitstiſchen umher 2. 1 Das Monument wird wohl eher einen kleinaſiatiſchen, oder einen anderen, nicht egyptiſchen Herrſcher vorſtellen. (Buſch, „Türkei“, 131.) Es iſt eine in Relief ausgeführte Kriegergeſtalt, die von einem Rahmen umgeben iſt. Herodot, der dieſelbe zuerſt für einen Seſoſtris ausgab, ſagt, es ſei ein Mann, fünf Spannen hoch, den Speer in der Rechten, den Bogen in der Linken, in egyptiſcher Rüſtung, — eine Beſchreibung, die inſoferne unrichtig iſt, als die Figur den Bogen in der Rechten und den Speer in der Linken hält. (A. a. O. — Abbildung bei Ritter, „Erdkunde“, 18, Tafel III.) 2 Wer vollends das muntere Treiben der jüngeren Familienglieder beobachten will, der vermag dies unbehindert von der Straße aus zu thun.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/208>, abgerufen am 27.04.2024.