dich so übermüthig uns entgegen zu werfen, und uns, die gewaltigsten Helden der ganzen Erde, zu bekämpfen, uns, die wir vom Blute des Donnerers selbst entsprossen sind, und vor welchen Hektor bebte und erlegen ist? Der Wahnsinn muß aus dir gesprochen haben, als dein Mund uns heute mit dem Tode bedrohte; denn siehe, dein eignes letztes Stündlein ist jetzt gekommen." Mit diesen Wor¬ ten drang er auf sie ein, die unbezwingliche Lanze, das Werk des Centauren Chiron, seines Erziehers, in der Rechten schwingend. Ihr Wurf traf die Kriegerin ober¬ halb der rechten Brust, so tief, daß alsbald das schwarze Blut aus der Wunde strömte und alle Kraft ihre Glieder verließ. Die Axt fiel ihr aus der Rechten, und ihr Auge hüllte sich in Finsterniß. Doch erholte sie sich noch einmal und sah ihrem Feinde, der eben heranstürmte, sie vom flücht'gen Rosse zu ziehen, fest ins Antlitz. Sie besann sich einen Augenblick, ob sie ihr Schwert aus der Scheide ziehen und sich wehren, oder vom Rosse steigen und zu dem Sieger flehend ihm Gold und Erz genug für ihr Leben versprechen sollte. Aber Achilles ließ ihr keine Zeit, sich zu besinnen. Im Zorn über ihren Stolz durchbohrte er Roß und Reiterin mit Einem Stoße. Alsbald glitt diese herab und sank in den Staub und ins Verderben, am Speere zuckend und mit dem Rücken an das flüchtige Streitroß angelehnt, das sterbend auf den Knieen lag; sie selbst einer schlanken Tanne gleich, die der Nordwind geknickt hat.
Als die Trojaner den Fall ihrer Heldin gewahr wur¬ den, stürzten sie voll Betäubung zurück nach den Tho¬ ren der Stadt, wehklagend über den Tod der Amazone und ihrer eigenen, vielen Stammesverwandten. Der
dich ſo übermüthig uns entgegen zu werfen, und uns, die gewaltigſten Helden der ganzen Erde, zu bekämpfen, uns, die wir vom Blute des Donnerers ſelbſt entſproſſen ſind, und vor welchen Hektor bebte und erlegen iſt? Der Wahnſinn muß aus dir geſprochen haben, als dein Mund uns heute mit dem Tode bedrohte; denn ſiehe, dein eignes letztes Stündlein iſt jetzt gekommen.“ Mit dieſen Wor¬ ten drang er auf ſie ein, die unbezwingliche Lanze, das Werk des Centauren Chiron, ſeines Erziehers, in der Rechten ſchwingend. Ihr Wurf traf die Kriegerin ober¬ halb der rechten Bruſt, ſo tief, daß alsbald das ſchwarze Blut aus der Wunde ſtrömte und alle Kraft ihre Glieder verließ. Die Axt fiel ihr aus der Rechten, und ihr Auge hüllte ſich in Finſterniß. Doch erholte ſie ſich noch einmal und ſah ihrem Feinde, der eben heranſtürmte, ſie vom flücht'gen Roſſe zu ziehen, feſt ins Antlitz. Sie beſann ſich einen Augenblick, ob ſie ihr Schwert aus der Scheide ziehen und ſich wehren, oder vom Roſſe ſteigen und zu dem Sieger flehend ihm Gold und Erz genug für ihr Leben verſprechen ſollte. Aber Achilles ließ ihr keine Zeit, ſich zu beſinnen. Im Zorn über ihren Stolz durchbohrte er Roß und Reiterin mit Einem Stoße. Alsbald glitt dieſe herab und ſank in den Staub und ins Verderben, am Speere zuckend und mit dem Rücken an das flüchtige Streitroß angelehnt, das ſterbend auf den Knieen lag; ſie ſelbſt einer ſchlanken Tanne gleich, die der Nordwind geknickt hat.
Als die Trojaner den Fall ihrer Heldin gewahr wur¬ den, ſtürzten ſie voll Betäubung zurück nach den Tho¬ ren der Stadt, wehklagend über den Tod der Amazone und ihrer eigenen, vielen Stammesverwandten. Der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0349"n="327"/>
dich ſo übermüthig uns entgegen zu werfen, und uns, die<lb/>
gewaltigſten Helden der ganzen Erde, zu bekämpfen, uns,<lb/>
die wir vom Blute des Donnerers ſelbſt entſproſſen ſind,<lb/>
und vor welchen Hektor bebte und erlegen iſt? Der<lb/>
Wahnſinn muß aus dir geſprochen haben, als dein Mund<lb/>
uns heute mit dem Tode bedrohte; denn ſiehe, dein eignes<lb/>
letztes Stündlein iſt jetzt gekommen.“ Mit dieſen Wor¬<lb/>
ten drang er auf ſie ein, die unbezwingliche Lanze, das<lb/>
Werk des Centauren Chiron, ſeines Erziehers, in der<lb/>
Rechten ſchwingend. Ihr Wurf traf die Kriegerin ober¬<lb/>
halb der rechten Bruſt, ſo tief, daß alsbald das ſchwarze<lb/>
Blut aus der Wunde ſtrömte und alle Kraft ihre Glieder<lb/>
verließ. Die Axt fiel ihr aus der Rechten, und ihr Auge<lb/>
hüllte ſich in Finſterniß. Doch erholte ſie ſich noch einmal<lb/>
und ſah ihrem Feinde, der eben heranſtürmte, ſie vom<lb/>
flücht'gen Roſſe zu ziehen, feſt ins Antlitz. Sie beſann<lb/>ſich einen Augenblick, ob ſie ihr Schwert aus der Scheide<lb/>
ziehen und ſich wehren, oder vom Roſſe ſteigen und zu<lb/>
dem Sieger flehend ihm Gold und Erz genug für ihr<lb/>
Leben verſprechen ſollte. Aber Achilles ließ ihr keine Zeit,<lb/>ſich zu beſinnen. Im Zorn über ihren Stolz durchbohrte<lb/>
er Roß und Reiterin mit Einem Stoße. Alsbald glitt dieſe<lb/>
herab und ſank in den Staub und ins Verderben,<lb/>
am Speere zuckend und mit dem Rücken an das flüchtige<lb/>
Streitroß angelehnt, das ſterbend auf den Knieen lag;<lb/>ſie ſelbſt einer ſchlanken Tanne gleich, die der Nordwind<lb/>
geknickt hat.</p><lb/><p>Als die Trojaner den Fall ihrer Heldin gewahr wur¬<lb/>
den, ſtürzten ſie voll Betäubung zurück nach den Tho¬<lb/>
ren der Stadt, wehklagend über den Tod der Amazone<lb/>
und ihrer eigenen, vielen Stammesverwandten. Der<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[327/0349]
dich ſo übermüthig uns entgegen zu werfen, und uns, die
gewaltigſten Helden der ganzen Erde, zu bekämpfen, uns,
die wir vom Blute des Donnerers ſelbſt entſproſſen ſind,
und vor welchen Hektor bebte und erlegen iſt? Der
Wahnſinn muß aus dir geſprochen haben, als dein Mund
uns heute mit dem Tode bedrohte; denn ſiehe, dein eignes
letztes Stündlein iſt jetzt gekommen.“ Mit dieſen Wor¬
ten drang er auf ſie ein, die unbezwingliche Lanze, das
Werk des Centauren Chiron, ſeines Erziehers, in der
Rechten ſchwingend. Ihr Wurf traf die Kriegerin ober¬
halb der rechten Bruſt, ſo tief, daß alsbald das ſchwarze
Blut aus der Wunde ſtrömte und alle Kraft ihre Glieder
verließ. Die Axt fiel ihr aus der Rechten, und ihr Auge
hüllte ſich in Finſterniß. Doch erholte ſie ſich noch einmal
und ſah ihrem Feinde, der eben heranſtürmte, ſie vom
flücht'gen Roſſe zu ziehen, feſt ins Antlitz. Sie beſann
ſich einen Augenblick, ob ſie ihr Schwert aus der Scheide
ziehen und ſich wehren, oder vom Roſſe ſteigen und zu
dem Sieger flehend ihm Gold und Erz genug für ihr
Leben verſprechen ſollte. Aber Achilles ließ ihr keine Zeit,
ſich zu beſinnen. Im Zorn über ihren Stolz durchbohrte
er Roß und Reiterin mit Einem Stoße. Alsbald glitt dieſe
herab und ſank in den Staub und ins Verderben,
am Speere zuckend und mit dem Rücken an das flüchtige
Streitroß angelehnt, das ſterbend auf den Knieen lag;
ſie ſelbſt einer ſchlanken Tanne gleich, die der Nordwind
geknickt hat.
Als die Trojaner den Fall ihrer Heldin gewahr wur¬
den, ſtürzten ſie voll Betäubung zurück nach den Tho¬
ren der Stadt, wehklagend über den Tod der Amazone
und ihrer eigenen, vielen Stammesverwandten. Der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/349>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.