Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Anhang. Anatolische Fragmente. schenkten auch den verschollenen Heldengräbern ihre Aufmerksam-keit, allerdings in anderem Sinne, denn ihre Habsucht ließ sie hier Schätze vermuthen, und so verwüsteten sie die Grabkammern und zerstörten zum Theile die kegelartigen Hügel ... Einförmig rauscht hier der Skamander und die Ruhe des Grabes wird nur durch den Ton der Hirtenflöte unterbrochen. Hohe Pappeln und Tamarisken werfen ihre Schatten über Melonengärten und wohlgepflegte Felder, aus denen das Blumen-Stiefkind, die Kornblume, hervorlugt. In der Höhe lockt der Thurmfalke und über die altehrwürdigen Scheitel der Grabhügel huscht die flug- schnelle Schwalbe oder flattert der kosmopolitische Spatz ... Mit diesem anheimelnden Bilde verlassen wir die blumenge- schmückten Ufer und wenden uns über welligen Weideboden in süd- licher Richtung, von wo bald ein weithin schimmerndes Minaret sichtbar wird. Es ist jenes von Bunarbaschi, dem elenden tür- kischen Lehmhüttendorfe, dem bislang die, gewiß nicht hoch genug anzuschlagende Ehre zu Theil ward, die Stelle des einstigen Troja eingenommen zu haben. Indeß mag man das Dorf ge- trost bei Seite liegen lassen, denn nirgends bietet das trojische Gefilde so reichen Vegetationsschmuck, wie in und um Bunar- baschi, dem feuchten, kühlen Quellenorte. An allen Ecken und Enden plätscherts und gurgelts; üppiges Schlinggewächs spannt sich gleich hängenden Gärten über krystallhelle Bäche und hoch im Gezweige der Platanen girren die Turteltauben. Wo man früher (vor Schliemann) das Grab des Aesyetes 1 vermuthete, breiten sich lichtgrüne Olivenbüsche. Von der hohen Lauerwarte, daselbst aber spähten die Trojer ins ferne Blachfeld, um jede Bewegung der Griechen zu überwachen und sie nach dem Burg- felsen von Pergamos, Priamos' Feste, zu rapportiren. Das soll nun heute freilich nur eine Illusion, eine poetische Täuschung sein, da Schliemann bekanntlich Bunarbaschi gar nicht als die Stätte des alten Troja anerkennt, somit auch Priamos' Feste nicht auf dem Bali-Dagh, der eine halbe Stunde südöstlich des Dorfes streicht, gelegen sein konnte. Und wie wunderbar ist doch die Position auf diesem Bergeshaupte mit seinen, nach drei Seiten hin abfallenden Steilhängen, den rauschenden Skamnader zu 1 Ilias, II, 793.
Anhang. Anatoliſche Fragmente. ſchenkten auch den verſchollenen Heldengräbern ihre Aufmerkſam-keit, allerdings in anderem Sinne, denn ihre Habſucht ließ ſie hier Schätze vermuthen, und ſo verwüſteten ſie die Grabkammern und zerſtörten zum Theile die kegelartigen Hügel … Einförmig rauſcht hier der Skamander und die Ruhe des Grabes wird nur durch den Ton der Hirtenflöte unterbrochen. Hohe Pappeln und Tamarisken werfen ihre Schatten über Melonengärten und wohlgepflegte Felder, aus denen das Blumen-Stiefkind, die Kornblume, hervorlugt. In der Höhe lockt der Thurmfalke und über die altehrwürdigen Scheitel der Grabhügel huſcht die flug- ſchnelle Schwalbe oder flattert der kosmopolitiſche Spatz … Mit dieſem anheimelnden Bilde verlaſſen wir die blumenge- ſchmückten Ufer und wenden uns über welligen Weideboden in ſüd- licher Richtung, von wo bald ein weithin ſchimmerndes Minaret ſichtbar wird. Es iſt jenes von Bunarbaſchi, dem elenden tür- kiſchen Lehmhüttendorfe, dem bislang die, gewiß nicht hoch genug anzuſchlagende Ehre zu Theil ward, die Stelle des einſtigen Troja eingenommen zu haben. Indeß mag man das Dorf ge- troſt bei Seite liegen laſſen, denn nirgends bietet das trojiſche Gefilde ſo reichen Vegetationsſchmuck, wie in und um Bunar- baſchi, dem feuchten, kühlen Quellenorte. An allen Ecken und Enden plätſcherts und gurgelts; üppiges Schlinggewächs ſpannt ſich gleich hängenden Gärten über kryſtallhelle Bäche und hoch im Gezweige der Platanen girren die Turteltauben. Wo man früher (vor Schliemann) das Grab des Aeſyetes 1 vermuthete, breiten ſich lichtgrüne Olivenbüſche. Von der hohen Lauerwarte, daſelbſt aber ſpähten die Trojer ins ferne Blachfeld, um jede Bewegung der Griechen zu überwachen und ſie nach dem Burg- felſen von Pergamos, Priamos’ Feſte, zu rapportiren. Das ſoll nun heute freilich nur eine Illuſion, eine poetiſche Täuſchung ſein, da Schliemann bekanntlich Bunarbaſchi gar nicht als die Stätte des alten Troja anerkennt, ſomit auch Priamos’ Feſte nicht auf dem Bali-Dagh, der eine halbe Stunde ſüdöſtlich des Dorfes ſtreicht, gelegen ſein konnte. Und wie wunderbar iſt doch die Poſition auf dieſem Bergeshaupte mit ſeinen, nach drei Seiten hin abfallenden Steilhängen, den rauſchenden Skamnader zu 1 Ilias, II, 793.
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Anhang. Anatoliſche Fragmente.
ſchenkten auch den verſchollenen Heldengräbern ihre Aufmerkſam-
keit, allerdings in anderem Sinne, denn ihre Habſucht ließ ſie
hier Schätze vermuthen, und ſo verwüſteten ſie die Grabkammern
und zerſtörten zum Theile die kegelartigen Hügel … Einförmig
rauſcht hier der Skamander und die Ruhe des Grabes wird nur
durch den Ton der Hirtenflöte unterbrochen. Hohe Pappeln und
Tamarisken werfen ihre Schatten über Melonengärten und
wohlgepflegte Felder, aus denen das Blumen-Stiefkind, die
Kornblume, hervorlugt. In der Höhe lockt der Thurmfalke und
über die altehrwürdigen Scheitel der Grabhügel huſcht die flug-
ſchnelle Schwalbe oder flattert der kosmopolitiſche Spatz …
Mit dieſem anheimelnden Bilde verlaſſen wir die blumenge-
ſchmückten Ufer und wenden uns über welligen Weideboden in ſüd-
licher Richtung, von wo bald ein weithin ſchimmerndes Minaret
ſichtbar wird. Es iſt jenes von Bunarbaſchi, dem elenden tür-
kiſchen Lehmhüttendorfe, dem bislang die, gewiß nicht hoch genug
anzuſchlagende Ehre zu Theil ward, die Stelle des einſtigen
Troja eingenommen zu haben. Indeß mag man das Dorf ge-
troſt bei Seite liegen laſſen, denn nirgends bietet das trojiſche
Gefilde ſo reichen Vegetationsſchmuck, wie in und um Bunar-
baſchi, dem feuchten, kühlen Quellenorte. An allen Ecken und
Enden plätſcherts und gurgelts; üppiges Schlinggewächs ſpannt
ſich gleich hängenden Gärten über kryſtallhelle Bäche und hoch
im Gezweige der Platanen girren die Turteltauben. Wo man
früher (vor Schliemann) das Grab des Aeſyetes 1 vermuthete,
breiten ſich lichtgrüne Olivenbüſche. Von der hohen Lauerwarte,
daſelbſt aber ſpähten die Trojer ins ferne Blachfeld, um jede
Bewegung der Griechen zu überwachen und ſie nach dem Burg-
felſen von Pergamos, Priamos’ Feſte, zu rapportiren. Das ſoll
nun heute freilich nur eine Illuſion, eine poetiſche Täuſchung
ſein, da Schliemann bekanntlich Bunarbaſchi gar nicht als die
Stätte des alten Troja anerkennt, ſomit auch Priamos’ Feſte
nicht auf dem Bali-Dagh, der eine halbe Stunde ſüdöſtlich des
Dorfes ſtreicht, gelegen ſein konnte. Und wie wunderbar iſt doch
die Poſition auf dieſem Bergeshaupte mit ſeinen, nach drei Seiten
hin abfallenden Steilhängen, den rauſchenden Skamnader zu
1 Ilias, II, 793.
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