Todfeind herankommen sahen, stürmten sie in ihrem alten Hasse Alle auf den Einen los, und bedrängten ihn von allen Seiten mit ihren Geschossen. Er aber stand wie ein Fels im Meere fest, streckte Etrusker und Phryger, wer ihm nahte, zu Boden. Bald war der Kampf wie¬ der ins Gleiche gesetzt; schon konnten sich die Trojaner nicht mehr Sieger nennen. Mezentius hatte eine Gasse in die Feinde gebrochen, und furchtbar schritt seine hohe Gestalt in den mächtigen Waffen einher. Da ward Aeneas, der inzwischen auf der andern Seite des Tref¬ fens getobt hatte, den furchtbaren Feind aus der Ferne gewahr, ließ plötzlich vom Gefechte ab, und kehrte sich ihm entgegen. Dieser aber hemmte seinen Schritt auf Schußweite von seinem Feind, ergriff mit der Linken die Hand seines Sohnes Lausus, der ihm schon lang an der Seite gestritten hatte, hob mit der Rechten den Wurf¬ spieß, schwenkte ihn in den Lüften, und rief: "Wohlan du mein Arm, der du von jeher mein Gott warst, denn ich kenne keinen andern, und du mein Speer, jetzt gilts! Du aber, mein Sohn Lausus, sollst das lebendige Sie¬ geszeichen über diesen Räuber werden, wenn du mir in der erbeuteten Prachtrüstung desselben prangest!" Nun warf er den zischenden Wurfspieß seinem Gegner zu; dieser aber prallte vom Schilde des Aeneas zurück und traf den Antores, einen edlen argivischen Auswanderer, der mit Evander nach Italien gekommen war, und nun zusammensinkend seinem fernen griechischen Vaterlande einen Seufzer der Sehnsucht zuschickte. Darauf schleu¬ derte auch Aeneas seinen Speer ab. Dieser durchbohrte den dreifachen Erzschild des Feindes, und fuhr diesem in die Weiche. Als Aeneas das Blut des Etruskers fließen
Todfeind herankommen ſahen, ſtürmten ſie in ihrem alten Haſſe Alle auf den Einen los, und bedrängten ihn von allen Seiten mit ihren Geſchoſſen. Er aber ſtand wie ein Fels im Meere feſt, ſtreckte Etrusker und Phryger, wer ihm nahte, zu Boden. Bald war der Kampf wie¬ der ins Gleiche geſetzt; ſchon konnten ſich die Trojaner nicht mehr Sieger nennen. Mezentius hatte eine Gaſſe in die Feinde gebrochen, und furchtbar ſchritt ſeine hohe Geſtalt in den mächtigen Waffen einher. Da ward Aeneas, der inzwiſchen auf der andern Seite des Tref¬ fens getobt hatte, den furchtbaren Feind aus der Ferne gewahr, ließ plötzlich vom Gefechte ab, und kehrte ſich ihm entgegen. Dieſer aber hemmte ſeinen Schritt auf Schußweite von ſeinem Feind, ergriff mit der Linken die Hand ſeines Sohnes Lauſus, der ihm ſchon lang an der Seite geſtritten hatte, hob mit der Rechten den Wurf¬ ſpieß, ſchwenkte ihn in den Lüften, und rief: „Wohlan du mein Arm, der du von jeher mein Gott warſt, denn ich kenne keinen andern, und du mein Speer, jetzt gilts! Du aber, mein Sohn Lauſus, ſollſt das lebendige Sie¬ geszeichen über dieſen Räuber werden, wenn du mir in der erbeuteten Prachtrüſtung deſſelben prangeſt!“ Nun warf er den ziſchenden Wurfſpieß ſeinem Gegner zu; dieſer aber prallte vom Schilde des Aeneas zurück und traf den Antores, einen edlen argiviſchen Auswanderer, der mit Evander nach Italien gekommen war, und nun zuſammenſinkend ſeinem fernen griechiſchen Vaterlande einen Seufzer der Sehnſucht zuſchickte. Darauf ſchleu¬ derte auch Aeneas ſeinen Speer ab. Dieſer durchbohrte den dreifachen Erzſchild des Feindes, und fuhr dieſem in die Weiche. Als Aeneas das Blut des Etruskers fließen
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Todfeind herankommen ſahen, ſtürmten ſie in ihrem alten
Haſſe Alle auf den Einen los, und bedrängten ihn von
allen Seiten mit ihren Geſchoſſen. Er aber ſtand wie
ein Fels im Meere feſt, ſtreckte Etrusker und Phryger,
wer ihm nahte, zu Boden. Bald war der Kampf wie¬
der ins Gleiche geſetzt; ſchon konnten ſich die Trojaner
nicht mehr Sieger nennen. Mezentius hatte eine Gaſſe
in die Feinde gebrochen, und furchtbar ſchritt ſeine hohe
Geſtalt in den mächtigen Waffen einher. Da ward
Aeneas, der inzwiſchen auf der andern Seite des Tref¬
fens getobt hatte, den furchtbaren Feind aus der Ferne
gewahr, ließ plötzlich vom Gefechte ab, und kehrte ſich
ihm entgegen. Dieſer aber hemmte ſeinen Schritt auf
Schußweite von ſeinem Feind, ergriff mit der Linken die
Hand ſeines Sohnes Lauſus, der ihm ſchon lang an der
Seite geſtritten hatte, hob mit der Rechten den Wurf¬
ſpieß, ſchwenkte ihn in den Lüften, und rief: „Wohlan
du mein Arm, der du von jeher mein Gott warſt, denn
ich kenne keinen andern, und du mein Speer, jetzt gilts!
Du aber, mein Sohn Lauſus, ſollſt das lebendige Sie¬
geszeichen über dieſen Räuber werden, wenn du mir in
der erbeuteten Prachtrüſtung deſſelben prangeſt!“ Nun
warf er den ziſchenden Wurfſpieß ſeinem Gegner zu;
dieſer aber prallte vom Schilde des Aeneas zurück und
traf den Antores, einen edlen argiviſchen Auswanderer,
der mit Evander nach Italien gekommen war, und nun
zuſammenſinkend ſeinem fernen griechiſchen Vaterlande
einen Seufzer der Sehnſucht zuſchickte. Darauf ſchleu¬
derte auch Aeneas ſeinen Speer ab. Dieſer durchbohrte
den dreifachen Erzſchild des Feindes, und fuhr dieſem in
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/419>, abgerufen am 22.11.2024.
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