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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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erregte sie den wankenden Muth der Danaer. Athene
aber bahnte sich durch das Gedränge einen Weg zu Dio¬
medes selbst. Sie fand diesen, an seinem Wagen stehend
und die Wunde abkühlend, die ihm der Pfeil des Pan¬
darus gebohrt hatte. Der Druck des breiten Schildgehen¬
kes und der Schweiß peinigten ihn, und seine Hand fühlte
sich kraftlos; mit Mühe lüftete er den Riemen und trock¬
nete sich das Blut. Nun faßte die Göttin Athene das
Joch der Rosse, stützte ihren Arm darauf, und sprach, zu
dem Helden gekehrt: "In Wahrheit, der Sohn des mu¬
thigen Tydeus gleicht seinem Vater nicht sonderlich; dieser
war zwar nur klein von Gestalt, aber doch ein immer
rüstiger Kämpfer; schlug er sich doch vor Thebe einmal
ganz wider meinen Willen, und doch konnte ich ihm mei¬
nen Beistand nicht versagen. Auch du hättest dich meiner
Obhut und meiner Hülfe zu erfreuen: aber ich weiß nicht
was es ist -- starren dir deine Glieder von der Arbeit,
oder lähmt dich die sinnberaubende Furcht: genug, du
scheinst mir nicht der Sohn des feurigen Tydeus zu seyn!"
Diomedes blickte bei diesen Reden der Göttin auf, staunte
ihr ins Gesicht und sprach: "Wohl erkenne ich dich, Ju¬
piters Tochter, und will dir die Wahrheit unverhohlen
sagen. Weder Furcht noch Trägheit lähmten mich, sondern
der gewaltigsten Götter einer. Du selbst hast mir das
Auge aufgethan, daß ich ihn erkenne. Es ist Mars, der
Gott des Krieges, den ich im Treffen der Trojaner wal¬
ten sah; sieh hier die Ursache, warum ich selbst zurück
wich, und auch dem übrigen Griechenvolke gebot, sich hier
um mich zu sammeln!" Darauf antwortete ihm Athene:
"Diomedes, mein auserwählter Freund! hinfort sollst du
weder den Mars, noch einen andern der Unsterblichen

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erregte ſie den wankenden Muth der Danaer. Athene
aber bahnte ſich durch das Gedränge einen Weg zu Dio¬
medes ſelbſt. Sie fand dieſen, an ſeinem Wagen ſtehend
und die Wunde abkühlend, die ihm der Pfeil des Pan¬
darus gebohrt hatte. Der Druck des breiten Schildgehen¬
kes und der Schweiß peinigten ihn, und ſeine Hand fühlte
ſich kraftlos; mit Mühe lüftete er den Riemen und trock¬
nete ſich das Blut. Nun faßte die Göttin Athene das
Joch der Roſſe, ſtützte ihren Arm darauf, und ſprach, zu
dem Helden gekehrt: „In Wahrheit, der Sohn des mu¬
thigen Tydeus gleicht ſeinem Vater nicht ſonderlich; dieſer
war zwar nur klein von Geſtalt, aber doch ein immer
rüſtiger Kämpfer; ſchlug er ſich doch vor Thebe einmal
ganz wider meinen Willen, und doch konnte ich ihm mei¬
nen Beiſtand nicht verſagen. Auch du hätteſt dich meiner
Obhut und meiner Hülfe zu erfreuen: aber ich weiß nicht
was es iſt — ſtarren dir deine Glieder von der Arbeit,
oder lähmt dich die ſinnberaubende Furcht: genug, du
ſcheinſt mir nicht der Sohn des feurigen Tydeus zu ſeyn!“
Diomedes blickte bei dieſen Reden der Göttin auf, ſtaunte
ihr ins Geſicht und ſprach: „Wohl erkenne ich dich, Ju¬
piters Tochter, und will dir die Wahrheit unverhohlen
ſagen. Weder Furcht noch Trägheit lähmten mich, ſondern
der gewaltigſten Götter einer. Du ſelbſt haſt mir das
Auge aufgethan, daß ich ihn erkenne. Es iſt Mars, der
Gott des Krieges, den ich im Treffen der Trojaner wal¬
ten ſah; ſieh hier die Urſache, warum ich ſelbſt zurück
wich, und auch dem übrigen Griechenvolke gebot, ſich hier
um mich zu ſammeln!“ Darauf antwortete ihm Athene:
„Diomedes, mein auserwählter Freund! hinfort ſollſt du
weder den Mars, noch einen andern der Unſterblichen

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[131/0153] erregte ſie den wankenden Muth der Danaer. Athene aber bahnte ſich durch das Gedränge einen Weg zu Dio¬ medes ſelbſt. Sie fand dieſen, an ſeinem Wagen ſtehend und die Wunde abkühlend, die ihm der Pfeil des Pan¬ darus gebohrt hatte. Der Druck des breiten Schildgehen¬ kes und der Schweiß peinigten ihn, und ſeine Hand fühlte ſich kraftlos; mit Mühe lüftete er den Riemen und trock¬ nete ſich das Blut. Nun faßte die Göttin Athene das Joch der Roſſe, ſtützte ihren Arm darauf, und ſprach, zu dem Helden gekehrt: „In Wahrheit, der Sohn des mu¬ thigen Tydeus gleicht ſeinem Vater nicht ſonderlich; dieſer war zwar nur klein von Geſtalt, aber doch ein immer rüſtiger Kämpfer; ſchlug er ſich doch vor Thebe einmal ganz wider meinen Willen, und doch konnte ich ihm mei¬ nen Beiſtand nicht verſagen. Auch du hätteſt dich meiner Obhut und meiner Hülfe zu erfreuen: aber ich weiß nicht was es iſt — ſtarren dir deine Glieder von der Arbeit, oder lähmt dich die ſinnberaubende Furcht: genug, du ſcheinſt mir nicht der Sohn des feurigen Tydeus zu ſeyn!“ Diomedes blickte bei dieſen Reden der Göttin auf, ſtaunte ihr ins Geſicht und ſprach: „Wohl erkenne ich dich, Ju¬ piters Tochter, und will dir die Wahrheit unverhohlen ſagen. Weder Furcht noch Trägheit lähmten mich, ſondern der gewaltigſten Götter einer. Du ſelbſt haſt mir das Auge aufgethan, daß ich ihn erkenne. Es iſt Mars, der Gott des Krieges, den ich im Treffen der Trojaner wal¬ ten ſah; ſieh hier die Urſache, warum ich ſelbſt zurück wich, und auch dem übrigen Griechenvolke gebot, ſich hier um mich zu ſammeln!“ Darauf antwortete ihm Athene: „Diomedes, mein auserwählter Freund! hinfort ſollſt du weder den Mars, noch einen andern der Unſterblichen 9 *

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/153>, abgerufen am 26.04.2024.