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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Anhang. Anatolische Fragmente.
Territorium. Im Sommer ziehen sie südwärts, d. h. die flachen,
weitläufigen Terrassen hinan, die gegen das Quellgebiet des ge-
nannten Flusses ansteigen. Dort liegen die spärlichen Ortschaften
bereits über tausend Meter hoch, der Boden ist wellig, hin und
wieder ragt ein runder Hügel über die Grassteppe, meistentheils
aber ist die Ebene von Felsrippen oder ganzen Felsmauern
unterbrochen, während dazwischen Baum-Oasen von Fichten und
Föhren sich breiten 1. Meilenweit gibt es hier keine eigentlichen
Niederlassungen und die Ruhe des Grabes wird durch nichts
unterbrochen, als durch das Gekreisch der Raubvögel, welche in
den Felslöchern nisten. Diese sind indeß keine natürlichen; der
erste Blick würde selbst den in archäologischen Dingen sich als
Laie fühlenden die Ueberzeugung aufdrängen, daß hier einst ein
Volk gehaust haben müsse, seßhaft und vom Segen des Landes
befriedigt und gewiß ganz anders in seinen Bedürfnissen und
Lebensbeziehungen organisirt, wie die heutigen türkischen Nomaden.
In der That, dieser Boden ist uralt in historischer Hinsicht. Kein
geringeres Volk als die Phrygier, welches die griechischen Schrift-
steller "Barbaren" 2 nannten, haben hier ihrer Cultur, ihrer
staatlichen Ordnung und ihren hochentwickelten bürgerlichen Ein-
richtungen gelebt und jene Felshöhlen gehören den Sepulcral-
kammern ihrer Nekropolen an. Was nun dem Lande in unsern
Tagen seinen unbestreitbaren Reiz aufprägt, liegt darin, daß der
an griechischen Monumenten so reiche Boden Kleinasiens viel
ältere, geradezu aus fabelhafter Zeit stammende Denkmäler auf-
weist, und unter diesen nehmen die phrygischen Königsgräber
zwischen den heutigen elenden Turkmenen-Dörfern Sidi Ghazi
und Daghanly, im Westen des altberühmten Kjutachia vielleicht
die erste Stelle ein. Das ausgebreitete Territorium am mittleren
Sangarius, über das heute der Blick schweift, weist dem entgegen
nichts von einer längstverschollenen Cultur auf; ringsum Alles
todt und ausgestorben, auf den Grasflächen die hellen Flecken

1 Culturen finden sich nur in der Nähe der größeren Ortschaften,
wie Eskischehr, Siwrihissar, Sögüd, Beibazar u. A., Niederlassungen, die
dem Reisenden schon dadurch eine Erquickung bieten, daß sie wie unver-
hofft aus ihrem Gartengrün hervortauchen.
2 Strabo, XII.

Anhang. Anatoliſche Fragmente.
Territorium. Im Sommer ziehen ſie ſüdwärts, d. h. die flachen,
weitläufigen Terraſſen hinan, die gegen das Quellgebiet des ge-
nannten Fluſſes anſteigen. Dort liegen die ſpärlichen Ortſchaften
bereits über tauſend Meter hoch, der Boden iſt wellig, hin und
wieder ragt ein runder Hügel über die Grasſteppe, meiſtentheils
aber iſt die Ebene von Felsrippen oder ganzen Felsmauern
unterbrochen, während dazwiſchen Baum-Oaſen von Fichten und
Föhren ſich breiten 1. Meilenweit gibt es hier keine eigentlichen
Niederlaſſungen und die Ruhe des Grabes wird durch nichts
unterbrochen, als durch das Gekreiſch der Raubvögel, welche in
den Felslöchern niſten. Dieſe ſind indeß keine natürlichen; der
erſte Blick würde ſelbſt den in archäologiſchen Dingen ſich als
Laie fühlenden die Ueberzeugung aufdrängen, daß hier einſt ein
Volk gehauſt haben müſſe, ſeßhaft und vom Segen des Landes
befriedigt und gewiß ganz anders in ſeinen Bedürfniſſen und
Lebensbeziehungen organiſirt, wie die heutigen türkiſchen Nomaden.
In der That, dieſer Boden iſt uralt in hiſtoriſcher Hinſicht. Kein
geringeres Volk als die Phrygier, welches die griechiſchen Schrift-
ſteller „Barbaren“ 2 nannten, haben hier ihrer Cultur, ihrer
ſtaatlichen Ordnung und ihren hochentwickelten bürgerlichen Ein-
richtungen gelebt und jene Felshöhlen gehören den Sepulcral-
kammern ihrer Nekropolen an. Was nun dem Lande in unſern
Tagen ſeinen unbeſtreitbaren Reiz aufprägt, liegt darin, daß der
an griechiſchen Monumenten ſo reiche Boden Kleinaſiens viel
ältere, geradezu aus fabelhafter Zeit ſtammende Denkmäler auf-
weiſt, und unter dieſen nehmen die phrygiſchen Königsgräber
zwiſchen den heutigen elenden Turkmenen-Dörfern Sidi Ghazi
und Daghanly, im Weſten des altberühmten Kjutachia vielleicht
die erſte Stelle ein. Das ausgebreitete Territorium am mittleren
Sangarius, über das heute der Blick ſchweift, weiſt dem entgegen
nichts von einer längſtverſchollenen Cultur auf; ringsum Alles
todt und ausgeſtorben, auf den Grasflächen die hellen Flecken

1 Culturen finden ſich nur in der Nähe der größeren Ortſchaften,
wie Eskiſchehr, Siwrihiſſar, Sögüd, Beibazar u. A., Niederlaſſungen, die
dem Reiſenden ſchon dadurch eine Erquickung bieten, daß ſie wie unver-
hofft aus ihrem Gartengrün hervortauchen.
2 Strabo, XII.
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[148/0180] Anhang. Anatoliſche Fragmente. Territorium. Im Sommer ziehen ſie ſüdwärts, d. h. die flachen, weitläufigen Terraſſen hinan, die gegen das Quellgebiet des ge- nannten Fluſſes anſteigen. Dort liegen die ſpärlichen Ortſchaften bereits über tauſend Meter hoch, der Boden iſt wellig, hin und wieder ragt ein runder Hügel über die Grasſteppe, meiſtentheils aber iſt die Ebene von Felsrippen oder ganzen Felsmauern unterbrochen, während dazwiſchen Baum-Oaſen von Fichten und Föhren ſich breiten 1. Meilenweit gibt es hier keine eigentlichen Niederlaſſungen und die Ruhe des Grabes wird durch nichts unterbrochen, als durch das Gekreiſch der Raubvögel, welche in den Felslöchern niſten. Dieſe ſind indeß keine natürlichen; der erſte Blick würde ſelbſt den in archäologiſchen Dingen ſich als Laie fühlenden die Ueberzeugung aufdrängen, daß hier einſt ein Volk gehauſt haben müſſe, ſeßhaft und vom Segen des Landes befriedigt und gewiß ganz anders in ſeinen Bedürfniſſen und Lebensbeziehungen organiſirt, wie die heutigen türkiſchen Nomaden. In der That, dieſer Boden iſt uralt in hiſtoriſcher Hinſicht. Kein geringeres Volk als die Phrygier, welches die griechiſchen Schrift- ſteller „Barbaren“ 2 nannten, haben hier ihrer Cultur, ihrer ſtaatlichen Ordnung und ihren hochentwickelten bürgerlichen Ein- richtungen gelebt und jene Felshöhlen gehören den Sepulcral- kammern ihrer Nekropolen an. Was nun dem Lande in unſern Tagen ſeinen unbeſtreitbaren Reiz aufprägt, liegt darin, daß der an griechiſchen Monumenten ſo reiche Boden Kleinaſiens viel ältere, geradezu aus fabelhafter Zeit ſtammende Denkmäler auf- weiſt, und unter dieſen nehmen die phrygiſchen Königsgräber zwiſchen den heutigen elenden Turkmenen-Dörfern Sidi Ghazi und Daghanly, im Weſten des altberühmten Kjutachia vielleicht die erſte Stelle ein. Das ausgebreitete Territorium am mittleren Sangarius, über das heute der Blick ſchweift, weiſt dem entgegen nichts von einer längſtverſchollenen Cultur auf; ringsum Alles todt und ausgeſtorben, auf den Grasflächen die hellen Flecken 1 Culturen finden ſich nur in der Nähe der größeren Ortſchaften, wie Eskiſchehr, Siwrihiſſar, Sögüd, Beibazar u. A., Niederlaſſungen, die dem Reiſenden ſchon dadurch eine Erquickung bieten, daß ſie wie unver- hofft aus ihrem Gartengrün hervortauchen. 2 Strabo, XII.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/180>, abgerufen am 25.11.2024.