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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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sah, riß er erfreut sein Schwert von der Hüfte und
drang wüthend auf den Bebenden ein. Gespießt von der
Lanze und entkräftet zog sich Mezentius mit dem durch¬
bohrten Schilde zurück. Thränen rollten seinem guten
Sohne Lausus aus den Augen, als er den Vater ver¬
wundet sah; er brach mit seinem Schilde vor, und lief
dem Trojaner, der schon mit seiner Rechten zum tödt¬
lichen Streich ausholte, unter die drohende Klinge, in¬
dem er dem Vater den Schild vorhielt. Ihm folgten
seine Genossen mit großem Geschrei, und alle schleuderten
Geschosse, so daß Aeneas mitten in seinem Grimm stille¬
halten und sich mit seinem Schilde bedecken mußte. Von
Lanzen umhagelt, rief er dem Lausus zu: "Wahnsinniger,
was rennest du in den Tod? Deine Liebe betrügt dich
über deine Kräfte!" Als aber Lausus nicht wich, ver¬
doppelte sich der Grimm des Helden, und nun rannte
ihm Aeneas das Schwert, tief eintauchend, mitten durch
den Leib, das den Weg ohne Mühe durch den leichten
Schild und den goldgestickten Rock des Jünglings, das
Kunstwerk der zärtlichen Mutter, gefunden hatte. Aber
als Aeneas in das erbleichende Antlitz des sterbenden
Knaben sah, da erbarmte ihn sein, und das Bild der
kindlichen Liebe durchbebte sein eigenes Vaterherz. Er
reckte die Hand nach dem Sinkenden aus und rief: "Un¬
glückseliger Jüngling, du hättest eine bessere Gabe von
mir für dein rühmliches Thun verdient! Deine leichte
Rüstung und dein Goldkleid, dessen du dich freutest, soll
nicht von dir genommen werden. Wie du bist, sollst du
bei deinen Vätern schlafen dürfen, und so wenigstens
sollst du inne werden, daß du einem großmüthigen Feind
erlegen bist!" So sprach Aeneas, hob ihn selbst von

ſah, riß er erfreut ſein Schwert von der Hüfte und
drang wüthend auf den Bebenden ein. Geſpießt von der
Lanze und entkräftet zog ſich Mezentius mit dem durch¬
bohrten Schilde zurück. Thränen rollten ſeinem guten
Sohne Lauſus aus den Augen, als er den Vater ver¬
wundet ſah; er brach mit ſeinem Schilde vor, und lief
dem Trojaner, der ſchon mit ſeiner Rechten zum tödt¬
lichen Streich ausholte, unter die drohende Klinge, in¬
dem er dem Vater den Schild vorhielt. Ihm folgten
ſeine Genoſſen mit großem Geſchrei, und alle ſchleuderten
Geſchoſſe, ſo daß Aeneas mitten in ſeinem Grimm ſtille¬
halten und ſich mit ſeinem Schilde bedecken mußte. Von
Lanzen umhagelt, rief er dem Lauſus zu: „Wahnſinniger,
was renneſt du in den Tod? Deine Liebe betrügt dich
über deine Kräfte!“ Als aber Lauſus nicht wich, ver¬
doppelte ſich der Grimm des Helden, und nun rannte
ihm Aeneas das Schwert, tief eintauchend, mitten durch
den Leib, das den Weg ohne Mühe durch den leichten
Schild und den goldgeſtickten Rock des Jünglings, das
Kunſtwerk der zärtlichen Mutter, gefunden hatte. Aber
als Aeneas in das erbleichende Antlitz des ſterbenden
Knaben ſah, da erbarmte ihn ſein, und das Bild der
kindlichen Liebe durchbebte ſein eigenes Vaterherz. Er
reckte die Hand nach dem Sinkenden aus und rief: „Un¬
glückſeliger Jüngling, du hätteſt eine beſſere Gabe von
mir für dein rühmliches Thun verdient! Deine leichte
Rüſtung und dein Goldkleid, deſſen du dich freuteſt, ſoll
nicht von dir genommen werden. Wie du biſt, ſollſt du
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[398/0420] ſah, riß er erfreut ſein Schwert von der Hüfte und drang wüthend auf den Bebenden ein. Geſpießt von der Lanze und entkräftet zog ſich Mezentius mit dem durch¬ bohrten Schilde zurück. Thränen rollten ſeinem guten Sohne Lauſus aus den Augen, als er den Vater ver¬ wundet ſah; er brach mit ſeinem Schilde vor, und lief dem Trojaner, der ſchon mit ſeiner Rechten zum tödt¬ lichen Streich ausholte, unter die drohende Klinge, in¬ dem er dem Vater den Schild vorhielt. Ihm folgten ſeine Genoſſen mit großem Geſchrei, und alle ſchleuderten Geſchoſſe, ſo daß Aeneas mitten in ſeinem Grimm ſtille¬ halten und ſich mit ſeinem Schilde bedecken mußte. Von Lanzen umhagelt, rief er dem Lauſus zu: „Wahnſinniger, was renneſt du in den Tod? Deine Liebe betrügt dich über deine Kräfte!“ Als aber Lauſus nicht wich, ver¬ doppelte ſich der Grimm des Helden, und nun rannte ihm Aeneas das Schwert, tief eintauchend, mitten durch den Leib, das den Weg ohne Mühe durch den leichten Schild und den goldgeſtickten Rock des Jünglings, das Kunſtwerk der zärtlichen Mutter, gefunden hatte. Aber als Aeneas in das erbleichende Antlitz des ſterbenden Knaben ſah, da erbarmte ihn ſein, und das Bild der kindlichen Liebe durchbebte ſein eigenes Vaterherz. Er reckte die Hand nach dem Sinkenden aus und rief: „Un¬ glückſeliger Jüngling, du hätteſt eine beſſere Gabe von mir für dein rühmliches Thun verdient! Deine leichte Rüſtung und dein Goldkleid, deſſen du dich freuteſt, ſoll nicht von dir genommen werden. Wie du biſt, ſollſt du bei deinen Vätern ſchlafen dürfen, und ſo wenigſtens ſollſt du inne werden, daß du einem großmüthigen Feind erlegen biſt!“ So ſprach Aeneas, hob ihn ſelbſt von

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/420>, abgerufen am 16.06.2024.