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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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ganz, wie er einst im Leben war, der Schrecken der
Trojaner und die Freude der Griechen, küßte dem Sohne
Brust, Mund und Augen, und sprach: "Gräme dich nicht
im Gemüthe, lieber Sohn, daß ich gestorben bin, denn
ich lebe jetzt in der Gemeinschaft mit den seligen Göttern,
sondern nimm dir fröhlich deinen Vater zum Beispiel im
Kampfe wie im Rath: im Kampf sey immer der Erste;
in der Rathsversammlung aber schäme dich nicht, den
weisen Worten älterer Männer dich nachgiebig zu zeigen.
Im Uebrigen strebe dem Ruhme nach, wie dein Vater
gethan, freue dich des Glückes und betrübe dich nicht zu
sehr im Unglück; an meinem frühen Fall aber erkenne,
wie nahe die Pforten des Todes dem Sterblichen sind;
denn das ganze Menschengeschlecht gleicht den Frühlings¬
blumen; die Einen wachsen, die Andern vergehen. Nun
aber sage dem Völkerfürsten Agamemnon, sie sollen das
Beste und Edelste von der ganzen Beute mir opfern, da¬
mit mein Herz sich auch am Untergange Troja's laben
könne, und zu meiner Zufriedenheit im Olymp nichts fehle!"

Nachdem er seinem Sohne diesen Befehl ertheilt hatte,
verschwand der selige Geist aus dem Traume des Neopto¬
lemus wie ein flüchtiger Hauch des Windes. Dieser er¬
wachte und seinem freudig bewegten Gemüthe war, als
hätte er mit dem lebendigen Vater fröhlichen Umgang
gepflogen. Am andern Morgen sprangen die Danaer un¬
geduldig von ihrem Lager auf, denn die Sehnsucht nach
der Heimkehr bemächtigte sich ihres Sinnes, und gerne
hätten sie Augenblicks die Schiffe ins Meer gezogen,
wenn der Sohn des Peliden nicht unter das versammelte
Volk getreten wäre, und ihren Eifer durch seine Anrede
gehemmt hätte.

ganz, wie er einſt im Leben war, der Schrecken der
Trojaner und die Freude der Griechen, küßte dem Sohne
Bruſt, Mund und Augen, und ſprach: „Gräme dich nicht
im Gemüthe, lieber Sohn, daß ich geſtorben bin, denn
ich lebe jetzt in der Gemeinſchaft mit den ſeligen Göttern,
ſondern nimm dir fröhlich deinen Vater zum Beiſpiel im
Kampfe wie im Rath: im Kampf ſey immer der Erſte;
in der Rathsverſammlung aber ſchäme dich nicht, den
weiſen Worten älterer Männer dich nachgiebig zu zeigen.
Im Uebrigen ſtrebe dem Ruhme nach, wie dein Vater
gethan, freue dich des Glückes und betrübe dich nicht zu
ſehr im Unglück; an meinem frühen Fall aber erkenne,
wie nahe die Pforten des Todes dem Sterblichen ſind;
denn das ganze Menſchengeſchlecht gleicht den Frühlings¬
blumen; die Einen wachſen, die Andern vergehen. Nun
aber ſage dem Völkerfürſten Agamemnon, ſie ſollen das
Beſte und Edelſte von der ganzen Beute mir opfern, da¬
mit mein Herz ſich auch am Untergange Troja's laben
könne, und zu meiner Zufriedenheit im Olymp nichts fehle!“

Nachdem er ſeinem Sohne dieſen Befehl ertheilt hatte,
verſchwand der ſelige Geiſt aus dem Traume des Neopto¬
lemus wie ein flüchtiger Hauch des Windes. Dieſer er¬
wachte und ſeinem freudig bewegten Gemüthe war, als
hätte er mit dem lebendigen Vater fröhlichen Umgang
gepflogen. Am andern Morgen ſprangen die Danaer un¬
geduldig von ihrem Lager auf, denn die Sehnſucht nach
der Heimkehr bemächtigte ſich ihres Sinnes, und gerne
hätten ſie Augenblicks die Schiffe ins Meer gezogen,
wenn der Sohn des Peliden nicht unter das verſammelte
Volk getreten wäre, und ihren Eifer durch ſeine Anrede
gehemmt hätte.

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[427/0449] ganz, wie er einſt im Leben war, der Schrecken der Trojaner und die Freude der Griechen, küßte dem Sohne Bruſt, Mund und Augen, und ſprach: „Gräme dich nicht im Gemüthe, lieber Sohn, daß ich geſtorben bin, denn ich lebe jetzt in der Gemeinſchaft mit den ſeligen Göttern, ſondern nimm dir fröhlich deinen Vater zum Beiſpiel im Kampfe wie im Rath: im Kampf ſey immer der Erſte; in der Rathsverſammlung aber ſchäme dich nicht, den weiſen Worten älterer Männer dich nachgiebig zu zeigen. Im Uebrigen ſtrebe dem Ruhme nach, wie dein Vater gethan, freue dich des Glückes und betrübe dich nicht zu ſehr im Unglück; an meinem frühen Fall aber erkenne, wie nahe die Pforten des Todes dem Sterblichen ſind; denn das ganze Menſchengeſchlecht gleicht den Frühlings¬ blumen; die Einen wachſen, die Andern vergehen. Nun aber ſage dem Völkerfürſten Agamemnon, ſie ſollen das Beſte und Edelſte von der ganzen Beute mir opfern, da¬ mit mein Herz ſich auch am Untergange Troja's laben könne, und zu meiner Zufriedenheit im Olymp nichts fehle!“ Nachdem er ſeinem Sohne dieſen Befehl ertheilt hatte, verſchwand der ſelige Geiſt aus dem Traume des Neopto¬ lemus wie ein flüchtiger Hauch des Windes. Dieſer er¬ wachte und ſeinem freudig bewegten Gemüthe war, als hätte er mit dem lebendigen Vater fröhlichen Umgang gepflogen. Am andern Morgen ſprangen die Danaer un¬ geduldig von ihrem Lager auf, denn die Sehnſucht nach der Heimkehr bemächtigte ſich ihres Sinnes, und gerne hätten ſie Augenblicks die Schiffe ins Meer gezogen, wenn der Sohn des Peliden nicht unter das verſammelte Volk getreten wäre, und ihren Eifer durch ſeine Anrede gehemmt hätte.

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/449>, abgerufen am 22.11.2024.