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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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Sohne übergeben, als er zu altern anfing. Aber der
Sohn sollte nicht alt werden in den Waffen des Vaters.

Als der Herr der Götter und Menschen aus der
Höhe zuschaute, wie Hektor die Waffen des göttergleichen
Helden Achilles anlegte, schüttelte er mit trübem Ernste
sein Haupt und sprach in seines Herzens Tiefe: "Du
Armer, du ahnest doch auch gar nichts von dem Todes¬
geschicke, das schon an deiner Seite geht. Du hast dem
erhabenen Helden, vor dem auch Andere zittern, seinen
geliebten Freund erschlagen, hast ihm von Haupt und
Schultern die Rüstung abgezogen, und schmückst dich jetzt
mit der unsterblichen Wehr des Sohnes der Göttin. Den¬
noch, weil dich keine Wiederkehr aus der Schlacht erwar¬
tet, und dir deine Gattin Andromache diese schönen Waf¬
fen nicht ablösen, und dich nie mehr begrüßen wird, so
will ich dir zur Entschädigung noch Einmal Siegesruhm
verleihen." Als Jupiter so sprach, schloß sich die Rüstung
enger an Hektors Leib, der kriegerische Geist des Mars
durchdrang ihn, seine Glieder strotzten ihm innerlich von
Kraft und Stärke. Mit lautem Zuruf sprengte er zu den
Bundesgenossen und führte sie ermunternd, mit erhöhten
Lanzen, gegen den Feind. Da entbrannte der Kampf
aufs Neue um des Patroklus Leiche, und Hektor wüthete
so mit Morden, daß Ajax selbst zu Menelaus sprach:
"Trauter Held, ich bin nicht mehr so sehr um unsern
todten Patroklus besorgt, der nun einmal die Speise tro¬
janischer Vögel und Hunde werden muß, als um mein
eigenes Haupt und um das deine. Denn Hektor umringt
uns mit seinen Kriegsschaaren wie eine Wolke. Versuch
es daher, ob die Helden der Danaer unsern Hülferuf

Sohne übergeben, als er zu altern anfing. Aber der
Sohn ſollte nicht alt werden in den Waffen des Vaters.

Als der Herr der Götter und Menſchen aus der
Höhe zuſchaute, wie Hektor die Waffen des göttergleichen
Helden Achilles anlegte, ſchüttelte er mit trübem Ernſte
ſein Haupt und ſprach in ſeines Herzens Tiefe: „Du
Armer, du ahneſt doch auch gar nichts von dem Todes¬
geſchicke, das ſchon an deiner Seite geht. Du haſt dem
erhabenen Helden, vor dem auch Andere zittern, ſeinen
geliebten Freund erſchlagen, haſt ihm von Haupt und
Schultern die Rüſtung abgezogen, und ſchmückſt dich jetzt
mit der unſterblichen Wehr des Sohnes der Göttin. Den¬
noch, weil dich keine Wiederkehr aus der Schlacht erwar¬
tet, und dir deine Gattin Andromache dieſe ſchönen Waf¬
fen nicht ablöſen, und dich nie mehr begrüßen wird, ſo
will ich dir zur Entſchädigung noch Einmal Siegesruhm
verleihen.“ Als Jupiter ſo ſprach, ſchloß ſich die Rüſtung
enger an Hektors Leib, der kriegeriſche Geiſt des Mars
durchdrang ihn, ſeine Glieder ſtrotzten ihm innerlich von
Kraft und Stärke. Mit lautem Zuruf ſprengte er zu den
Bundesgenoſſen und führte ſie ermunternd, mit erhöhten
Lanzen, gegen den Feind. Da entbrannte der Kampf
aufs Neue um des Patroklus Leiche, und Hektor wüthete
ſo mit Morden, daß Ajax ſelbſt zu Menelaus ſprach:
„Trauter Held, ich bin nicht mehr ſo ſehr um unſern
todten Patroklus beſorgt, der nun einmal die Speiſe tro¬
janiſcher Vögel und Hunde werden muß, als um mein
eigenes Haupt und um das deine. Denn Hektor umringt
uns mit ſeinen Kriegsſchaaren wie eine Wolke. Verſuch
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[230/0252] Sohne übergeben, als er zu altern anfing. Aber der Sohn ſollte nicht alt werden in den Waffen des Vaters. Als der Herr der Götter und Menſchen aus der Höhe zuſchaute, wie Hektor die Waffen des göttergleichen Helden Achilles anlegte, ſchüttelte er mit trübem Ernſte ſein Haupt und ſprach in ſeines Herzens Tiefe: „Du Armer, du ahneſt doch auch gar nichts von dem Todes¬ geſchicke, das ſchon an deiner Seite geht. Du haſt dem erhabenen Helden, vor dem auch Andere zittern, ſeinen geliebten Freund erſchlagen, haſt ihm von Haupt und Schultern die Rüſtung abgezogen, und ſchmückſt dich jetzt mit der unſterblichen Wehr des Sohnes der Göttin. Den¬ noch, weil dich keine Wiederkehr aus der Schlacht erwar¬ tet, und dir deine Gattin Andromache dieſe ſchönen Waf¬ fen nicht ablöſen, und dich nie mehr begrüßen wird, ſo will ich dir zur Entſchädigung noch Einmal Siegesruhm verleihen.“ Als Jupiter ſo ſprach, ſchloß ſich die Rüſtung enger an Hektors Leib, der kriegeriſche Geiſt des Mars durchdrang ihn, ſeine Glieder ſtrotzten ihm innerlich von Kraft und Stärke. Mit lautem Zuruf ſprengte er zu den Bundesgenoſſen und führte ſie ermunternd, mit erhöhten Lanzen, gegen den Feind. Da entbrannte der Kampf aufs Neue um des Patroklus Leiche, und Hektor wüthete ſo mit Morden, daß Ajax ſelbſt zu Menelaus ſprach: „Trauter Held, ich bin nicht mehr ſo ſehr um unſern todten Patroklus beſorgt, der nun einmal die Speiſe tro¬ janiſcher Vögel und Hunde werden muß, als um mein eigenes Haupt und um das deine. Denn Hektor umringt uns mit ſeinen Kriegsſchaaren wie eine Wolke. Verſuch es daher, ob die Helden der Danaer unſern Hülferuf

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/252>, abgerufen am 22.11.2024.