Schwirren der Sehne flog der zischende Pfeil dahin und verfehlte aus der Hand des göttlichen Helden sein Ziel nicht, doch ritzte er dem Paris nur die schöne Haut, und auch dieser spannte seinen Bogen wieder; da traf ihn ein zweiter Pfeil des Philoktetes in die Weiche, daß er nicht länger im Kampf auszuharren vermochte, sondern entfloh, wie ein Hund vor dem Löwen, am ganzen Leibe zitternd.
Der blutige Kampf dauerte noch eine Weile fort, während die Aerzte sich um die schmerzliche Wunde des Paris bemühten. Aber das Dunkel der Nacht war ein¬ gebrochen und die Trojaner kehrten in ihre Mauern, die Danaer zu ihren Schiffen zurück. Paris durchstöhnte die Nacht ohne Schlaf auf seinem Schmerzenslager. Der Pfeil war bis ins Mark des Gebeines eingedrungen und die Wunde durch die Wirkung des scheußlichen Giftes, in das die Pfeile des Herkules getaucht waren, ganz schwarz vor Fäulniß. Kein Arzt vermochte zu helfen, ob sie gleich Mittel aller Art anwandten. Da erinnerte sich der Ver¬ wundete eines Orakelspruches, daß ihm einst in der grö߬ ten Noth nur seine verstoßene Gattin Oenone helfen könne, mit welcher er, als er noch Hirte auf dem Ida war, glückliche Tage verlebt hatte. Aus dem eigenen Munde der Gattin hatte er damals, als er nach Grie¬ chenland zog, diese Wahrsagung vernommen. So ließ er sich denn jetzt ungerne, aber von der harten Qual ge¬ zwungen, dem Berge Ida, wo seine erste Gemahlin noch immer wohnte, zutragen. Von dem Gipfel des Berges herab krächzten Unglücksvögel, als die Diener mit ihm hinanstiegen. Ihre Stimme füllte ihn bald mit Entsetzen, bald trieb ihn wieder die Lebenshoffnung, sie zu verachten. So kam er in der Wohnung seiner Gattin an. Die
Schwirren der Sehne flog der ziſchende Pfeil dahin und verfehlte aus der Hand des göttlichen Helden ſein Ziel nicht, doch ritzte er dem Paris nur die ſchöne Haut, und auch dieſer ſpannte ſeinen Bogen wieder; da traf ihn ein zweiter Pfeil des Philoktetes in die Weiche, daß er nicht länger im Kampf auszuharren vermochte, ſondern entfloh, wie ein Hund vor dem Löwen, am ganzen Leibe zitternd.
Der blutige Kampf dauerte noch eine Weile fort, während die Aerzte ſich um die ſchmerzliche Wunde des Paris bemühten. Aber das Dunkel der Nacht war ein¬ gebrochen und die Trojaner kehrten in ihre Mauern, die Danaer zu ihren Schiffen zurück. Paris durchſtöhnte die Nacht ohne Schlaf auf ſeinem Schmerzenslager. Der Pfeil war bis ins Mark des Gebeines eingedrungen und die Wunde durch die Wirkung des ſcheußlichen Giftes, in das die Pfeile des Herkules getaucht waren, ganz ſchwarz vor Fäulniß. Kein Arzt vermochte zu helfen, ob ſie gleich Mittel aller Art anwandten. Da erinnerte ſich der Ver¬ wundete eines Orakelſpruches, daß ihm einſt in der grö߬ ten Noth nur ſeine verſtoßene Gattin Oenone helfen könne, mit welcher er, als er noch Hirte auf dem Ida war, glückliche Tage verlebt hatte. Aus dem eigenen Munde der Gattin hatte er damals, als er nach Grie¬ chenland zog, dieſe Wahrſagung vernommen. So ließ er ſich denn jetzt ungerne, aber von der harten Qual ge¬ zwungen, dem Berge Ida, wo ſeine erſte Gemahlin noch immer wohnte, zutragen. Von dem Gipfel des Berges herab krächzten Unglücksvögel, als die Diener mit ihm hinanſtiegen. Ihre Stimme füllte ihn bald mit Entſetzen, bald trieb ihn wieder die Lebenshoffnung, ſie zu verachten. So kam er in der Wohnung ſeiner Gattin an. Die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0417"n="395"/>
Schwirren der Sehne flog der ziſchende Pfeil dahin und<lb/>
verfehlte aus der Hand des göttlichen Helden ſein Ziel<lb/>
nicht, doch ritzte er dem Paris nur die ſchöne Haut, und<lb/>
auch dieſer ſpannte ſeinen Bogen wieder; da traf ihn ein<lb/>
zweiter Pfeil des Philoktetes in die Weiche, daß er nicht<lb/>
länger im Kampf auszuharren vermochte, ſondern entfloh,<lb/>
wie ein Hund vor dem Löwen, am ganzen Leibe zitternd.</p><lb/><p>Der blutige Kampf dauerte noch eine Weile fort,<lb/>
während die Aerzte ſich um die ſchmerzliche Wunde des<lb/>
Paris bemühten. Aber das Dunkel der Nacht war ein¬<lb/>
gebrochen und die Trojaner kehrten in ihre Mauern, die<lb/>
Danaer zu ihren Schiffen zurück. Paris durchſtöhnte die<lb/>
Nacht ohne Schlaf auf ſeinem Schmerzenslager. Der<lb/>
Pfeil war bis ins Mark des Gebeines eingedrungen und<lb/>
die Wunde durch die Wirkung des ſcheußlichen Giftes, in<lb/>
das die Pfeile des Herkules getaucht waren, ganz ſchwarz<lb/>
vor Fäulniß. Kein Arzt vermochte zu helfen, ob ſie gleich<lb/>
Mittel aller Art anwandten. Da erinnerte ſich der Ver¬<lb/>
wundete eines Orakelſpruches, daß ihm einſt in der grö߬<lb/>
ten Noth nur ſeine verſtoßene Gattin Oenone helfen<lb/>
könne, mit welcher er, als er noch Hirte auf dem Ida<lb/>
war, glückliche Tage verlebt hatte. Aus dem eigenen<lb/>
Munde der Gattin hatte er damals, als er nach Grie¬<lb/>
chenland zog, dieſe Wahrſagung vernommen. So ließ er<lb/>ſich denn jetzt ungerne, aber von der harten Qual ge¬<lb/>
zwungen, dem Berge Ida, wo ſeine erſte Gemahlin noch<lb/>
immer wohnte, zutragen. Von dem Gipfel des Berges<lb/>
herab krächzten Unglücksvögel, als die Diener mit ihm<lb/>
hinanſtiegen. Ihre Stimme füllte ihn bald mit Entſetzen,<lb/>
bald trieb ihn wieder die Lebenshoffnung, ſie zu verachten.<lb/>
So kam er in der Wohnung ſeiner Gattin an. Die<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[395/0417]
Schwirren der Sehne flog der ziſchende Pfeil dahin und
verfehlte aus der Hand des göttlichen Helden ſein Ziel
nicht, doch ritzte er dem Paris nur die ſchöne Haut, und
auch dieſer ſpannte ſeinen Bogen wieder; da traf ihn ein
zweiter Pfeil des Philoktetes in die Weiche, daß er nicht
länger im Kampf auszuharren vermochte, ſondern entfloh,
wie ein Hund vor dem Löwen, am ganzen Leibe zitternd.
Der blutige Kampf dauerte noch eine Weile fort,
während die Aerzte ſich um die ſchmerzliche Wunde des
Paris bemühten. Aber das Dunkel der Nacht war ein¬
gebrochen und die Trojaner kehrten in ihre Mauern, die
Danaer zu ihren Schiffen zurück. Paris durchſtöhnte die
Nacht ohne Schlaf auf ſeinem Schmerzenslager. Der
Pfeil war bis ins Mark des Gebeines eingedrungen und
die Wunde durch die Wirkung des ſcheußlichen Giftes, in
das die Pfeile des Herkules getaucht waren, ganz ſchwarz
vor Fäulniß. Kein Arzt vermochte zu helfen, ob ſie gleich
Mittel aller Art anwandten. Da erinnerte ſich der Ver¬
wundete eines Orakelſpruches, daß ihm einſt in der grö߬
ten Noth nur ſeine verſtoßene Gattin Oenone helfen
könne, mit welcher er, als er noch Hirte auf dem Ida
war, glückliche Tage verlebt hatte. Aus dem eigenen
Munde der Gattin hatte er damals, als er nach Grie¬
chenland zog, dieſe Wahrſagung vernommen. So ließ er
ſich denn jetzt ungerne, aber von der harten Qual ge¬
zwungen, dem Berge Ida, wo ſeine erſte Gemahlin noch
immer wohnte, zutragen. Von dem Gipfel des Berges
herab krächzten Unglücksvögel, als die Diener mit ihm
hinanſtiegen. Ihre Stimme füllte ihn bald mit Entſetzen,
bald trieb ihn wieder die Lebenshoffnung, ſie zu verachten.
So kam er in der Wohnung ſeiner Gattin an. Die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/417>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.