beide miteinander auf die Masse des feindlichen Heers, und mit geringer Mühe waren die noch jüngst so dicht stehenden Reihen der Feinde gelichtet.
Als Penthesilea dieß inne ward, stürzte sie muthig ihren beiden mächtigsten Feinden entgegen, wie ein Pan¬ therthier den Jägern entgegen eilt. Jene aber reckten sich, daß ihre ehernen Panzer klirrten, und hielten ihre Lan¬ zen empor. Die Amazone warf ihren Speer zuerst auf Achilles. Der Schild des Helden fing ihn auf, daß er zersplitternd abprallte, als wäre er auf einen Felsen ge¬ stoßen. Mit der zweiten Lanze zielte sie jetzt auf Ajax, und zugleich rief sie beiden Helden zu: "Wenn auch mein erster Wurf mißlang, dieser zweite soll euch Prahlern Kraft und Leben rauben, die ihr euch rühmet, die Stärk¬ sten im Heere der Danaer zu seyn, aber jetzt nur herge¬ kommen seyd, um zu erfahren, daß ein Weib mehr ver¬ mag, als ihr beide zusammen!" So rief sie, und brachte durch ihre Rede die Helden zum Lachen. Ihre Lanze aber erreichte die silberne Beinschiene des Ajax, und so gerne sie in seinem Blute geschwelgt hätte, vermochte sie doch nicht einmal seine Haut zu ritzen, denn die Waffe prallte von der ehernen Fußbekleidung ab. Ajax, ohne sich viel um die Amazone zu bekümmern, stürzte sich auf die Schlachtreihen der Trojaner, und überließ dem Achilles die Feindin, denn er zweifelte in seinem Geiste keinen Augenblick, daß dieser allein mit ihr fertig werden würde, so bald, wie ein Habicht mit der Taube.
Penthesilea, als sie sah, daß auch ihr zweiter Wurf ohne Erfolg geblieben, stieß einen lauten Seufzer aus; Achilles aber maß sie mit seinen Blicken, und rief ihr zu: "Sage mir, Weib, wie hast du dich erdreisten können,
beide miteinander auf die Maſſe des feindlichen Heers, und mit geringer Mühe waren die noch jüngſt ſo dicht ſtehenden Reihen der Feinde gelichtet.
Als Pentheſiléa dieß inne ward, ſtürzte ſie muthig ihren beiden mächtigſten Feinden entgegen, wie ein Pan¬ therthier den Jägern entgegen eilt. Jene aber reckten ſich, daß ihre ehernen Panzer klirrten, und hielten ihre Lan¬ zen empor. Die Amazone warf ihren Speer zuerſt auf Achilles. Der Schild des Helden fing ihn auf, daß er zerſplitternd abprallte, als wäre er auf einen Felſen ge¬ ſtoßen. Mit der zweiten Lanze zielte ſie jetzt auf Ajax, und zugleich rief ſie beiden Helden zu: „Wenn auch mein erſter Wurf mißlang, dieſer zweite ſoll euch Prahlern Kraft und Leben rauben, die ihr euch rühmet, die Stärk¬ ſten im Heere der Danaer zu ſeyn, aber jetzt nur herge¬ kommen ſeyd, um zu erfahren, daß ein Weib mehr ver¬ mag, als ihr beide zuſammen!“ So rief ſie, und brachte durch ihre Rede die Helden zum Lachen. Ihre Lanze aber erreichte die ſilberne Beinſchiene des Ajax, und ſo gerne ſie in ſeinem Blute geſchwelgt hätte, vermochte ſie doch nicht einmal ſeine Haut zu ritzen, denn die Waffe prallte von der ehernen Fußbekleidung ab. Ajax, ohne ſich viel um die Amazone zu bekümmern, ſtürzte ſich auf die Schlachtreihen der Trojaner, und überließ dem Achilles die Feindin, denn er zweifelte in ſeinem Geiſte keinen Augenblick, daß dieſer allein mit ihr fertig werden würde, ſo bald, wie ein Habicht mit der Taube.
Pentheſiléa, als ſie ſah, daß auch ihr zweiter Wurf ohne Erfolg geblieben, ſtieß einen lauten Seufzer aus; Achilles aber maß ſie mit ſeinen Blicken, und rief ihr zu: „Sage mir, Weib, wie haſt du dich erdreiſten können,
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beide miteinander auf die Maſſe des feindlichen Heers,
und mit geringer Mühe waren die noch jüngſt ſo dicht
ſtehenden Reihen der Feinde gelichtet.
Als Pentheſiléa dieß inne ward, ſtürzte ſie muthig
ihren beiden mächtigſten Feinden entgegen, wie ein Pan¬
therthier den Jägern entgegen eilt. Jene aber reckten ſich,
daß ihre ehernen Panzer klirrten, und hielten ihre Lan¬
zen empor. Die Amazone warf ihren Speer zuerſt auf
Achilles. Der Schild des Helden fing ihn auf, daß er
zerſplitternd abprallte, als wäre er auf einen Felſen ge¬
ſtoßen. Mit der zweiten Lanze zielte ſie jetzt auf Ajax,
und zugleich rief ſie beiden Helden zu: „Wenn auch mein
erſter Wurf mißlang, dieſer zweite ſoll euch Prahlern
Kraft und Leben rauben, die ihr euch rühmet, die Stärk¬
ſten im Heere der Danaer zu ſeyn, aber jetzt nur herge¬
kommen ſeyd, um zu erfahren, daß ein Weib mehr ver¬
mag, als ihr beide zuſammen!“ So rief ſie, und brachte
durch ihre Rede die Helden zum Lachen. Ihre Lanze aber
erreichte die ſilberne Beinſchiene des Ajax, und ſo gerne
ſie in ſeinem Blute geſchwelgt hätte, vermochte ſie doch nicht
einmal ſeine Haut zu ritzen, denn die Waffe prallte von der
ehernen Fußbekleidung ab. Ajax, ohne ſich viel um die
Amazone zu bekümmern, ſtürzte ſich auf die Schlachtreihen
der Trojaner, und überließ dem Achilles die Feindin, denn
er zweifelte in ſeinem Geiſte keinen Augenblick, daß dieſer
allein mit ihr fertig werden würde, ſo bald, wie ein
Habicht mit der Taube.
Pentheſiléa, als ſie ſah, daß auch ihr zweiter Wurf
ohne Erfolg geblieben, ſtieß einen lauten Seufzer aus;
Achilles aber maß ſie mit ſeinen Blicken, und rief ihr zu:
„Sage mir, Weib, wie haſt du dich erdreiſten können,
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/348>, abgerufen am 25.11.2024.
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