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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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sich auf seinen Fittigen, den Augen des Königssohnes ent¬
schwebend, über das enge Thal empor. Seine Worte
hatten dem blöden Hirten Muth eingeflößt, er wagte es,
den schüchtern gesenkten Blick zu erheben und die göttlichen
Gestalten, die in überirdischer Größe und Schönheit seines
Spruches gewärtig vor ihm standen, zu mustern. Der
erste Anblick schien ihm zu sagen, daß eine wie die andere
werth sey, den Preis der Schönheit davon zu tragen:
doch gefiel ihm jetzt die eine Göttin mehr, jetzt die andere,
so wie er länger auf einer der herrlichen Gestalten ver¬
weilt hatte. Nur schien ihm allmählig eine, die jüngste
und zärteste, holder und liebenswerther als die andern,
und ihm war, als ob aus ihren Augen ein Netz von
Liebesstrahlen ausgehend, sich ihm um Blick und Stirne
spänne. Indessen hub die stolzeste der drei Frauen, die
an Wuchs und Hoheit über die beiden andern hervorragte,
dem Jünglinge gegenüber an: "Ich bin Juno, die Schwe¬
ster und Gemahlin Jupiters. Wenn du diesen goldenen
Apfel, welchen Eris, die Göttin der Zwietracht, beim Hoch¬
zeitmahle der Thetis und des Peleus unter die Gäste
warf, mit der Aufschrift: "der Schönsten," mir zuerkennest,
so soll dir, ob du gleich nur ein aus dem Königspallaste
verstoßener Hirte bist, die Herrschaft über das schönste
Reich der Erde nicht fehlen." -- "Ich bin Pallas, die
Göttin der Weisheit," sprach die andere mit der reinen,
gewölbten Stirne, den tiefblauen Augen und dem jung¬
fräulichen Ernst im schönen Antlitz; "wenn du mir den
Sieg zuerkennst, sollst du den höchsten Ruhm der Weisheit
und Männertugend unter den Menschen ärnten!" Da
schaute die dritte, die bisher immer nur mit den Augen
gesprochen hatte, den Hirten mit einem süßen Lächeln

ſich auf ſeinen Fittigen, den Augen des Königsſohnes ent¬
ſchwebend, über das enge Thal empor. Seine Worte
hatten dem blöden Hirten Muth eingeflößt, er wagte es,
den ſchüchtern geſenkten Blick zu erheben und die göttlichen
Geſtalten, die in überirdiſcher Größe und Schönheit ſeines
Spruches gewärtig vor ihm ſtanden, zu muſtern. Der
erſte Anblick ſchien ihm zu ſagen, daß eine wie die andere
werth ſey, den Preis der Schönheit davon zu tragen:
doch gefiel ihm jetzt die eine Göttin mehr, jetzt die andere,
ſo wie er länger auf einer der herrlichen Geſtalten ver¬
weilt hatte. Nur ſchien ihm allmählig eine, die jüngſte
und zärteſte, holder und liebenswerther als die andern,
und ihm war, als ob aus ihren Augen ein Netz von
Liebesſtrahlen ausgehend, ſich ihm um Blick und Stirne
ſpänne. Indeſſen hub die ſtolzeſte der drei Frauen, die
an Wuchs und Hoheit über die beiden andern hervorragte,
dem Jünglinge gegenüber an: „Ich bin Juno, die Schwe¬
ſter und Gemahlin Jupiters. Wenn du dieſen goldenen
Apfel, welchen Eris, die Göttin der Zwietracht, beim Hoch¬
zeitmahle der Thetis und des Peleus unter die Gäſte
warf, mit der Aufſchrift: „der Schönſten,“ mir zuerkenneſt,
ſo ſoll dir, ob du gleich nur ein aus dem Königspallaſte
verſtoßener Hirte biſt, die Herrſchaft über das ſchönſte
Reich der Erde nicht fehlen.“ — „Ich bin Pallas, die
Göttin der Weisheit,“ ſprach die andere mit der reinen,
gewölbten Stirne, den tiefblauen Augen und dem jung¬
fräulichen Ernſt im ſchönen Antlitz; „wenn du mir den
Sieg zuerkennſt, ſollſt du den höchſten Ruhm der Weisheit
und Männertugend unter den Menſchen ärnten!“ Da
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[9/0031] ſich auf ſeinen Fittigen, den Augen des Königsſohnes ent¬ ſchwebend, über das enge Thal empor. Seine Worte hatten dem blöden Hirten Muth eingeflößt, er wagte es, den ſchüchtern geſenkten Blick zu erheben und die göttlichen Geſtalten, die in überirdiſcher Größe und Schönheit ſeines Spruches gewärtig vor ihm ſtanden, zu muſtern. Der erſte Anblick ſchien ihm zu ſagen, daß eine wie die andere werth ſey, den Preis der Schönheit davon zu tragen: doch gefiel ihm jetzt die eine Göttin mehr, jetzt die andere, ſo wie er länger auf einer der herrlichen Geſtalten ver¬ weilt hatte. Nur ſchien ihm allmählig eine, die jüngſte und zärteſte, holder und liebenswerther als die andern, und ihm war, als ob aus ihren Augen ein Netz von Liebesſtrahlen ausgehend, ſich ihm um Blick und Stirne ſpänne. Indeſſen hub die ſtolzeſte der drei Frauen, die an Wuchs und Hoheit über die beiden andern hervorragte, dem Jünglinge gegenüber an: „Ich bin Juno, die Schwe¬ ſter und Gemahlin Jupiters. Wenn du dieſen goldenen Apfel, welchen Eris, die Göttin der Zwietracht, beim Hoch¬ zeitmahle der Thetis und des Peleus unter die Gäſte warf, mit der Aufſchrift: „der Schönſten,“ mir zuerkenneſt, ſo ſoll dir, ob du gleich nur ein aus dem Königspallaſte verſtoßener Hirte biſt, die Herrſchaft über das ſchönſte Reich der Erde nicht fehlen.“ — „Ich bin Pallas, die Göttin der Weisheit,“ ſprach die andere mit der reinen, gewölbten Stirne, den tiefblauen Augen und dem jung¬ fräulichen Ernſt im ſchönen Antlitz; „wenn du mir den Sieg zuerkennſt, ſollſt du den höchſten Ruhm der Weisheit und Männertugend unter den Menſchen ärnten!“ Da ſchaute die dritte, die bisher immer nur mit den Augen geſprochen hatte, den Hirten mit einem ſüßen Lächeln

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/31>, abgerufen am 24.11.2024.