liegen mag, so lasse sich doch Keiner von euch einfallen, sich mir deßhalb mit Bitten zu nahen, und für einen Sohn oder einen Freund zu flehen: denn die Schicksals¬ göttinnen sind unerbittlich, für mich wie für euch!
Keiner der Unsterblichen wagte es, dem Göttervater zu widersprechen; schweigend verließen sie das Mahl und Jeder in seinem Hause warf sich traurig auf das Lager, bis auch der Götter sich der Schlaf erbarmte.
Am andern Morgen stieg Aurora nur widerstrebend am Himmel auf, denn auch sie hatte das Wort Jupiters vernommen und ihr Herz sagte ihr voraus, welch ein Schicksal ihrem geliebten Sohne Memnon bevorstand. Dieser aber war schon in aller Frühe erwacht, als kaum die Gestirne bleichten; er schüttelte sich den Schlaf, den letzten auf Erden, von den Wimpern, und sprang vom Lager voll Sehnen, den entscheidenden Kampf für seine Freunde mit den Griechen zu beginnen. Auch die Trojaner warfen sich in ihre Rüstungen, und mit ihnen die zahllosen Gäste aus Aethiopien. Ohne sich lange zu verweilen, strömten die Schaaren Sturmgewölke gleich, das vom Winde ge¬ trieben wird, zu den Thoren hinaus aufs Blachfeld; die ganze Straße wogte von dichtem Gedränge, und der Staub erhob sich unter ihren Füßen.
Als die Griechen sie aus der Ferne heranziehen sa¬ hen, staunten sie, waffneten sich in Eile und zogen aus: Achilles, auf welchen sie vertrauten, in ihrer Mitte, stolz auf seinem Wagen stehend, wie ein Titane und gleich einem Donnergeschoß in Jupiters Hand. Aber in der Mitte des trojanischen Heeres zog nicht minder herrlich Memnon einher, dem Kriegsgotte selber zu vergleichen; und sein unendliches Volk, gehorsam und kampflustig, hatte
liegen mag, ſo laſſe ſich doch Keiner von euch einfallen, ſich mir deßhalb mit Bitten zu nahen, und für einen Sohn oder einen Freund zu flehen: denn die Schickſals¬ göttinnen ſind unerbittlich, für mich wie für euch!
Keiner der Unſterblichen wagte es, dem Göttervater zu widerſprechen; ſchweigend verließen ſie das Mahl und Jeder in ſeinem Hauſe warf ſich traurig auf das Lager, bis auch der Götter ſich der Schlaf erbarmte.
Am andern Morgen ſtieg Aurora nur widerſtrebend am Himmel auf, denn auch ſie hatte das Wort Jupiters vernommen und ihr Herz ſagte ihr voraus, welch ein Schickſal ihrem geliebten Sohne Memnon bevorſtand. Dieſer aber war ſchon in aller Frühe erwacht, als kaum die Geſtirne bleichten; er ſchüttelte ſich den Schlaf, den letzten auf Erden, von den Wimpern, und ſprang vom Lager voll Sehnen, den entſcheidenden Kampf für ſeine Freunde mit den Griechen zu beginnen. Auch die Trojaner warfen ſich in ihre Rüſtungen, und mit ihnen die zahlloſen Gäſte aus Aethiopien. Ohne ſich lange zu verweilen, ſtrömten die Schaaren Sturmgewölke gleich, das vom Winde ge¬ trieben wird, zu den Thoren hinaus aufs Blachfeld; die ganze Straße wogte von dichtem Gedränge, und der Staub erhob ſich unter ihren Füßen.
Als die Griechen ſie aus der Ferne heranziehen ſa¬ hen, ſtaunten ſie, waffneten ſich in Eile und zogen aus: Achilles, auf welchen ſie vertrauten, in ihrer Mitte, ſtolz auf ſeinem Wagen ſtehend, wie ein Titane und gleich einem Donnergeſchoß in Jupiters Hand. Aber in der Mitte des trojaniſchen Heeres zog nicht minder herrlich Memnon einher, dem Kriegsgotte ſelber zu vergleichen; und ſein unendliches Volk, gehorſam und kampfluſtig, hatte
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0358"n="336"/>
liegen mag, ſo laſſe ſich doch Keiner von euch einfallen,<lb/>ſich mir deßhalb mit Bitten zu nahen, und für einen<lb/>
Sohn oder einen Freund zu flehen: denn die Schickſals¬<lb/>
göttinnen ſind unerbittlich, für mich wie für euch!</p><lb/><p>Keiner der Unſterblichen wagte es, dem Göttervater<lb/>
zu widerſprechen; ſchweigend verließen ſie das Mahl und<lb/>
Jeder in ſeinem Hauſe warf ſich traurig auf das Lager,<lb/>
bis auch der Götter ſich der Schlaf erbarmte.</p><lb/><p>Am andern Morgen ſtieg Aurora nur widerſtrebend<lb/>
am Himmel auf, denn auch ſie hatte das Wort Jupiters<lb/>
vernommen und ihr Herz ſagte ihr voraus, welch ein Schickſal<lb/>
ihrem geliebten Sohne Memnon bevorſtand. Dieſer aber<lb/>
war ſchon in aller Frühe erwacht, als kaum die Geſtirne<lb/>
bleichten; er ſchüttelte ſich den Schlaf, den letzten auf<lb/>
Erden, von den Wimpern, und ſprang vom Lager voll<lb/>
Sehnen, den entſcheidenden Kampf für ſeine Freunde mit<lb/>
den Griechen zu beginnen. Auch die Trojaner warfen<lb/>ſich in ihre Rüſtungen, und mit ihnen die zahlloſen Gäſte<lb/>
aus Aethiopien. Ohne ſich lange zu verweilen, ſtrömten<lb/>
die Schaaren Sturmgewölke gleich, das vom Winde ge¬<lb/>
trieben wird, zu den Thoren hinaus aufs Blachfeld; die<lb/>
ganze Straße wogte von dichtem Gedränge, und der<lb/>
Staub erhob ſich unter ihren Füßen.</p><lb/><p>Als die Griechen ſie aus der Ferne heranziehen ſa¬<lb/>
hen, ſtaunten ſie, waffneten ſich in Eile und zogen aus:<lb/>
Achilles, auf welchen ſie vertrauten, in ihrer Mitte, ſtolz<lb/>
auf ſeinem Wagen ſtehend, wie ein Titane und gleich<lb/>
einem Donnergeſchoß in Jupiters Hand. Aber in der<lb/>
Mitte des trojaniſchen Heeres zog nicht minder herrlich<lb/>
Memnon einher, dem Kriegsgotte ſelber zu vergleichen;<lb/>
und ſein unendliches Volk, gehorſam und kampfluſtig, hatte<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[336/0358]
liegen mag, ſo laſſe ſich doch Keiner von euch einfallen,
ſich mir deßhalb mit Bitten zu nahen, und für einen
Sohn oder einen Freund zu flehen: denn die Schickſals¬
göttinnen ſind unerbittlich, für mich wie für euch!
Keiner der Unſterblichen wagte es, dem Göttervater
zu widerſprechen; ſchweigend verließen ſie das Mahl und
Jeder in ſeinem Hauſe warf ſich traurig auf das Lager,
bis auch der Götter ſich der Schlaf erbarmte.
Am andern Morgen ſtieg Aurora nur widerſtrebend
am Himmel auf, denn auch ſie hatte das Wort Jupiters
vernommen und ihr Herz ſagte ihr voraus, welch ein Schickſal
ihrem geliebten Sohne Memnon bevorſtand. Dieſer aber
war ſchon in aller Frühe erwacht, als kaum die Geſtirne
bleichten; er ſchüttelte ſich den Schlaf, den letzten auf
Erden, von den Wimpern, und ſprang vom Lager voll
Sehnen, den entſcheidenden Kampf für ſeine Freunde mit
den Griechen zu beginnen. Auch die Trojaner warfen
ſich in ihre Rüſtungen, und mit ihnen die zahlloſen Gäſte
aus Aethiopien. Ohne ſich lange zu verweilen, ſtrömten
die Schaaren Sturmgewölke gleich, das vom Winde ge¬
trieben wird, zu den Thoren hinaus aufs Blachfeld; die
ganze Straße wogte von dichtem Gedränge, und der
Staub erhob ſich unter ihren Füßen.
Als die Griechen ſie aus der Ferne heranziehen ſa¬
hen, ſtaunten ſie, waffneten ſich in Eile und zogen aus:
Achilles, auf welchen ſie vertrauten, in ihrer Mitte, ſtolz
auf ſeinem Wagen ſtehend, wie ein Titane und gleich
einem Donnergeſchoß in Jupiters Hand. Aber in der
Mitte des trojaniſchen Heeres zog nicht minder herrlich
Memnon einher, dem Kriegsgotte ſelber zu vergleichen;
und ſein unendliches Volk, gehorſam und kampfluſtig, hatte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/358>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.