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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Hellespont und Ilion.
wärts segelnd nähern wir uns einer anderen, classisch berühmten
Landschaft, dem Hellespont, mit seinen hochinteressanten Ufer-
Oertlichkeiten ...

Seitdem der mythische Dardanos, der Vater Ilos, des
Städtegründers, an der asiatischen Küste des "raschfluthenden"
Hellespont seine feste Burg angeblich gegründet hat, sind an den
Ufern dieser Wasserstraße zwischen den beiden Schauplätzen alter
und moderner Cultur unzählige Heere vorübergezogen. Es ist
der Eindruck des ewigen Krieges, der Rivalität zwischen der
östlichen und westlichen Erdhälfte, der sich selbst dem friedlichsten
Wanderer aufdrängt, wenn er zwischen den grünen Ufern hinab-
fährt, der ägäischen See zu, dem ältesten Tummelplatze des
classischen Hellenismus. Jeder verwitterte Fels, jeder Küsten-
vorsprung, eine uralte Ruine hier, eine andere dort, Alles mahnt
an den tausendjährigen Wechsel in der Völkerbewegung, an das
Auffluthen und Niederrauschen weltzerschmetternder Mächte, an
das Erblühen und Versinken einzelner Cultur-Epochen. Vor
Dardanos noch, der sich auf Grund der modernen Forschung
keineswegs als Urtypus eines classischen Heros ausnimmt, son-
dern sich in eine simple Titulatur verwandelt 1, mögen die
Assyrier an diesen Gestaden erschienen sein, um ihren Statt-
halter, oder "Tartan" der äußersten Westprovinz ihres Welt-
reiches einzusetzen 2 ... Von dem Punkte, wo der sogenannte
Dardanos seine Uferwarte errichtet haben soll und der heute
nur mehr durch einen unförmigen Ruinenhügel bezeichnet wird,
ists nur wenige Tausend Fuß bis zur modernen Türkenfeste
"Sultanie", oder Tschanak-Kalessi (das Töpferschloß), auf die,
mehr noch als Alt-Englands Forscher, seine Staatsmänner eifer-

1 Layard, "Ninive and Babylon", 148: Tartan, which we now find
from the Inscriptions, was merely the common title of the commander
of the Assyrian armies.
2 Nach seinem Siege im Kampfspiele gab Tantalos dem Ilos eine
Kuh mit der Weisung, wo sich dieselbe niederlege, eine Stadt zu gründen.
Ilos befolgte dies. Die Kuh ging vor ihm her und legte sich endlich in
Troas nieder. An dieser Stelle nun legte er eine Stadt an, welche er
nach sich, d. h. nach dem assyrischen Gotte Il, Ilion benannte. Wir haben
also hier eine ausdrückliche Ueberlieferung in der griechischen Sage selbst
von assyrischer Gründung. (J. Kruger, "Gesch. der Assyrier und Ira-
nier", 210.)

Hellespont und Ilion.
wärts ſegelnd nähern wir uns einer anderen, claſſiſch berühmten
Landſchaft, dem Hellespont, mit ſeinen hochintereſſanten Ufer-
Oertlichkeiten …

Seitdem der mythiſche Dardanos, der Vater Ilos, des
Städtegründers, an der aſiatiſchen Küſte des „raſchfluthenden“
Hellespont ſeine feſte Burg angeblich gegründet hat, ſind an den
Ufern dieſer Waſſerſtraße zwiſchen den beiden Schauplätzen alter
und moderner Cultur unzählige Heere vorübergezogen. Es iſt
der Eindruck des ewigen Krieges, der Rivalität zwiſchen der
öſtlichen und weſtlichen Erdhälfte, der ſich ſelbſt dem friedlichſten
Wanderer aufdrängt, wenn er zwiſchen den grünen Ufern hinab-
fährt, der ägäiſchen See zu, dem älteſten Tummelplatze des
claſſiſchen Hellenismus. Jeder verwitterte Fels, jeder Küſten-
vorſprung, eine uralte Ruine hier, eine andere dort, Alles mahnt
an den tauſendjährigen Wechſel in der Völkerbewegung, an das
Auffluthen und Niederrauſchen weltzerſchmetternder Mächte, an
das Erblühen und Verſinken einzelner Cultur-Epochen. Vor
Dardanos noch, der ſich auf Grund der modernen Forſchung
keineswegs als Urtypus eines claſſiſchen Heros ausnimmt, ſon-
dern ſich in eine ſimple Titulatur verwandelt 1, mögen die
Aſſyrier an dieſen Geſtaden erſchienen ſein, um ihren Statt-
halter, oder „Tartan“ der äußerſten Weſtprovinz ihres Welt-
reiches einzuſetzen 2 … Von dem Punkte, wo der ſogenannte
Dardanos ſeine Uferwarte errichtet haben ſoll und der heute
nur mehr durch einen unförmigen Ruinenhügel bezeichnet wird,
iſts nur wenige Tauſend Fuß bis zur modernen Türkenfeſte
„Sultanie“, oder Tſchanak-Kaleſſi (das Töpferſchloß), auf die,
mehr noch als Alt-Englands Forſcher, ſeine Staatsmänner eifer-

1 Layard, „Ninive and Babylon“, 148: Tartan, which we now find
from the Inscriptions, was merely the common title of the commander
of the Assyrian armies.
2 Nach ſeinem Siege im Kampfſpiele gab Tantalos dem Ilos eine
Kuh mit der Weiſung, wo ſich dieſelbe niederlege, eine Stadt zu gründen.
Ilos befolgte dies. Die Kuh ging vor ihm her und legte ſich endlich in
Troas nieder. An dieſer Stelle nun legte er eine Stadt an, welche er
nach ſich, d. h. nach dem aſſyriſchen Gotte Il, Ilion benannte. Wir haben
alſo hier eine ausdrückliche Ueberlieferung in der griechiſchen Sage ſelbſt
von aſſyriſcher Gründung. (J. Kruger, „Geſch. der Aſſyrier und Ira-
nier“, 210.)
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[159/0191] Hellespont und Ilion. wärts ſegelnd nähern wir uns einer anderen, claſſiſch berühmten Landſchaft, dem Hellespont, mit ſeinen hochintereſſanten Ufer- Oertlichkeiten … Seitdem der mythiſche Dardanos, der Vater Ilos, des Städtegründers, an der aſiatiſchen Küſte des „raſchfluthenden“ Hellespont ſeine feſte Burg angeblich gegründet hat, ſind an den Ufern dieſer Waſſerſtraße zwiſchen den beiden Schauplätzen alter und moderner Cultur unzählige Heere vorübergezogen. Es iſt der Eindruck des ewigen Krieges, der Rivalität zwiſchen der öſtlichen und weſtlichen Erdhälfte, der ſich ſelbſt dem friedlichſten Wanderer aufdrängt, wenn er zwiſchen den grünen Ufern hinab- fährt, der ägäiſchen See zu, dem älteſten Tummelplatze des claſſiſchen Hellenismus. Jeder verwitterte Fels, jeder Küſten- vorſprung, eine uralte Ruine hier, eine andere dort, Alles mahnt an den tauſendjährigen Wechſel in der Völkerbewegung, an das Auffluthen und Niederrauſchen weltzerſchmetternder Mächte, an das Erblühen und Verſinken einzelner Cultur-Epochen. Vor Dardanos noch, der ſich auf Grund der modernen Forſchung keineswegs als Urtypus eines claſſiſchen Heros ausnimmt, ſon- dern ſich in eine ſimple Titulatur verwandelt 1, mögen die Aſſyrier an dieſen Geſtaden erſchienen ſein, um ihren Statt- halter, oder „Tartan“ der äußerſten Weſtprovinz ihres Welt- reiches einzuſetzen 2 … Von dem Punkte, wo der ſogenannte Dardanos ſeine Uferwarte errichtet haben ſoll und der heute nur mehr durch einen unförmigen Ruinenhügel bezeichnet wird, iſts nur wenige Tauſend Fuß bis zur modernen Türkenfeſte „Sultanie“, oder Tſchanak-Kaleſſi (das Töpferſchloß), auf die, mehr noch als Alt-Englands Forſcher, ſeine Staatsmänner eifer- 1 Layard, „Ninive and Babylon“, 148: Tartan, which we now find from the Inscriptions, was merely the common title of the commander of the Assyrian armies. 2 Nach ſeinem Siege im Kampfſpiele gab Tantalos dem Ilos eine Kuh mit der Weiſung, wo ſich dieſelbe niederlege, eine Stadt zu gründen. Ilos befolgte dies. Die Kuh ging vor ihm her und legte ſich endlich in Troas nieder. An dieſer Stelle nun legte er eine Stadt an, welche er nach ſich, d. h. nach dem aſſyriſchen Gotte Il, Ilion benannte. Wir haben alſo hier eine ausdrückliche Ueberlieferung in der griechiſchen Sage ſelbſt von aſſyriſcher Gründung. (J. Kruger, „Geſch. der Aſſyrier und Ira- nier“, 210.)

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/191>, abgerufen am 24.11.2024.