Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Greisengliedern, von der ich beseelt war, als ich mit Ja¬
son das Argonautenschiff besteigen wollte, und es auch
bestiegen hätte, wenn ich nicht von dem Könige Pelias
abgehalten worden wäre!"

So rief der Greis und wollte sich vor allen Andern
durch die geöffnete Seitenthüre in den Bauch des hölzer¬
nen Rosses schwingen, aber Neoptolemus, der Sohn des
Achilles, beschwor ihn, diese Ehre ihm, dem Jünglinge ab¬
zutreten, und seines Greisenalters eingedenk, die Führung
der übrigen Griechen nach der Insel Tenedos zu über¬
nehmen. Mit Mühe ließ sich Nestor überreden, und nun
stieg der Jüngling in voller Rüstung zuerst in die geräu¬
mige Höhle. An ihn schlossen sich Menelaus, Diomedes,
Sthenelus und Odysseus, dann Philoktetes, Ajax, Ido¬
meneus, Meriones, Podalirius, Eurymachus, Antimachus,
Agapenor, und so viele sonst noch der Bauch des Rosses
fassen mochte. Zuletzt stieg der Verfertiger des Rosses,
Epeus selbst, hinein. Dann zog er die Leitern zu sich
herauf in die Höhlung, verschloß dieselbe von innen fest,
und setzte sich vor den Riegel; die Uebrigen harrten im
Bauche des Rosses in tiefem Schweigen, und saßen in
dunkler Nacht zwischen Tod und Sieg.

Die andern Griechen aber, nachdem sie die Zelte und
alles Lagergeräthe in Brand gesteckt hatten, brachen, von
Agamemnon dem Völkerfürsten und dem Könige Nestor
befehligt, mit den Schiffen auf und segelten der Insel
Tenedos zu. So war es von den Danaern bestimmt
worden, welche den beiden Helden nicht gestattet hatten,
sich dem Pferde anzuvertrauen, dem ersten um seiner
Würde, dem andern um seines Alters willen. Vor Tenedos

Greiſengliedern, von der ich beſeelt war, als ich mit Ja¬
ſon das Argonautenſchiff beſteigen wollte, und es auch
beſtiegen hätte, wenn ich nicht von dem Könige Pelias
abgehalten worden wäre!“

So rief der Greis und wollte ſich vor allen Andern
durch die geöffnete Seitenthüre in den Bauch des hölzer¬
nen Roſſes ſchwingen, aber Neoptolemus, der Sohn des
Achilles, beſchwor ihn, dieſe Ehre ihm, dem Jünglinge ab¬
zutreten, und ſeines Greiſenalters eingedenk, die Führung
der übrigen Griechen nach der Inſel Tenedos zu über¬
nehmen. Mit Mühe ließ ſich Neſtor überreden, und nun
ſtieg der Jüngling in voller Rüſtung zuerſt in die geräu¬
mige Höhle. An ihn ſchloſſen ſich Menelaus, Diomedes,
Sthenelus und Odyſſeus, dann Philoktetes, Ajax, Ido¬
meneus, Meriones, Podalirius, Eurymachus, Antimachus,
Agapenor, und ſo viele ſonſt noch der Bauch des Roſſes
faſſen mochte. Zuletzt ſtieg der Verfertiger des Roſſes,
Epëus ſelbſt, hinein. Dann zog er die Leitern zu ſich
herauf in die Höhlung, verſchloß dieſelbe von innen feſt,
und ſetzte ſich vor den Riegel; die Uebrigen harrten im
Bauche des Roſſes in tiefem Schweigen, und ſaßen in
dunkler Nacht zwiſchen Tod und Sieg.

Die andern Griechen aber, nachdem ſie die Zelte und
alles Lagergeräthe in Brand geſteckt hatten, brachen, von
Agamemnon dem Völkerfürſten und dem Könige Neſtor
befehligt, mit den Schiffen auf und ſegelten der Inſel
Tenedos zu. So war es von den Danaern beſtimmt
worden, welche den beiden Helden nicht geſtattet hatten,
ſich dem Pferde anzuvertrauen, dem erſten um ſeiner
Würde, dem andern um ſeines Alters willen. Vor Tenedos

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0431" n="409"/>
Grei&#x017F;engliedern, von der ich be&#x017F;eelt war, als ich mit Ja¬<lb/>
&#x017F;on das Argonauten&#x017F;chiff be&#x017F;teigen wollte, und es auch<lb/>
be&#x017F;tiegen hätte, wenn ich nicht von dem Könige Pelias<lb/>
abgehalten worden wäre!&#x201C;</p><lb/>
          <p>So rief der Greis und wollte &#x017F;ich vor allen Andern<lb/>
durch die geöffnete Seitenthüre in den Bauch des hölzer¬<lb/>
nen Ro&#x017F;&#x017F;es &#x017F;chwingen, aber Neoptolemus, der Sohn des<lb/>
Achilles, be&#x017F;chwor ihn, die&#x017F;e Ehre ihm, dem Jünglinge ab¬<lb/>
zutreten, und &#x017F;eines Grei&#x017F;enalters eingedenk, die Führung<lb/>
der übrigen Griechen nach der In&#x017F;el Tenedos zu über¬<lb/>
nehmen. Mit Mühe ließ &#x017F;ich Ne&#x017F;tor überreden, und nun<lb/>
&#x017F;tieg der Jüngling in voller Rü&#x017F;tung zuer&#x017F;t in die geräu¬<lb/>
mige Höhle. An ihn &#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich Menelaus, Diomedes,<lb/>
Sthenelus und Ody&#x017F;&#x017F;eus, dann Philoktetes, Ajax, Ido¬<lb/>
meneus, Meriones, Podalirius, Eurymachus, Antimachus,<lb/>
Agapenor, und &#x017F;o viele &#x017F;on&#x017F;t noch der Bauch des Ro&#x017F;&#x017F;es<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;en mochte. Zuletzt &#x017F;tieg der Verfertiger des Ro&#x017F;&#x017F;es,<lb/>
Ep<hi rendition="#aq">ë</hi>us &#x017F;elb&#x017F;t, hinein. Dann zog er die Leitern zu &#x017F;ich<lb/>
herauf in die Höhlung, ver&#x017F;chloß die&#x017F;elbe von innen fe&#x017F;t,<lb/>
und &#x017F;etzte &#x017F;ich vor den Riegel; die Uebrigen harrten im<lb/>
Bauche des Ro&#x017F;&#x017F;es in tiefem Schweigen, und &#x017F;aßen in<lb/>
dunkler Nacht zwi&#x017F;chen Tod und Sieg.</p><lb/>
          <p>Die andern Griechen aber, nachdem &#x017F;ie die Zelte und<lb/>
alles Lagergeräthe in Brand ge&#x017F;teckt hatten, brachen, von<lb/>
Agamemnon dem Völkerfür&#x017F;ten und dem Könige Ne&#x017F;tor<lb/>
befehligt, mit den Schiffen auf und &#x017F;egelten der In&#x017F;el<lb/>
Tenedos zu. So war es von den Danaern be&#x017F;timmt<lb/>
worden, welche den beiden Helden nicht ge&#x017F;tattet hatten,<lb/>
&#x017F;ich dem Pferde anzuvertrauen, dem er&#x017F;ten um &#x017F;einer<lb/>
Würde, dem andern um &#x017F;eines Alters willen. Vor Tenedos<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[409/0431] Greiſengliedern, von der ich beſeelt war, als ich mit Ja¬ ſon das Argonautenſchiff beſteigen wollte, und es auch beſtiegen hätte, wenn ich nicht von dem Könige Pelias abgehalten worden wäre!“ So rief der Greis und wollte ſich vor allen Andern durch die geöffnete Seitenthüre in den Bauch des hölzer¬ nen Roſſes ſchwingen, aber Neoptolemus, der Sohn des Achilles, beſchwor ihn, dieſe Ehre ihm, dem Jünglinge ab¬ zutreten, und ſeines Greiſenalters eingedenk, die Führung der übrigen Griechen nach der Inſel Tenedos zu über¬ nehmen. Mit Mühe ließ ſich Neſtor überreden, und nun ſtieg der Jüngling in voller Rüſtung zuerſt in die geräu¬ mige Höhle. An ihn ſchloſſen ſich Menelaus, Diomedes, Sthenelus und Odyſſeus, dann Philoktetes, Ajax, Ido¬ meneus, Meriones, Podalirius, Eurymachus, Antimachus, Agapenor, und ſo viele ſonſt noch der Bauch des Roſſes faſſen mochte. Zuletzt ſtieg der Verfertiger des Roſſes, Epëus ſelbſt, hinein. Dann zog er die Leitern zu ſich herauf in die Höhlung, verſchloß dieſelbe von innen feſt, und ſetzte ſich vor den Riegel; die Uebrigen harrten im Bauche des Roſſes in tiefem Schweigen, und ſaßen in dunkler Nacht zwiſchen Tod und Sieg. Die andern Griechen aber, nachdem ſie die Zelte und alles Lagergeräthe in Brand geſteckt hatten, brachen, von Agamemnon dem Völkerfürſten und dem Könige Neſtor befehligt, mit den Schiffen auf und ſegelten der Inſel Tenedos zu. So war es von den Danaern beſtimmt worden, welche den beiden Helden nicht geſtattet hatten, ſich dem Pferde anzuvertrauen, dem erſten um ſeiner Würde, dem andern um ſeines Alters willen. Vor Tenedos

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/431
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/431>, abgerufen am 03.05.2024.