die verhüllte Göttin und das Herz des Thoren gehorchte ihr. Schnell entblößte er den Bogen, öffnete den Deckel des Köchers, wählte einen befiederten Pfeil, legte ihn auf die Sehne und bald sprang das Geschoß vom schwir¬ renden Horn. Athene aber lenkte den Pfeil auf den Leib¬ gurt, so daß er zwar durch diesen und den Harnisch drang, aber nur die oberste Haut ritzte, jedoch so, daß das Blut aus der Wunde drang, und den Menelaus ein leichter Schauer durchflog. Wehklagend umringten ihn Agamemnon und die Genossen. "Theurer Bruder," rief der König, "dir zum Tode hab ich das Bündniß geschlossen; die treu¬ losen Feinde haben es mit Füßen getreten. Zwar werden sie es büßen, und ich weiß gewiß, daß der Tag kommt, wo Troja mit Priamus und dem ganzen Volke hinsinkt; mich aber erfüllt dein Tod mit dem bittersten Schmerz. Wenn ich ohne dich heimkehre, und deine Gebeine auf trojanischem Boden am unvollendeten Werk dahinmodern, mit welcher Schmach würde mich das Vaterland empfan¬ gen; denn einem Andern, nicht mir ohne dich, ist beschie¬ den, Troja zu erobern und Helena fortzuführen; und die Trojaner werden spottend über deinem Grabe hüpfen! Thäte sich doch die Erde unter mir auf!" Aber Menelaus tröstete seinen Bruder; "Sey ruhig," sprach er, "das Geschoß hat mich nicht zum Tode verwundet, mein Leib¬ gurt hat mich geschützt." "O daß dem so wäre," seufzte Agamemnon, und beschickte durch seinen Herold eilig den heilkundigen Machaon. Dieser kam, zog den Pfeil aus dem Gurt, löste diesen, öffnete das Blech des Harnisches und beschaute die Wunde; dann sog er selbst das quellende Blut heraus und legte ihm eine lindernde Salbe auf.
Während der Arzt und die Helden so um den
die verhüllte Göttin und das Herz des Thoren gehorchte ihr. Schnell entblößte er den Bogen, öffnete den Deckel des Köchers, wählte einen befiederten Pfeil, legte ihn auf die Sehne und bald ſprang das Geſchoß vom ſchwir¬ renden Horn. Athene aber lenkte den Pfeil auf den Leib¬ gurt, ſo daß er zwar durch dieſen und den Harniſch drang, aber nur die oberſte Haut ritzte, jedoch ſo, daß das Blut aus der Wunde drang, und den Menelaus ein leichter Schauer durchflog. Wehklagend umringten ihn Agamemnon und die Genoſſen. „Theurer Bruder,“ rief der König, „dir zum Tode hab ich das Bündniß geſchloſſen; die treu¬ loſen Feinde haben es mit Füßen getreten. Zwar werden ſie es büßen, und ich weiß gewiß, daß der Tag kommt, wo Troja mit Priamus und dem ganzen Volke hinſinkt; mich aber erfüllt dein Tod mit dem bitterſten Schmerz. Wenn ich ohne dich heimkehre, und deine Gebeine auf trojaniſchem Boden am unvollendeten Werk dahinmodern, mit welcher Schmach würde mich das Vaterland empfan¬ gen; denn einem Andern, nicht mir ohne dich, iſt beſchie¬ den, Troja zu erobern und Helena fortzuführen; und die Trojaner werden ſpottend über deinem Grabe hüpfen! Thäte ſich doch die Erde unter mir auf!“ Aber Menelaus tröſtete ſeinen Bruder; „Sey ruhig,“ ſprach er, „das Geſchoß hat mich nicht zum Tode verwundet, mein Leib¬ gurt hat mich geſchützt.“ „O daß dem ſo wäre,“ ſeufzte Agamemnon, und beſchickte durch ſeinen Herold eilig den heilkundigen Machaon. Dieſer kam, zog den Pfeil aus dem Gurt, löste dieſen, öffnete das Blech des Harniſches und beſchaute die Wunde; dann ſog er ſelbſt das quellende Blut heraus und legte ihm eine lindernde Salbe auf.
Während der Arzt und die Helden ſo um den
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die verhüllte Göttin und das Herz des Thoren gehorchte
ihr. Schnell entblößte er den Bogen, öffnete den Deckel
des Köchers, wählte einen befiederten Pfeil, legte ihn
auf die Sehne und bald ſprang das Geſchoß vom ſchwir¬
renden Horn. Athene aber lenkte den Pfeil auf den Leib¬
gurt, ſo daß er zwar durch dieſen und den Harniſch drang,
aber nur die oberſte Haut ritzte, jedoch ſo, daß das Blut
aus der Wunde drang, und den Menelaus ein leichter
Schauer durchflog. Wehklagend umringten ihn Agamemnon
und die Genoſſen. „Theurer Bruder,“ rief der König,
„dir zum Tode hab ich das Bündniß geſchloſſen; die treu¬
loſen Feinde haben es mit Füßen getreten. Zwar werden
ſie es büßen, und ich weiß gewiß, daß der Tag kommt,
wo Troja mit Priamus und dem ganzen Volke hinſinkt;
mich aber erfüllt dein Tod mit dem bitterſten Schmerz.
Wenn ich ohne dich heimkehre, und deine Gebeine auf
trojaniſchem Boden am unvollendeten Werk dahinmodern,
mit welcher Schmach würde mich das Vaterland empfan¬
gen; denn einem Andern, nicht mir ohne dich, iſt beſchie¬
den, Troja zu erobern und Helena fortzuführen; und die
Trojaner werden ſpottend über deinem Grabe hüpfen!
Thäte ſich doch die Erde unter mir auf!“ Aber Menelaus
tröſtete ſeinen Bruder; „Sey ruhig,“ ſprach er, „das
Geſchoß hat mich nicht zum Tode verwundet, mein Leib¬
gurt hat mich geſchützt.“ „O daß dem ſo wäre,“ ſeufzte
Agamemnon, und beſchickte durch ſeinen Herold eilig den
heilkundigen Machaon. Dieſer kam, zog den Pfeil aus
dem Gurt, löste dieſen, öffnete das Blech des Harniſches
und beſchaute die Wunde; dann ſog er ſelbſt das quellende
Blut heraus und legte ihm eine lindernde Salbe auf.
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/136>, abgerufen am 25.11.2024.
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