in welches Here selbst ihr schnellfüßiges Rossegespann fügte: Minerva aber hüllte sich in ihres Vaters Panzer, bedeckte das Haupt mit dem goldenen Helm, ergriff den Schild mit dem Gorgonenhaupte, faßte den Speer und schwang sich auf den silbernen Sessel, der in goldenen Riemen hing. Neben ihr sitzend, schwenkte Juno die Geißel und beflügelte die Rosse. Des Himmels Thor, das die Horen hüteten, krachte von selbst auf, und die riesigen Göttinnen fuhren an den Zacken des Olymp vorüber. Auf der höchsten Kuppe saß Jupiter, und ihr Gespann einen Augenblick zügelnd, rief ihm Here, seine Gemahlin, zu: "Zürnst du denn gar nicht, Vater, daß dein Sohn Mars das herrliche Volk der Griechen wider das Geschick verdirbt? Siehst du, wie sich Venus und Apollo freuen, die den Wütherich gereizt haben? Nun wirst du mir doch erlauben, daß ich dem Frechen einen Streich versetze, der ihn aus dem Kampfe hinausstößt!" "Immerhin soll es dir gestattet seyn," rief ihr Jupiter von seinem Sitze zu, "sende nur frisch meine Tochter Athene gegen ihn, die am bittersten zu kämpfen versteht." Nun flog der Wagen zwischen dem Sternengewölbe und der Erde dahin, bis er sich am Zusammenflusse des Si¬ mois und Skamander mit sammt den Rossen auf den Boden niederließ.
Die Göttinnen eilten sofort in die Männerschlacht, wo die Krieger wie Löwen und Eber um den Tydiden gedrängt standen. Zu ihnen gesellte sich Here in Stentors Gestalt und rief mit der ehernen Stimme dieses Helden: "Schämet euch, ihr Argiver, seyd ihr nur furchtbar, so lang Achilles an eurer Seite ficht? Der sitzt nun bei den Schiffen, und ihr vermöget nichts!" Mit diesem Ruf
in welches Here ſelbſt ihr ſchnellfüßiges Roſſegeſpann fügte: Minerva aber hüllte ſich in ihres Vaters Panzer, bedeckte das Haupt mit dem goldenen Helm, ergriff den Schild mit dem Gorgonenhaupte, faßte den Speer und ſchwang ſich auf den ſilbernen Seſſel, der in goldenen Riemen hing. Neben ihr ſitzend, ſchwenkte Juno die Geißel und beflügelte die Roſſe. Des Himmels Thor, das die Horen hüteten, krachte von ſelbſt auf, und die rieſigen Göttinnen fuhren an den Zacken des Olymp vorüber. Auf der höchſten Kuppe ſaß Jupiter, und ihr Geſpann einen Augenblick zügelnd, rief ihm Here, ſeine Gemahlin, zu: „Zürnſt du denn gar nicht, Vater, daß dein Sohn Mars das herrliche Volk der Griechen wider das Geſchick verdirbt? Siehſt du, wie ſich Venus und Apollo freuen, die den Wütherich gereizt haben? Nun wirſt du mir doch erlauben, daß ich dem Frechen einen Streich verſetze, der ihn aus dem Kampfe hinausſtößt!“ „Immerhin ſoll es dir geſtattet ſeyn,“ rief ihr Jupiter von ſeinem Sitze zu, „ſende nur friſch meine Tochter Athene gegen ihn, die am bitterſten zu kämpfen verſteht.“ Nun flog der Wagen zwiſchen dem Sternengewölbe und der Erde dahin, bis er ſich am Zuſammenfluſſe des Si¬ mois und Skamander mit ſammt den Roſſen auf den Boden niederließ.
Die Göttinnen eilten ſofort in die Männerſchlacht, wo die Krieger wie Löwen und Eber um den Tydiden gedrängt ſtanden. Zu ihnen geſellte ſich Here in Stentors Geſtalt und rief mit der ehernen Stimme dieſes Helden: „Schämet euch, ihr Argiver, ſeyd ihr nur furchtbar, ſo lang Achilles an eurer Seite ficht? Der ſitzt nun bei den Schiffen, und ihr vermöget nichts!“ Mit dieſem Ruf
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in welches Here ſelbſt ihr ſchnellfüßiges Roſſegeſpann
fügte: Minerva aber hüllte ſich in ihres Vaters Panzer,
bedeckte das Haupt mit dem goldenen Helm, ergriff den
Schild mit dem Gorgonenhaupte, faßte den Speer und
ſchwang ſich auf den ſilbernen Seſſel, der in goldenen
Riemen hing. Neben ihr ſitzend, ſchwenkte Juno die
Geißel und beflügelte die Roſſe. Des Himmels Thor,
das die Horen hüteten, krachte von ſelbſt auf, und die
rieſigen Göttinnen fuhren an den Zacken des Olymp
vorüber. Auf der höchſten Kuppe ſaß Jupiter, und ihr
Geſpann einen Augenblick zügelnd, rief ihm Here, ſeine
Gemahlin, zu: „Zürnſt du denn gar nicht, Vater, daß
dein Sohn Mars das herrliche Volk der Griechen wider
das Geſchick verdirbt? Siehſt du, wie ſich Venus und
Apollo freuen, die den Wütherich gereizt haben? Nun
wirſt du mir doch erlauben, daß ich dem Frechen einen
Streich verſetze, der ihn aus dem Kampfe hinausſtößt!“
„Immerhin ſoll es dir geſtattet ſeyn,“ rief ihr Jupiter
von ſeinem Sitze zu, „ſende nur friſch meine Tochter
Athene gegen ihn, die am bitterſten zu kämpfen verſteht.“
Nun flog der Wagen zwiſchen dem Sternengewölbe und
der Erde dahin, bis er ſich am Zuſammenfluſſe des Si¬
mois und Skamander mit ſammt den Roſſen auf den
Boden niederließ.
Die Göttinnen eilten ſofort in die Männerſchlacht,
wo die Krieger wie Löwen und Eber um den Tydiden
gedrängt ſtanden. Zu ihnen geſellte ſich Here in Stentors
Geſtalt und rief mit der ehernen Stimme dieſes Helden:
„Schämet euch, ihr Argiver, ſeyd ihr nur furchtbar, ſo
lang Achilles an eurer Seite ficht? Der ſitzt nun bei den
Schiffen, und ihr vermöget nichts!“ Mit dieſem Ruf
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/152>, abgerufen am 22.11.2024.
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