um seinetwillen und ihm vor den Augen der Sohn er¬ schlagen wurde. Doch behielt er Besinnung genug, einen andern seiner Söhne, Thrasymedes, herbeizurufen, damit er den Mörder von dem Leichname seines Bruders hin¬ wegscheuche. Dieser vernahm den Ruf im Getümmel der Schlacht und zugleich mit ihm machte sich Pheres auf, den tobenden Sohn der Aurora zu bekämpfen. Memnon ließ sie voll Zuversicht nahen, und alle ihre Speere flo¬ gen an seiner, Rüstung vorüber, die ihm die göttliche Mutter gefeyet hatte. Doch erreichten sie immer ein Ziel, nur ein andres, als wofür sie bestimmt waren, und Beide trafen mit ihren Geschossen feindliche Helden. Wäh¬ rend dessen fing Memnon an, den getödteten Antilochus seiner Rüstung zu berauben, und die griechischen Streiter umkreisten den Gefallenen vergebens, wie heulende Scha¬ kale einen Hirsch, den der Löwe zerreißt. Nestor, als er dieß erblickte, jammerte laut auf, rief seinen übrigen Freun¬ den, ja sprang selbst vom Wagen herab und wollte mit schwindenden Greiseskräften für den Leichnam des Soh¬ nes kämpfen. Doch Memnon, als er ihn kommen sah, wandte sich freiwillig von ihm ab, ehrfurchtsvoll, als sähe er einen Vater nahen. "Greis," sprach er, "mir ziemt nicht den Kampf mit dir zu versuchen! Von ferne hielt ich dich für einen jungen kriegerischen Mann, darum zielte meine Lanze nach dir; nun aber sehe ich, daß du weit älter bist. Meide den Kampf, weiche, daß ich dich nicht mit widerstrebendem Herzen fälle und du zu deinem Sohne in den Staub sinkest! Würde man dich doch einen Tho¬ ren schelten, wenn du in so ungleichen Kampf dich gewagt hättest!" Nestor aber antwortete: "Das sind nichtige Worte, die du da geredet, Memnon! Kein Mensch heißt
um ſeinetwillen und ihm vor den Augen der Sohn er¬ ſchlagen wurde. Doch behielt er Beſinnung genug, einen andern ſeiner Söhne, Thraſymedes, herbeizurufen, damit er den Mörder von dem Leichname ſeines Bruders hin¬ wegſcheuche. Dieſer vernahm den Ruf im Getümmel der Schlacht und zugleich mit ihm machte ſich Pheres auf, den tobenden Sohn der Aurora zu bekämpfen. Memnon ließ ſie voll Zuverſicht nahen, und alle ihre Speere flo¬ gen an ſeiner, Rüſtung vorüber, die ihm die göttliche Mutter gefeyet hatte. Doch erreichten ſie immer ein Ziel, nur ein andres, als wofür ſie beſtimmt waren, und Beide trafen mit ihren Geſchoſſen feindliche Helden. Wäh¬ rend deſſen fing Memnon an, den getödteten Antilochus ſeiner Rüſtung zu berauben, und die griechiſchen Streiter umkreisten den Gefallenen vergebens, wie heulende Scha¬ kale einen Hirſch, den der Löwe zerreißt. Neſtor, als er dieß erblickte, jammerte laut auf, rief ſeinen übrigen Freun¬ den, ja ſprang ſelbſt vom Wagen herab und wollte mit ſchwindenden Greiſeskräften für den Leichnam des Soh¬ nes kämpfen. Doch Memnon, als er ihn kommen ſah, wandte ſich freiwillig von ihm ab, ehrfurchtsvoll, als ſähe er einen Vater nahen. „Greis,“ ſprach er, „mir ziemt nicht den Kampf mit dir zu verſuchen! Von ferne hielt ich dich für einen jungen kriegeriſchen Mann, darum zielte meine Lanze nach dir; nun aber ſehe ich, daß du weit älter biſt. Meide den Kampf, weiche, daß ich dich nicht mit widerſtrebendem Herzen fälle und du zu deinem Sohne in den Staub ſinkeſt! Würde man dich doch einen Tho¬ ren ſchelten, wenn du in ſo ungleichen Kampf dich gewagt hätteſt!“ Neſtor aber antwortete: „Das ſind nichtige Worte, die du da geredet, Memnon! Kein Menſch heißt
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um ſeinetwillen und ihm vor den Augen der Sohn er¬
ſchlagen wurde. Doch behielt er Beſinnung genug, einen
andern ſeiner Söhne, Thraſymedes, herbeizurufen, damit
er den Mörder von dem Leichname ſeines Bruders hin¬
wegſcheuche. Dieſer vernahm den Ruf im Getümmel der
Schlacht und zugleich mit ihm machte ſich Pheres auf,
den tobenden Sohn der Aurora zu bekämpfen. Memnon
ließ ſie voll Zuverſicht nahen, und alle ihre Speere flo¬
gen an ſeiner, Rüſtung vorüber, die ihm die göttliche
Mutter gefeyet hatte. Doch erreichten ſie immer ein
Ziel, nur ein andres, als wofür ſie beſtimmt waren, und
Beide trafen mit ihren Geſchoſſen feindliche Helden. Wäh¬
rend deſſen fing Memnon an, den getödteten Antilochus
ſeiner Rüſtung zu berauben, und die griechiſchen Streiter
umkreisten den Gefallenen vergebens, wie heulende Scha¬
kale einen Hirſch, den der Löwe zerreißt. Neſtor, als er
dieß erblickte, jammerte laut auf, rief ſeinen übrigen Freun¬
den, ja ſprang ſelbſt vom Wagen herab und wollte mit
ſchwindenden Greiſeskräften für den Leichnam des Soh¬
nes kämpfen. Doch Memnon, als er ihn kommen ſah,
wandte ſich freiwillig von ihm ab, ehrfurchtsvoll, als ſähe
er einen Vater nahen. „Greis,“ ſprach er, „mir ziemt
nicht den Kampf mit dir zu verſuchen! Von ferne hielt
ich dich für einen jungen kriegeriſchen Mann, darum zielte
meine Lanze nach dir; nun aber ſehe ich, daß du weit
älter biſt. Meide den Kampf, weiche, daß ich dich nicht
mit widerſtrebendem Herzen fälle und du zu deinem Sohne
in den Staub ſinkeſt! Würde man dich doch einen Tho¬
ren ſchelten, wenn du in ſo ungleichen Kampf dich gewagt
hätteſt!“ Neſtor aber antwortete: „Das ſind nichtige
Worte, die du da geredet, Memnon! Kein Menſch heißt
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/360>, abgerufen am 25.11.2024.
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