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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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Schwirren der Sehne flog der zischende Pfeil dahin und
verfehlte aus der Hand des göttlichen Helden sein Ziel
nicht, doch ritzte er dem Paris nur die schöne Haut, und
auch dieser spannte seinen Bogen wieder; da traf ihn ein
zweiter Pfeil des Philoktetes in die Weiche, daß er nicht
länger im Kampf auszuharren vermochte, sondern entfloh,
wie ein Hund vor dem Löwen, am ganzen Leibe zitternd.

Der blutige Kampf dauerte noch eine Weile fort,
während die Aerzte sich um die schmerzliche Wunde des
Paris bemühten. Aber das Dunkel der Nacht war ein¬
gebrochen und die Trojaner kehrten in ihre Mauern, die
Danaer zu ihren Schiffen zurück. Paris durchstöhnte die
Nacht ohne Schlaf auf seinem Schmerzenslager. Der
Pfeil war bis ins Mark des Gebeines eingedrungen und
die Wunde durch die Wirkung des scheußlichen Giftes, in
das die Pfeile des Herkules getaucht waren, ganz schwarz
vor Fäulniß. Kein Arzt vermochte zu helfen, ob sie gleich
Mittel aller Art anwandten. Da erinnerte sich der Ver¬
wundete eines Orakelspruches, daß ihm einst in der grö߬
ten Noth nur seine verstoßene Gattin Oenone helfen
könne, mit welcher er, als er noch Hirte auf dem Ida
war, glückliche Tage verlebt hatte. Aus dem eigenen
Munde der Gattin hatte er damals, als er nach Grie¬
chenland zog, diese Wahrsagung vernommen. So ließ er
sich denn jetzt ungerne, aber von der harten Qual ge¬
zwungen, dem Berge Ida, wo seine erste Gemahlin noch
immer wohnte, zutragen. Von dem Gipfel des Berges
herab krächzten Unglücksvögel, als die Diener mit ihm
hinanstiegen. Ihre Stimme füllte ihn bald mit Entsetzen,
bald trieb ihn wieder die Lebenshoffnung, sie zu verachten.
So kam er in der Wohnung seiner Gattin an. Die

Schwirren der Sehne flog der ziſchende Pfeil dahin und
verfehlte aus der Hand des göttlichen Helden ſein Ziel
nicht, doch ritzte er dem Paris nur die ſchöne Haut, und
auch dieſer ſpannte ſeinen Bogen wieder; da traf ihn ein
zweiter Pfeil des Philoktetes in die Weiche, daß er nicht
länger im Kampf auszuharren vermochte, ſondern entfloh,
wie ein Hund vor dem Löwen, am ganzen Leibe zitternd.

Der blutige Kampf dauerte noch eine Weile fort,
während die Aerzte ſich um die ſchmerzliche Wunde des
Paris bemühten. Aber das Dunkel der Nacht war ein¬
gebrochen und die Trojaner kehrten in ihre Mauern, die
Danaer zu ihren Schiffen zurück. Paris durchſtöhnte die
Nacht ohne Schlaf auf ſeinem Schmerzenslager. Der
Pfeil war bis ins Mark des Gebeines eingedrungen und
die Wunde durch die Wirkung des ſcheußlichen Giftes, in
das die Pfeile des Herkules getaucht waren, ganz ſchwarz
vor Fäulniß. Kein Arzt vermochte zu helfen, ob ſie gleich
Mittel aller Art anwandten. Da erinnerte ſich der Ver¬
wundete eines Orakelſpruches, daß ihm einſt in der grö߬
ten Noth nur ſeine verſtoßene Gattin Oenone helfen
könne, mit welcher er, als er noch Hirte auf dem Ida
war, glückliche Tage verlebt hatte. Aus dem eigenen
Munde der Gattin hatte er damals, als er nach Grie¬
chenland zog, dieſe Wahrſagung vernommen. So ließ er
ſich denn jetzt ungerne, aber von der harten Qual ge¬
zwungen, dem Berge Ida, wo ſeine erſte Gemahlin noch
immer wohnte, zutragen. Von dem Gipfel des Berges
herab krächzten Unglücksvögel, als die Diener mit ihm
hinanſtiegen. Ihre Stimme füllte ihn bald mit Entſetzen,
bald trieb ihn wieder die Lebenshoffnung, ſie zu verachten.
So kam er in der Wohnung ſeiner Gattin an. Die

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[395/0417] Schwirren der Sehne flog der ziſchende Pfeil dahin und verfehlte aus der Hand des göttlichen Helden ſein Ziel nicht, doch ritzte er dem Paris nur die ſchöne Haut, und auch dieſer ſpannte ſeinen Bogen wieder; da traf ihn ein zweiter Pfeil des Philoktetes in die Weiche, daß er nicht länger im Kampf auszuharren vermochte, ſondern entfloh, wie ein Hund vor dem Löwen, am ganzen Leibe zitternd. Der blutige Kampf dauerte noch eine Weile fort, während die Aerzte ſich um die ſchmerzliche Wunde des Paris bemühten. Aber das Dunkel der Nacht war ein¬ gebrochen und die Trojaner kehrten in ihre Mauern, die Danaer zu ihren Schiffen zurück. Paris durchſtöhnte die Nacht ohne Schlaf auf ſeinem Schmerzenslager. Der Pfeil war bis ins Mark des Gebeines eingedrungen und die Wunde durch die Wirkung des ſcheußlichen Giftes, in das die Pfeile des Herkules getaucht waren, ganz ſchwarz vor Fäulniß. Kein Arzt vermochte zu helfen, ob ſie gleich Mittel aller Art anwandten. Da erinnerte ſich der Ver¬ wundete eines Orakelſpruches, daß ihm einſt in der grö߬ ten Noth nur ſeine verſtoßene Gattin Oenone helfen könne, mit welcher er, als er noch Hirte auf dem Ida war, glückliche Tage verlebt hatte. Aus dem eigenen Munde der Gattin hatte er damals, als er nach Grie¬ chenland zog, dieſe Wahrſagung vernommen. So ließ er ſich denn jetzt ungerne, aber von der harten Qual ge¬ zwungen, dem Berge Ida, wo ſeine erſte Gemahlin noch immer wohnte, zutragen. Von dem Gipfel des Berges herab krächzten Unglücksvögel, als die Diener mit ihm hinanſtiegen. Ihre Stimme füllte ihn bald mit Entſetzen, bald trieb ihn wieder die Lebenshoffnung, ſie zu verachten. So kam er in der Wohnung ſeiner Gattin an. Die

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/417>, abgerufen am 22.11.2024.